
Gabrieli, Giovanni - La Musica per San Rocco
Gabrieli-Porträt
Label/Verlag: Arts music
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Musik zum Rochusfest aus der Feder Giovanni Gabrielis, in farbigem Klang geboten von den Ensembles Melodi Cantores und La Pifarescha, beide von Elena Sartori ebenso kundig wie temperamentvoll geleitet.
Die Feier des Rochusfests hatte in Venedig eine lange Tradition. Rochus von Montpellier galt als Schutzpatron der Pestkranken und die venezianische Scuola Grande di San Rocco gelangte spätestens nach der Überführung der Gebeine des verehrten Mannes im Jahr 1485 zu Wohlstand und geistlicher Anerkennung. Dem englischen Reiseschriftsteller Thomas Coryat verdankt sich ein detaillierter Bericht zu den Rochus-Feierlichkeiten des Jahres 1608, die nach den verheerenden Pestzeiten in den 1570er Jahren ausnehmend prachtvoll ausgestaltet waren.
Schon Paul McCreeshs Rekonstruktion von 1996 hatte etliche der Hinweise Coryats akribisch aufgegriffen und in lebendigen Klang übersetzt. Denn der reisende Engländer machte zwar keine Ausführungen dazu, welche Stücke von welchem Komponisten geboten wurden. Dafür listet er die Beteiligten detailliert auf und referiert vor allem die unerhörten Klangwirkungen der aufgeführten Sätze – woraus sich wiederum Schlüsse auf das gespielte Repertoire ziehen lassen. Manches deutet dann zwangsläufig auf die prominente Beteiligung Giovanni Gabrielis hin. Denn der war seit 1585 Organist am Markusdom und bis 1606 auch parallel dazu an der Scuola Grande di San Rocco. In diesen einflussreichen Positionen entfaltete er seine mehrchörige Kunst am Übergang von Renaissance zu Barock, dabei die Vokalmusik intensiver mit der instrumentalen Ebene verwebend und schließlich zu einem immer eigenständigeren instrumentalen Idiom findend.
Die italienische Organistin Elena Sartori hat nun mit dem Vokalensemble Melodi Cantores und der Instrumentalformation La Pifarescha eine Neudeutung dieses musikalischen Gottesdienstes zum Rochusfest vorgelegt. Die Platte bietet zugleich ein sehr schönes Porträt Giovanni Gabrielis als eines Komponisten wahrhaft eigenständiger Größe. Denn gerade die deutsche Perspektive reduziert ihn häufig auf seine Funktion als – zwar vorbildhaft verehrten – Mentor, der Heinrich Schütz entscheidende Stichworte gab, deren wahren Kern dann allerdings erst dieser zu voller Größe zu entfalten verstand. Hier wird Gabrieli als ehrfurchtgebietende kompositorische Größe an der Schwelle zu so viel Neuem gezeigt, zugleich als Meister des alten Stils wie als subtiler Experimentator. Natürlich sind die vielstimmigen Großsätze in ihrem Wechsel von fantastischer Klangballung und feinen durchbrochenen Passagen edelste Raumkunst. Das 'Magnificat' in 33 Stimmen gibt einen prächtigen Eindruck davon. Doch zeigen Canzonen, intrikate Orgelmusik oder eine erstaunlich variantenreich explizierte Litanei einen überaus kreativen Tonsetzer mit dem Mut zu individuellen Lösungen.
Etliche Stärken in der farbigen Klangentfaltung
Elena Sartori hat bei der Gestaltung des im Vergleich zu McCreeshs älterer Produktion in einigen Punkten durchaus abweichenden Programms sicheres Gespür bewiesen. Neben den unumstrittenen, großen vokal-instrumentalen Beiträgen ist es die bemerkenswert eigenständige Orgelmusik Gabrielis, die mit ihrer Frische überzeugt. Sartori spielt die 1565 gebaute, unerhört farbenreiche Antegnati-Orgel der Basilica di Santa Barbara im herzoglichen Palast zu Mantua mit enormem Temperament, wunderbarer Geläufigkeit und zupackendem Elan. Das wunderbare Instrument war schon öfter in interessanten Konstellationen zu erleben und sichert dem Lauf des Programms auch in der aktuellen Produktion kontrastreiche Wechsel.
Das Instrumentalensemble, dem, angeführt vom fabelhaften Zinkenisten Doron David Sherwin, 22 Könner auf Zink, Posaune, Violine, Dulzian, Chitarrone, Violone, Truhenorgel und Schlagwerk angehören, formt einen tollen Klang, der sich geschmackvoll und enorm harmonisch entfaltet. Auch die drei im großen Bläserklang nicht einfach zu positionierenden Violinen finden in einer Sonate für drei unbegleitete Instrumente eine Möglichkeit zur feinen Präsentation. Intonatorisch finden sich auch in dichtester Besetzung und durchaus frischen, anmutig rhythmisierten Tempi keinerlei Mängel.
Die solistische Besetzung des Ensembles Melodi Cantores liest sich überzeugend: Im Diskant singt der vielfach bewährte Alessandro Carmignani, gefolgt vom Altisten Aurelio Schiavoni, dem Tenor Marco Allegrezza und den Baritonen Marco Scavazza und Yiannis Vassilakis. Es sind dies sämtlich klar zeichnende Stimmen, die ein deutlich konturiertes Ensemble formen. Vor allem Carmignani mit seiner sehr individuellen Stimmfarbe bestimmt die Szenerie. Sein Ton wirkt weich und gedeckt, dabei auch in hoher Diskantlage immer intonationsrein. So aufgestellt, gestaltet er einige bezaubernde Soli aus der Feder des 1608 nach den historischen Berichten auch als Sänger beteiligten Bartolomeo Barbarino. Doch zeigt die hier zu erlebende ärgere lineare Bewegtheit auch expressive Grenzen Carmignanis auf. Kritisch zum auch für die übrigen Sänger ansonsten deutlich positiven Befund muss die Indisposition vermutlich Marco Scavazzas – genau ist das anhand der Angaben im Booklet nicht zu identifizieren – angemerkt werden, dessen Stimme phasenweise problematisch rau ist. Mit dem großen, bemerkenswert gut gestaffelten Klangbild gelingt ein schönes Porträt dieser oft ausgreifenden Musik. Das Ergebnis ist in einiger Plastizität realisiert, gelegentlich wirken die Einwürfe der Ripieni etwas vom Geschehen entfernt. Insgesamt ist aber ein sehr überzeugend realisiertes Raumkonzept zu erleben. Im dreisprachigen Booklet werden Basisinformationen zu Konzept, Musik und Ausführenden geboten.
Elena Sartori präsentiert mit ihren schlagkräftigen Formationen ein ebenso interessantes wie relevantes Programm in farbenreicher Umsetzung. Dabei wird Giovanni Gabrieli in seiner bemerkenswerten kompositorischen Vielfalt vorgestellt.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Gabrieli, Giovanni: La Musica per San Rocco |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: Spielzeit: Aufnahmejahr: |
Arts music 1 29.06.2012 72:11 2012 |
Medium:
EAN: BestellNr.: |
SACD
600554776286 47762-8 |
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"Anlässlich des 400. Todestages von Giovanni Gabrieli, der einer der einflussreichsten Musiker der Venezianischen Schule war, freuen wir uns, Ihnen diese besondere Aufnahme von "La Musica per San Rocco" präsentieren zu können. Unter "La Musica per San Rocco" kann man sich einen musikalischen Veranstaltungstypus vorstellen, der im Venedig des 17. Jahrhunderts üblich gewesen sein muss und sich offenbar durch eine Vorliebe für prachtvoll Großartiges und eine Unabhängigkeit von allzu festen Schemen auszeichnete. Thomas Coryat schrieb dazu 1611 in seiner Chronik "Coryat‘s Crudities": "Das dritte Fest galt dem Hl. Rochus und fand statt am Samstag, dem sechsten Tag im August, wobei ich am Vormittag und am Nachmittag die beste Musik hörte, die ich je in meinem ganzen Leben vernahm - eine so herrliche Musik, dass ich jederzeit gern hundert Meilen zu Fuß laufen würde, um etwas Vergleichbares zu hören. Dieses Fest bestand hauptsächlich aus Vokal- und Instrumentalmusik, die so bezaubernd, ausgesucht, bewundernswürdig, ja über die Massen vorzüglich ist, dass sie selbst alle Fremden, die so etwas noch nie gehört hatten, zur höchsten Bewunderung hinriss.…". Freuen Sie sich auf diese neue Aufnahme mit den Ensembles Melodi Cantores und La Pifarescha (auf historischen Instrumenten) unter der Leitung von Elena Sartori, die bei ARTS MUSIC im Juni 2012 im 24bit/96 kHz Mehrkanalton auf Hybrid-SACD erscheint." |
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Musica: "Die neue CD von ARTS: Eine musikalische Reise in Venedig (1608)." |
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Arts music ARTS wurde 1993 gegründet. Seither haben wir mehr als 6200 Tracks (das sind über 400 Datenträger) mit Klassischer Musik der letzten 5 Jahrhunderte veröffentlicht. Neben Alter Musik und Zeitgenössischem befindet sich in unserem Katalog auch Musik der größten Interpreten der letzten Jahrzehnte sowie Musik sehr erfolgreicher junger Künstler, die Ihren künstlerischen Zenith noch vor sich haben und diesen mit uns verbringen werden. Die Musikrichtungen reichen von Sakral bis Oper, Kammermusik bis Symphonik, Lied bis Operette. Große Werke Mozarts, Beethovens, Schuberts usw. sind ebenso vertreten wie Raritäten von Rossini, Verdi, Händel und vielen mehr.
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