
Rutherford, James & Asti, Eugene singen - Werke von Butterworth, Gurney u.a.
Holzschnitthaft
Label/Verlag: BIS Records
Detailinformationen zum besprochenen Titel
James Rutherfords Präsentation britischer Lieder kann mit den großen Vorgängern nicht ganz mithalten.
Die Aufarbeitung des Ersten Weltkrieges hat in Großbritannien viel früher begonnen als in Deutschland; jene Komponisten, die dem Tod in den Schützengräben entkamen, begannen zwar zumeist erst zeitversetzt entsprechende Werke zu schreiben (Arthur Bliss und Ralph Vaughan Williams etwa, die mit ihren großen Chororatorien 'Morning Heroes' und 'Dona nobis pacem' wichtige pazifistische Werke des 20. Jahrhunderts schufen, auf denen Brittens 'War Requiem' teilweise unverblümt aufbaut); jene, die nicht so glücklich waren, werden seither, teilweise auf durchaus irrationale Weise heroisierend, zutiefst verehrt. Zu ihnen gehört George Butterworth, der 1916 31-jährig an der Somme fiel. Seine Lieder auf Gedichte von Alfred E. Housman (1859-1936) gehören zum Standardrepertoire britischer Liedkunst. Housmans Gedichtband ‚A Shropshire Lad‘ erschien 1896, durch seine Mischung aus ländlicher Idylle, melancholischer Stimmungsgestaltung und einer teilweise unterschwellig homoerotischen Komponente wurde er zentrale Inspiration für eine ganze Reihe von Komponisten, unter anderem für Vaughan Williams, Butterworth, Arthur Somervell, John Ireland, Samuel Barber und Ivor Gurney; in einer Studie wurden 2001 ganze 400 Vertonungen von Texten Housmans gelistet.
Zwei der bekanntesten Liederzyklen sind 'Bredon Hill and other Songs' und 'Six Songs from ‚A Shropshire Lad‘' von George Butterworth, beide 1909-11 entstanden. Viele berühmte britische Baritone haben die beiden Zyklen eingespielt, unter ihnen Benjamin Luxon, Bryn Terfel und Roderick Williams. James Rutherfords Zugang entspricht am ehesten jenem von Luxon (oder Brian Rayner Cook, der aber 'Bredon Hill and other Songs' nicht eingespielt hat). Wir haben hier eine warme, expressive Stimme mit einem ein wenig gaumigen Klanganteil, der eine durchaus eigene Klangfärbung ergibt. Allerdings ist die interpretatorische Tiefe längst nicht so vielfarbig, so differenziert in der Dynamik wie bei den genannten Vorgängern. Selbst wenn er 'Loveliest of trees', das Eröffnungslied des ersten Liedes im zweiten Zyklus weitgehend im Piano singt, gerät dies nicht zum differenzierten Ölbild, sondern eher zu einem fein polierten Holzschnitt; dabei beherrscht Rutherford das feinste Pianissimo, wie er am Ende von 'When I was one-and-twenty' demonstriert.
Als ein Paradebeispiel britischer Liedzykluskunst gelten Ralph Vaughan Williams‘ 'Songs of Travel' (nach Robert Lous Stevenson) von 1901-7. Oft aufgenommen, muss sich Rutherford harter Konkurrenz stellen – und leider verlieren. Die neun Lieder fordern teilweise einen geradezu belkantesken Sänger, ganz besonders 'Let beauty awake', und so sehr sich Rutherford um sauber geführte, nicht durch Vibrato gestörte Bögen bemüht, so sehr bleibt er höchstens in der zweiten Reihe der Interpreten des Zyklus.
Das Programm wird komplettiert durch sechs Lieder vom Kriegsüberlebenden Ivor Gurney (1890–1937), der, geistig schwer angegriffen, die letzten fünfzehn Jahre seines Lebens in einem Irrenhaus verbringen musste. Gurney, der über dreihundert Lieder schuf und sich auch als Dichter profilierte, wählte seine Textvorlagen aus einer Vielzahl von Quellen, einschließlich eigenen Dichtungen. Die vorliegenden Lieder entstanden 1915-17 (Vier Lieder, hier zusammengefasst als 'Songs from the trenches', Lieder aus den Schützengräben), 1914 (die schottische Ballade 'The Twa Corbies', Die zwei Raben) und 1913-14 ('Sleep', Schlaf, ursprünglich für Mezzosopran und Kammerensemble im Zyklus 'Five Elizabethan Songs'). Keines dieser Lieder ist eine CD-Premiere, alle liegen in mindestens gleichwertigen Einspielungen vor. Gerade der direkte Vergleich mit Benjamin Luxon zeigt, dass James Rutherfords Liedkunst noch dringend ausbaubedürftig ist. Auch Eugene Asti, Rutherfords Klavierbegleiter und ein anderswo durchaus mehr als nur verlässlicher Klavierpartner, wird von Rutherfords Mittelmaß angesteckt, so dass die brillante SACD-Aufnahmetechnik vor allem interpretatorische Mängel hörbar macht. Eine rundum entbehrliche Produktion, selbst der Booklettext von Malcolm MacDonald ist nicht so inspiriert wie sonst häufig. Überdies ist selbst das Coverfoto irreführend (es geht nicht durchgehend um Lieder, die mit dem Ersten Weltkrieg in Zusammenhang stehen).
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Rutherford, James & Asti, Eugene singen: Werke von Butterworth, Gurney u.a. |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
BIS Records 1 20.06.2012 |
Medium:
EAN: |
SACD
7318599916101 |
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BIS Records Most record labels begin with a need to fill a niche. When Robert von Bahr founded BIS in 1973, he seems to have found any number of musical niches to fill. The first year's releases included music from the renaissance, Telemann on period instruments, Birgit Nilsson singing Sibelius and works by 29 living composers - Ligeti and Britten as well as Rautavaara and Sallinen - next to Purcell, Mussorgsky and Richard Strauss. A musical chameleon was born, a label that meant different things to different - and usually passionate - devotees. Mehr Info... |
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