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Samstag, 9. Dezember 2023

Britwistle, Harrison - Sämtliche Streichquartette

Gewichtige Streichquartette


Label/Verlag: aeon
Detailinformationen zum besprochenen Titel


Das Arditti Quartet legt eine Gesamtaufnahme der beiden Streichquartette von Harrison Birtwistle beim französischen Label æon vor.

Bislang lediglich zwei Werke, im Verlauf der vergangenen beiden Jahrzehnte entstanden, umfasst das Streichquartettschaffen des Komponisten Harrison Birtwistle (* 1934). Bei den nun beim französischen Label æon in einer Einspielung mit dem Arditti Quartet veröffentlichten ‚Complete String Quartets‘ handelt es sich um gewichtige Stücke von jeweils einer guten halben Stunde Dauer, die durch ein hohes Maß an klanglicher Abstraktion auffallen und daher auch etwas aus dem Gesamtschaffen des Briten herausfallen. Das frühere Werk, 'Nine Movements for String Quartet' (1991-96), lässt sich als eine Art Bestandsaufnahme verstehen, die den Stand von Birtwistles in vielen Aspekten traditionsverbundenem kompositorischem Denken mit einem experimentellen, von strukturellen Erwägungen geleiteten Zugang zu den Klangfarben der vierstimmigen Besetzung verbindet.

Die neun Sätze des Werkes konstituieren sich aus zwei unterschiedlichen Satztypen, die der Komponist mit jeweils 'Fantasia' und 'Frieze' benennt. Während sich in den fünf ‚Fantasias‘ die Musik – wie zu Beginn des Werkes – in oft impulsiven, ja eruptiven und sprunghaft zwischen unterschiedlichen Materialarten pendelnden Gesten entlädt, beherbergen die 'Frieze'-Abschnitte eine eher linear ausgerichtete Materialentfaltung, was mithin zu scheinbar statischen Situationen führt. Beide Satztypen vereint der konzentrierte Umgang mit den Klängen, die in jedem einzelnen Stück von den Musikern zu einem miniaturhaften Streichquartettkosmos ausgeleuchtet werden. Dass Birtwistle die neun Quartettsätze auch zur Verschränkung mit seinen '9 Settings of Celan' für Sopran und Ensemble (1989-96) vorgesehen hat – in dieser Fassung hat das Arditti Quartet bereits 2001 bei Teldec eine Einspielung des Werkes vorgelegt –, erklärt zudem den Umstand, dass der abschließende Satz 'Frieze 4' im Titel auf Paul Celans ‚Todesfuge‘ verweist.

Im Gegensatz zu dem explosiven Beginn der 'Nine Movements' wartet Birtwistles Streichquartett 'The Tree of Strings' (2007) mit einem vorsichtig tastenden Beginn auf, dessen Klangfarben sich allmählich auseinander entwickeln. Der Komponist realisiert hier zunächst Abfärbungen von einer zentralen Tonhöhe, die sich immer weiter zu einer komplexen Harmonik auswachsen und dabei kunstvoll verzweigt werden. Das Pulsieren einzelner Klänge ist wunderbar eingefangen, auch die gestisch motivierte solistische Einsätze erscheinen prägnant, verleihen dem vom Arditti Quartet sehr präzise gezeichneten, homogenen Gesamtklang als Gegengewicht den Eindruck personalisierter Äußerungen, die sich im weiteren Verlauf von monologischen Situationen zu gruppendynamischen Prozessen hin entwickeln. Zwischen diesen Zuständen lässt der Komponist seine Musik pendeln und erreicht dabei über den Werkverlauf hinweg unterschiedliche Dichtestadien, indem er immer wieder an anderen Elementen der musikalischen Gestaltung ansetzt.

Dass dies alles von den vier Musikern mit kaum zu übertreffender Perfektion realisiert wird, versteht sich fast von selbst. Erfreulich ist allerdings, dass der unverkennbare Arditti-Klang, zwar auch diesmal unschwer erkennbar, zumindest im Falle von 'Tree of Strings' nicht so stark in den Vordergrund der Interpretation gedrängt wird, wie etwa bei der 2009 erschienen Gesamtaufnahme der Streichquartette Jonathan Harveys. Ganz im Gegenteil agiert das Ensemble stellenweise mit einem hohen Maß an Zurückhaltung und wahrt dabei eine Spannung, die dem Vortrag der rhythmisch komplex verdichteten Passagen in nichts nachsteht und damit zu einigen der fesselndsten Momente dieser Einspielung beiträgt.

Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert: 
Booklet:





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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:



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    Britwistle, Harrison: Sämtliche Streichquartette

Label:
Anzahl Medien:
Veröffentlichung:
aeon
1
01.04.2012
Medium:
EAN:

CD
3760058360170


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aeon

Äon bedeutet im Altgriechischen soviel wie Zeitalter bzw. Ewigkeit. Wenngleich letztendlich keine Aufnahme für die Ewigkeit sein kann, so kann sie doch zumindest Gültigkeit für ein Zeitalter oder Menschenalter beanspruchen. Diesem nicht geringen Anspruch versucht man bei AEON mit bereits fast hundert Titeln gerecht zu werden. Für seine Einlösung spricht, dass das Label seit seiner Gründung 2001 schnell zu einer der ersten Adressen aus Frankreich wurde. Den Labelgründern Damien und Kaisa Pousset ist es wichtig, einen Katalog zu schaffen, dessen einzelne Titel jeweils als ultimative Intention der beteiligten Musiker verstanden werden können. Künstler wie Alexandre Tharaud, Andreas Staier, Felicity Lott oder das Quatuor Ysaÿe haben hier Aufnahmen vorgelegt, die woanders so sicherlich nicht möglich gewesen wären. Der Katalog von AEON umfasst im Wesentlichen drei Hauptschwerpunkte: monographische CDs mit Komponisten des 20. und 21. Jahrhunderts, dann das breitere, klassische Repertoire, das durch ausgewählte Künstler und Ensembles bestritten wird, sowie die frühe Musik des Mittelalters.


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