
Aperghis, Georges - Contretemps für Sopran & Ensemble
Schelm und Magier
Label/Verlag: Kairos
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Klanglich exquisites Album eines unkonventionellen Klangfantasten mit ungewöhnlichen, oft das Dramatische betonenden musikalischen Strukturen.
Der französisch-griechische Komponist Georges Aperghis (geboren 1945) ist ein Sonderfall unter den Komponisten Neuer Musik. Er lässt sich so recht keiner Schule, Richtung oder Ideologie zurechnen. Auch auf der neuen Kairos-CD zeigt er sich wieder als verspielter Brachialberserker, als augenzwinkernder Fantast mit einer Vorliebe für dunkle Frequenzen. Alle vier versammelten Stücke sind ‚typische‘ Aperghis-Kompositionen: scharfe, voluminöse, dem Hörer geradezu ins Gesicht springende, aber nie fette Klänge, die eine merkwürdige, jederzeit spürbare Dezenz vor dem Abrutschen ins formlose Chaos bewahrt.
Das spannendste Stück ist das 2007 entstandene 'Parlando' eine nachgerade überwältigende Orgie für Kontrabass-Solo. Uli Fussenegger lässt sein Instrument flüstern und schreien, singen, knirschen und kratzen und arbeitet ein weiteres verbindendes Element von Aperghis‘ Musik unaffektiert heraus: das spielerische Annehmen von flüchtigen, stets auf Archetypen gerichteten Erzählhaltungen. 'Parlando' wird so zum inneren Monolog mit Appellstruktur, aufregend und anregend, aber nie penetrant und mit jenem Schuss (Galgen-)Humor, der fast ein Markenzeichen dieses ungewöhnlichen Musikers ist.
Fussenegger ist Mitglied des Klangforums Wien, das die anderen drei Kompositionen eingespielt hat. 'Contretemps' (2005/06) ist eine lebensfrohe Studie schillernden Wahnsinns. Partner des Orchesters ist hier die Sopranistin Donatienne Michel-Dansac, die vom fast maschinellen Sprechen über leicht nebligen Diseusenton bis in die höchsten klassischen Höhen ein gewaltiges Ausdrucksspektrum zu bewältigen hat. Alles klingt unangestrengt und sehr präzise. Dabei wird die Sängerin, höchst ungewöhnlich bei Aperghis, stets von hohen Flöten-, Geigen-, oder Oboentönen begleitet oder eingeschlossen. Das relativ moderat beginnende Stück sucht im gut zwanzigminütigen Verlauf zunehmend Extreme auf – auf fast jeder denkbaren Ebene, gestaltet so ein Außer-sich-Sein mit und durch Reizüberflutung ganz nah am Puls der Zeit. 'Contretemps' gewinnt unter der Leitung Enrico Pomaricos eine derartige Intensität, dass man sich diese Musik trefflich als Grundlage für Musik- oder Tanztheater vorstellen kann. Inhaltliche und Klangd-Damaturgie sowie Klangsinnlichkeit sind fast im Übermaß vorhanden und schwingen stets im Gleichgewicht.
Pomarico dirigiert ebenfalls 'Teeter-totter', das die CD beschließt, oder besser: auslaufen lässt. Von der Atmosphäre – wohl verstanden: nicht von der Klangarchitektur – her ergibt sich eine leichte Nähe zur Minimal Music. Das Stück für zwölf Musiker klingt leichtgewichtiger, harmonischer, weniger dramatisch, trotz bedeutenden Anteils von Percussion, ein wenig ‚Chill-out-Music‘ für Fortgeschrittene. 'SEESAW' hingegen rüttelt zu Beginn gleich kräftig auf, mit wüst hämmerndem Klavieren, die sich immer wieder zu Wort melden und rebellisch ihren Herrschaftsanspruch anmelden. Ansonsten hinterlässt diese von Sylvain Cambreling vielleicht ein wenig sachlich zubereitete Komposition den schwächsten Eindruck auf der CD. Die Orchesterklänge prägen sich nicht wirklich ein, bleiben, Schleier, Folie, aber man erfährt nicht recht, wofür.
Die klangliche Gestalt des Albums ist exzeptionell und war sicher nicht leicht herzustellen. Das Klangideal bei Aperghis kann vielleicht als unmögliche Mischung aus kompaktem Block und flüchtigem Lüftchen beschrieben werden. Die CD klingt jederzeit durchhörbar, aber nie weich oder glatt. Der vor Lebenslust platzende Schelm Aperghis erhält genauso viel Raum wie der minuziös disponierende Klangmagier.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Aperghis, Georges: Contretemps für Sopran & Ensemble |
|||
Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Kairos 1 20.04.2012 |
Medium:
EAN: |
CD
9120010281853 |
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