> > > Busoni, Ferruccio: Doktor Faust
Dienstag, 5. Dezember 2023

Busoni, Ferruccio - Doktor Faust

Die vollständige Radioübertragung


Label/Verlag: Immortal Performances
Detailinformationen zum besprochenen Titel


Beim Label Immortal Performances kann man Sir Adrian Boults Interpretation von Busonis 'Doktor Faust' nun wirklich in ihrer vollständigen Gestalt erleben. Obendrein gibt es noch spannende Bonustracks.

Beim Label Immortal Performances liegt seit kurzem der Mitschnitt einer konzertanten Aufführung von Ferruccio Busonis unvollendet hinterlassener Oper 'Doktor Faust' vom Mai 1959 unter der Leitung von Sir Adrian Boult vor. Diese Veröffentlichung kann auf den ersten Blick verwirren, hat doch das hauseigene Label des London Philharmonic Orchestra fast zeitgleich eben jenen Mitschnitt ebenfalls veröffentlicht. Deutlich preiswerter und optisch ansprechender verspricht jene LPO-Edition auf gerade mal einer CD den vermeintlich akustisch qualitativ höheren Hörgenuss. Doch weit gefehlt! Allein schon die Veröffentlichung auf einer CD macht den Sammler stutzig, während das kleinere Label Immortal Performances zwei randvolle CDs mit demselben Mitschnitt anbietet – inklusive einer dritten CD mit der bekannten Studioaufnahme der EMI von Busonis Einakter 'Arlecchino'.

Hier ist dem fachkundigen Label ein kleiner Geniestreich gelungen. Denn während das prominentere Label seine Variante als vom Dirigenten gekürzte Konzerteinrichtung verkauft, weil nur ca. 80 aufgezeichnete Minuten der Aufführung in den Archiven der BBC lagern, hat Immortal Performances bei privaten Sammlern Bänder der damaligen Radioübertragung von 1959 gefunden und konnte nun in liebevoller Detailarbeit das gesamte Konzert rekonstruieren. Aus diesem Grund schwankt an manchen Stellen die Tonqualität merklich, glasklare Akustik wechselt hin und wieder mit statisch rauschenden Passagen; für den historisch interessierten Hörer ist dieser Umstand aber leicht verschmerzbar. Also aufgepasst: Die LPO-Ausgabe beinhaltet trotz durchgehend guter Tonqualität entgegen der Ankündigung nur Ausschnitte, die vorliegende Veröffentlichung bei Immortal Performances aber die gesamte Aufführung, was knapp 50 Minuten mehr Musik ausmacht. Und angesichts dieser außergewöhnlich dichten und lebendigen Interpretation kann man vor so viel editorischer Genauigkeit nur dankbar den Hut ziehen.

Schwärmerisch und emotional

Sir Adrian Boult dirigierte bereits 1937 die britische Premiere von Busonis Faust-Vertonung und kann sich in dieser konzertanten Aufführung 22 Jahre später auf seine profunden Kenntnisse der Partitur stützen. Sein Dirigat wirkt in vielen Momenten fast schon schwärmerisch, zeichnet sich aber durch hohe Sensibilität im Umgang mit den Sängern aus. Dabei erreicht Busonis Musik eine ungeahnte populäre Kraft, die man diesem Werk so nicht zugetraut hätte. Die spätere Studioaufnahme der Deutschen Grammophon unter Ferdinand Leitner ist zwar konturierter und klarer in ihrer Betonung der musikalischen Struktur, aber Boults Lesart ist emotionaler und letztlich auch theatraler.

Zudem ist der Interpret der Titelfigur, bei Leitner wie bei Boult Dietrich Fischer-Dieskau, bei der konzertanten Aufführung 1959 noch wesentlich frischer bei Stimme. Der Sänger verbindet Sprache und Musik zu einer untrennbaren Einheit, besticht durch seine klare Diktion und gewinnt Busonis Musik eben jene Emotionalität ab, die auch Boult am Pult des London Philharmonic Orchestra beschwört. Als Mephistopheles meistert Richard Lewis die höllisch hohe Tessitura der Partie mit Bravour. Mit teuflischer Geschmeidigkeit ist er ein auffallend tonschöner Rivale für den Faust von Fischer-Dieskau. Zum luxuriösen Ensemble gehören auch der sonore Wagner von Ian Wallace, John Cameron als blasierter Herzog von Parma und die edle Sopranstimme von Heather Harper als Herzogin, die mit zarten Höhenpiani und lyrischem Glanz verzaubert.

Ergänzt wird dieser 'Doktor Faust' noch durch Busonis ‚Comedy Overture‘ unter Sir Adrian Boult aus dem Jahr 1952 und zwei populäre Konzertstücke Busonis mit dem NBC Symphony Orchestra unter der Leitung von Arturo Toscanini.

Kompletter Einakter als Bonus

Auf der dritten CD findet sich schließlich noch die noch immer unschlagbare Studioaufnahme von 'Arlecchino', die 1954 bei der EMI im Anschluss an Aufführungen beim Glyndebourne Festival entstanden ist. John Pritchard leitet das Glyndebourne Festival Orchestra. Zu seinen Solisten zählen wiederum Ian Wallace als Ser Matteo, ein großartiger Geraint Evans als Abbate Cospicuo und Fritz Ollendorff als Dottor Bombasto. Murray Dickie als Leandro und Elaine Malbin als Colombina komplettieren das Ensemble um den prononcierten Arlecchino von Kurt Gester.

Im umfangreichen Booklet wird zwar erwähnt, dass man sich aus Qualitätsgründen für die Wiederveröffentlichung EMI-Aufnahme entschieden habe, aber angesichts der lebendigen 'Doktor Faust'-Ausgrabung hätte man vermutlich mehr Freude am ebenfalls existierenden Livemitschnitt des 'Arlecchino' aus Glyndebourne. Zu einer editorisch so genauen Veröffentlichung von Busonis 'Doktor Faust' in einer konzertanten Variante, die unter dem programmatischen Labelnamen Immortal Performances erscheint, gehört – wenn man sich schon für den Bonus 'Arlecchino' entscheidet – letztlich auch ein Livedokument, und nicht die rechtefrei gewordene Studioeinspielung eines namhaften Labels.

Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert: 
Booklet:





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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:



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    Busoni, Ferruccio: Doktor Faust

Label:
Anzahl Medien:
Immortal Performances
3
Medium:
EAN:

CD
713757441506


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Immortal Performances

Immortal Performances returns with new CD releases, this time on its own label. This Canadian-based, federally chartered, non-profit archive has gathered a huge number of historic broadcasts gathered over a 50-year period. Their first 48 albums were released by Naxos, followed with 53 albums by Guild Music. Both companies originally formed their Historical label series in order to release Immortal Performances? restorations. Immortal Performances has spent the past three years searching for the original and finest sources of many historic broadcasts. It has now assembled 48 CD albums of exceptional importance that it proposes to release, the first 8 sets of which are available now. These albums offer the finest sound in the historic-era genre and include extensive notes about the singers, the performance and composer, with biographies and rare production photos. Immortal Performances will continue releasing complete Toscanini broadcasts (1935-1954), exciting recordings from the Metropolitan Opera and European Opera Houses, the Russian Legacy as well as operatic broadcasts in association with Busch Brüder Archiv in Germany and the National Library of Canada. Richard Caniell, its archivist and chief guiding light says, ?I hope our forthcoming releases will corroborate our logos, The Ultimate in Historic Broadcast Recordings.?


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