
Andre, Mark - ...22, 13... A Music-Theatrical Passion
Klangschach
Label/Verlag: Neos
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Zug um Zug: Mark Andrés 'Musiktheater-Passion' ist ein faszinierendes Klangerlebnis, nicht zuletzt dank der exzellenten klanglichen Umsetzung.
Das Musiktheater der Gegenwart ist trotz einiger Leuchtturmproduktionen in der letzten Zeit in der Welt des Stadt- und Staatstheaters eher in eine marginalisierte Position gerückt. Die spannenden Auseinandersetzungen finden anderswo statt, vielleicht auch deshalb, weil die Trias aus Bühne, Graben und Publikum nicht mehr so recht zu den narrativen Strukturen aktueller Produktionen passen will.
Mark Andrés 'Musiktheater-Passion', 2004 bei der Münchner Biennale zur Uraufführung gebracht, wurde im Januar 2010 im Radialsystem neu inszeniert dem Berliner Publikum vorgestellt. Ein Mitschnitt ist nun beim Label NEOS erschienen, der zumindest den akustischen Nachvollzug erlaubt – obschon das beim Musiktheater eigentlich nur die halbe Miete sein dürfte.
Der Titel des Werkes nimmt Bezug auf eine Bibelstelle aus der Apokalypse: ‚ich bin das A und das O‘. Passenderweise artikulieren die Stimmen dann vor allem auch jene beiden Vokale, die sich mit den elektronisch verfremdeten Klängen der tiefen Instrumenten zu einem mystischen Klangraum verbinden. Doch Mark André beschränkt sich nicht auf das aufgehübschte Vortragen von Bibelstellen; Predigen ist seine Sache bei aller Gottesfurcht nicht. Als Zeitgitter für die Komposition wählt Andre eine Schachpartie Garry Kasparows gegen den Schachcomputer Deep Blue – in Anlehnung an Ingmar Bergmans Film ‚Das siebte Siegel‘, in dem der Kreuzritter Block mit dem Tod um sein Leben Schach spielt. Man hört förmlich die Denkpausen des Spielers in denen die Musik fast zum Verstummen kommt, und dagegen die maschinenhafte Unerbittlichkeit und Rasanz der computerisierten Züge.
Gegen Ende des Werkes erklingt aus den Lautsprechern eine Montage, die Mark André ‚Phantomzug‘ nennt, was nicht nur Bezug auf ebenjene Schachpartie nimmt, sondern auch auf ein grausames Ereignis im Holocaust, auf die Deportation von Gefangenen in sengend heißen Viehwaggons. Die Musik wird dabei fast unerträglich realistisch, bevor sie im wahrsten Wortsinne erstirbt.
Unter der Leitung von Gerhardt Müller-Goldbloom sorgt das Ensemble work in progress gemeinsam mit dem Vokalconsort Berlin für eine unerhört dichte, in manchen Momenten schon spirituelle Atmosphäre. In der live-elektronischen Verfremdung wird ihre Musik zur Sprache, und Sprache, wie die immer wieder eingeblendeten, geflüsterten Bibeltexte, wird Musik, ganz in der Tradition eines Helmut Lachenmann, der mit seiner Oper 'Das Mädchen mit den Schwefelhölzern' einst angetreten ist, den Stadttheaterbetrieb umzuwälzen.
Für die technisch vorzüglichen Bedingungen der Aufnahme sorgt das kompetente Personal des Experimentalstudios in Freiburg, das auch für die Live-Elektronik des Werkes verantwortlich zeichnet. Durch geschickte Aussteuerung der kontrastreichen Klangsprache, die von brutalen Ausschlägen zu nur noch unterschwellig wahrnehmbaren Geräuschfeldern reicht, entsteht ein wunderbares Hörtheater.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Andre, Mark: ...22, 13... A Music-Theatrical Passion |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Neos 2 01.08.2013 |
Medium:
EAN: |
SACD
4260063110672 |
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Neos NEOS das neue Label für Zeitgenössische Musik, das seit Mitte Mai 2007 auf dem deutschen, seit Oktober 2007 auch auf dem internationalen Markt präsent ist. Im Zentrum der Neuveröffentlichungen stehen Kompositionen des 20. und 21. Jahrhunderts - die Betonung liegt dabei auf Welt-Ersteinspielungen. Mehr Info... |
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