
Brahms, Johannes - Werke für Chor und Orchester
Luzider Brahms
Label/Verlag: Phi
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Schlank und präzis interpretiert von Philippe Herreweghes Collegium Vocale Gent und dem Orchestre des Champs-Elysées.
Philippe Herreweghes Beschäftigung mit dem klassisch-romantischen Repertoire hat konzertant und diskographisch schon reichlich Frucht getragen. Wobei – man möchte sagen: natürlich – die Wertschätzung seiner historisch informierten Arbeit in diesem Bereich der musikhistorischen Überlieferung durchaus nicht eindeutig ausfällt. Doch kann, wer je etwa Herreweghes Brahms im Konzert gehört hat, durchaus nachvollziehen, worin der Reiz des im Dirigat oft hochnervösen Ansatzes liegt: Herreweghe und seine Ensembles finden zu luzider Intensität, musizieren entschlackt, unverstellt und doch nie karg oder blutleer. Dass bei solchem Ansatz Strukturklarheit und klangliche Plastizität gleichfalls Ergebnisse sind, ist dann weit mehr als nur ein schöner Nebeneffekt.
Also verdient die aktuelle Platte mit Kompositionen von Johannes Brahms einige Aufmerksamkeit. Ihr Programm vereint das 'Schicksalslied' op. 54, die 'Alt-Rhapsodie' op. 53, den 'Gesang der Parzen' op. 89, den 'Begräbnisgesang' op. 13, und die große Motette 'Warum ist das Licht gegeben dem Mühseligen' op. 74/1. Getragen wird die Interpretation von Herreweghes vielfach bewährtem Collegium Vocale Gent, dem Orchestre des Champs-Elysées und in der 'Alt-Rhapsodie' von der schwedischen Altistin Ann Hallenberg.
Herreweghe entfaltet das 'Schicksalslied' aus verhaltenem Beginn sehr fein, in schwebender Grundhaltung, mit geduldig ausdifferenzierter dynamischer Geste. Dabei ist auffällig, wie wenig die große Klanggestalt permanent herausdrängt, sondern vielmehr Ziel- und Höhepunkt ist, als intensiver Moment am Ende musikalischer Entwicklung. Auch im archaisch harmonisierten, zudem in farbenreicher Instrumentierung gesetzten Begräbnisgesang erhärten sich diese Befunde, wenngleich es hier vor allem der dynamisch sehr kontrolliert sich steigernde Chor ist, der diese Entwicklung plastisch macht. Gleichfalls in diesem Frühwerk Brahms’ wird deutlich, wo durchaus eine Grenze dieses interpretatorischen Zugangs liegt: Herreweghe bleibt die existenzielle Wucht, die gerade dem düster textierten 'Begräbnisgesang' innewohnt, letztlich fremd. Auch das Schwere klingt bei Herreweghe gut ausgeleuchtet, auch das trauerumflorte bleibt gefasst und verstanden.
Die schwedische Altistin gewinnt in der 'Alt-Rhapsodie' durchaus dramatische Größe, dabei stets ihren wunderbar gerundeten Ton in den harmonisch verblendeten Registern präsentierend. Den interpretatorischen Höhepunkt bietet die in ihrer kompositorischen Größe erratische Motette 'Warum ist das Licht gegeben dem Mühseligen'. Hier formt Herreweghe den Chor zu herausragender Plastizität in gebändigter Größe, dabei eine luzide, dynamisch ungemein reich gestufte Klanggestalt erzielend.
Relativ große Besetzung klar disponiert
Wichtigster interpretatorischer Träger der Einspielung der Platte ist also nicht von ungefähr das Collegium Vocale Gent: Der mit 45 Vokalisten umfangreich besetzte Chor fühlt sich in den von Herreweghe gezeichneten feinen Linien hörbar wohler als in üppiger Kraftentfaltung. Die Register sind trotz einiger Größe klar konturiert und musizieren in meist präziser Diktion, allenfalls gelegentliche Ungenauigkeiten bei Textabsprachen sind kritisch anzumerken. Besonderen Eindruck macht die ausgeprägte Legatokultur des Chors, die, darin den Erfahrungen der Interpretation älterer Musik Rechnung tragend, nichts bedeckt oder vermengt, aber doch für die Darstellung ausgeprägter musikalischer Bögen sorgt und Brahms als konstruktiv starken Komponisten präsentiert.
Das ebenfalls nicht schmal besetze Orchestre des Champs-Elysées bevorzugt wie der Chor eindeutig den feinen Strich und eher schmale Gesten in kontrollierter Klangentfaltung. Um Missverständnissen vorzubeugen: Der Klang wird tatsächlich in allen dynamischen Sphären entfaltet, aber eben nicht in über schäumender Geste, sondern in fokussierter Kontrolle. Auch dieser Umstand trägt zu einer enorm plastischen Wirkung des in mancher Passage vielfältig besetzten Orchesterapparats bei. Dennoch integriert Herreweghe alles artikulatorisch Kleinteilige in eine weit gespannte lineare Entfaltung.
Das noble, harmonisch gebaute Klangbild unterstützt diesen Ansatz nachhaltig. Es ist klar dimensioniert, ansprechend balanciert und in der Summe ungemein passend für diesen in etlichen Aspekten eher verhalten aufgefassten Brahms. Herreweghes Brahms ist durchdacht und klug konzipiert. Er ergeht sich nicht in haltloser Düsternis und entbehrt in manch gesteigerter Geste daher konsequenterweise einer gewissen schicksalhaften Unerbittlichkeit. Wer also bei Brahms das Existenzielle sucht, wird es hier nur in klar ausgeleuchteter Version finden. Darin ist Herreweghe aber sehr konsequent und dank seiner enorm qualifizierten Ensembles absolut überzeugend.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Brahms, Johannes: Werke für Chor und Orchester |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Phi 1 01.01.2012 |
Medium:
EAN: |
CD
5400439000032 |
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Phi Der griechische Buchstabe φ (PHI - die Übereinstimmung mit den Initialen von Philippe Herreweghe ist nicht ganz zufällig) versinnbildlicht die Ambitionen des Labels. Er ist das Symbol für den goldenen Schnitt, für die Perfektion, die man in den Staubfäden der Blumen findet, für griechische Tempel, Pyramiden, Kunstwerke der Renaissance oder für die Fibonacci-Zahlenfolge. Seit der frühesten Antike steht dieser Buchstabe im eigentlichen Sinne für Kontinuität beim Streben nach ästhetischer Perfektion. Mehr Info... |
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