
Bach, Johann Sebastian - Johannes-Passion
Auf Händen getragen
Label/Verlag: Brilliant classics
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Eine flüssige, von hoher Musikalität zeugende, locker rhythmisierte Johannespassion von J. S. Bach legen der King’s College Choir und das Brandenburg Consort unter Stephen Cleobury bei Brillant Classics als CD und DVD vor.
Die erste seiner großen Passionen, die noch 1723 in Köthen begonnene Johannespassion, hat Bach zwei Jahre später in Leipzig überarbeitet. Da dürfte er bereits mit der verschollenen Lukaspassion beschäftigt gewesen sein. Stephen Cleobury stellt mit dem Chor des britischen King’s College Cambridge und dem Brandenburg Consort nun die Ergänzungsstücke der Johannespassion von 1725 in seiner jetzt bei Brillant Classics als CD und DVD herausgekommenen Aufführung nebeneinander. Es handelt sich bei den Überarbeitungen um den Einganschor, den Schluss-Choral und drei Arien. Die fünf ausgetauschten Nummern sind insgesamt zielgerichteter und wuchtiger als die originalen Entsprechungsstücke von 1723. Sie schienen Bach insofern wohl besser zur dramatischen Gesamtanlage seiner Johannespassion vor allem in ihrem zweiten, die Verurteilung thematisierenden Teil zu passen.
Das Nebeneinander der Stücke aus der ersten und zweiten Fassung hat die Produzenten der 1995 in der Kirche des King’s College eingespielten Aufführung dann doch selbst verwirrt: In dem leider nur in englischer Sprache gefertigten Beiheft der 2012 auf Tonträger produzierten Doppelversion von CD und DVD sind für die DVD die Stücke der üblichen Erstfassung von 1723 angezeigt, zu sehen ist aber die überarbeitete Version von 1725. Gleiches gilt für die Track-Liste der DVD (Erstfassung angekündigt, Überarbeitung gespielt). Die beiden CDs enthalten dann im durchgehenden Abspiel-Durchlauf wirklich die Originalversion und in einem Anhang zusätzlich die fünf später veränderten Nummern, wodurch die beiden CDs eine um 24 Minuten längere Spieldauer haben.
Hat man dieses editorische Durcheinander erst einmal enträtselt, hört man eine maßstäbliche und mustergültige Einspielung. Auf der DVD sieht man zusätzlich eine behutsam aufgezeichnete, dezent-festliche Aufführung mit den Chorsängern in den feierlichen anglikanischen Ministrantenkitteln. Der ganz in der Sache aufgehende Dirigent Stephen Cleobury lässt seinen kleinen Apparat sehr transparent, oft bewusst undramatisch agieren. Es wird leicht artikuliert, oft fast fröhlich und spielerisch musiziert. Dennoch erweist sich der 36-köpfige King’s College Choir aus Knaben und jungen Männern nicht nur von kantabler Musikalität, sondern augenblicklich schlagfertig und in den Volkschören sehr beweglich, ohne je aufgeregt zu wirken. Die Choräle sind fein ausphrasiert, wobei in keinem Fall geschleppt wird; im Vortrag ist man dem gut beherrschten deutschen Wort verpflichtet. Cleobury favorisiert am Choralende Ritardandi und stuft auch Strophen bei Wiederholungen feinsinnig ab (etwa ‚Wer hat dich so geschlagen?‘).
In den motettischen Chören agiert der Cambridger Chor mit stupender intonatorischer und rhythmischer Sicherheit, in zügigem Duktus und klangrund. Alle Passagen atmen eine hohe Natürlichkeit. Der Gekreuzigte scheint da jenseits aller Leidenspein wie auf Händen getragen. Man kann sich gerade die Turba-Chöre in stärkerer Besetzung dramatischer und schneidender vorstellen, sich insgesamt eines dramatischeren Gestus’ befleißigend wie einst bei Karl Richter oder auch in den Einspielungen der auch in stärkerer Phalanx singenden Leipziger Thomaner. Hier beim King’s College bleibt alles sehr locker und in luftiger Eleganz, man höre etwa in den Chor 'Lasset uns den nicht zerteilen' hinein.
Unaufdringliche Leuchtkraft
Das Brandenburg Consort brilliert vornehmlich in den Arienbegleitungen mit feinsinnigem Bläserspiel. Es wird sehr lautmalerisch agiert, die Leuchtkraft ist unaufdringlich. Auch hier ist eine Passion ohne Erdenschwere zu erleben. Cleobury begreift die Counter-Arie 'Es ist vollbracht' mit der siebensaitigen Gambe als delikates Zentrum. Die kontrapunktische Grundierung könnte dafür allerdings hier und da markanter sein. Auch ist die Rhythmisierung in der Bass-Chor-Nummer 'Eilt, ihr angefochtnen Seelen' nicht profiliert genug. Das ist allerdings auch eine Frage der Tontechnik, die hier die Chorstimmen zu sehr im Hintergrund lässt. Gleiches gilt für die Choral-Arie 'Mein teurer Heiland, lass dich fragen'.
Keine Wünsche offen bleiben beim Evangelisten des hellen, stets unangestrengt lockeren John Mark Ainsley. Mit seiner phänomenal text-farblichen Gestaltungsfähigkeit vermag er immer wieder zugespitzt zu dramatisieren, nachdem er sich voller Einfühlungsvermögen ins Passionsgeschehen ohne zu lautes Vermelden eingebracht hat. Für den Christus ist Stephen Richardson mit einer hohen Bass-Stimme eingesetzt, der entsprechend in der Höhe am kantabelsten ist, in tiefen Passagen gelegentlich etwas an präzisem Sitz verliert. Die Sopran-Arien ziseliert Catherine Bott mit nicht gerade großer Stimme in sauberer Linienführung. In den Alt-Soli schwebt der Counter Michael Chance als fröhlich erlöste Seele, die um die Heilsgewissheit nicht bange ist. Mit lyrischer Biegsamkeit und in flinker Dramatik gestaltet Paul Agnew die Tenor-Arien sehr kultiviert. Die Pilatus-Worte und die Bass-Arien gestaltet Stephen Varcoe mit beeindruckender, profunder Präzision und verliert auch in kleinsten Metren nichts an Tragfähigkeit.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: Features: Regie: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Bach, Johann Sebastian: Johannes-Passion |
|||
Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Brilliant classics 2 03.03.2012 |
Medium:
EAN: |
CD DVD
5028421944005 |
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