> > > Mozart, Wolfgang Amadeus: Idomeneo
Dienstag, 5. Dezember 2023

Mozart, Wolfgang Amadeus - Idomeneo

Historisch interessant


Label/Verlag: Immortal Performances
Detailinformationen zum besprochenen Titel


Der vorliegende Mitschnitt der 'Idomeneo'-Aufführung vom 14. Juli 1951 unter Fritz Busch verlangt vom heutigen Mozartpuristen viel Geduld und Durchhaltevermögen. Historisch ist das aber allemal interessant!

Wolfgang Amadé Mozarts für München geschaffene Oper 'Idomeneo' gehört lange Zeit zu den wahren Sorgenkindern der Mozart-Rezeption. Das Werk hatte eine eigentümliche Stellung, da es auf der einen Seite stets hochgelobt worden ist, auf der anderen Seite aber als nahezu nicht aufführbar galt. Es handelt sich bei dieser Oper – dies muss auch aus heutiger Perspektive zugegeben werden – um ein eigenwilliges Zwitterwesen aus Opera seria und Tragédie lyrique, das hohe Ansprüche an Ausführende wie Zuhörer stellt. Lange wurde daher im 19. und 20. Jahrhundert nach einer Fassung gesucht – bekanntlich hinterließ Mozart zwei davon –, die dieses Werk für die Gegenwart zu ‚retten‘ vermochte. Die wohl bekanntesten, aber deshalb auch umstrittensten Versuche gehen auf Ermanno Wolf-Ferrari und Richard Strauss zurück. Der ‚Fehler‘, der ihnen vor allem vorgeworfen werden kann, ist der, sich am Mozart‘schen Notentext nicht nur vergriffen, sondern ihm auch eigene musikalische Gedanken hinzugefügt zu haben.

Mit dem vorliegenden Aufführungsmitschnitt des Jahres 1951 unter Fritz Busch wird ein weiteres Kapitel der 'Idomeneo'-Rezeptionsgeschichte in ihren Um- und Abwegen beleuchtet. Für diese durchaus als legendär zu bezeichnende Erstaufführung des Werks beim Glyndebourne Festival richtete der Komponist und Musikwissenschaftler Hans Gál die Partitur der Oper so ein, dass sie zum einen den Sängerinnen und Sängern gerecht werden konnte und zum anderen den Aufführungsbedingungen des Festivals wie auch dem Zeitgeschmack entsprach. Vom heutigen Standpunkt aus gesehen, greift Gál dabei durchaus fundamental in den Notentext ein, indem er vor allen Dingen Streichungen und Straffungen vornahm und dabei gleich die ein oder andere unliebsame Koloratur beseitigte. Was heute schon fast als Sakrileg gelten muss, ist im Verhältnis zu dem, wie stark beispielsweise Richard Strauss in das Stück eingegriffen hat, als Pionierleistung anzuerkennen. Wer mit Mozarts 'Idomeneo' vertraut ist, wird sich beim Hören das ein oder andere Mal sehr wundern.

Die Ausführung selbst ist gekennzeichnet durch erstaunlich flotte Tempi, die Fritz Busch hier anschlägt. Der Orchesterklang, den das Royal Philharmonic Orchestra verströmt, ist angenehm beweglich und versprüht einen Hauch Klassizismus, wie er in solchen alten Aufnahmen von Werken des 18. Jahrhunderts nicht immer anzutreffen ist. Auch der Glyndebourne Festival Chorus konnte sich mit seiner Rolle anfreunden, wenn auch seine Leistung oft durch die damals zur Verfügung stehende Aufnahmetechnik geschmälert wird. Bedacht werden muss schlicht, dass hier noch nicht die ‚glückseligen‘ Zeiten der historisch informierten Aufführungspraxis angebrochen sind.

Dies gilt auch für die Interpretation der Solisten, die sich mit den ihnen anvertrauten Aufgaben nicht immer leicht tun. Richard Lewis in der Hauptrolle wurde beispielsweise durch Gál von einer Vielzahl an Koloraturen entbunden und kann so mit seiner fast etwas zu lyrischen Stimme den leidenden Titelhelden portraitieren. Ein kleiner Lichtblick ist die am Anfang ihrer Weltkarriere stehende Sena Jurinac als Illia. Sie gibt ein hinreißendes Portrait ihrer Partie, welches von ihrer später legendär gewordenen hellen und reinen Stimme profitiert. Sie ist es auch, die sich mit dem verbliebenen Koloraturengewicht am Leichtesten tut. Auch Léopold Simoneau, wohl einer der Mozart-Tenöre des vergangenen Jahrhunderts, entledigt sich spielend seiner Aufgabe als Idamante. Seine feine lyrische Tenorstimme ist auf diesem Mitschnitt stets sauber geführt und täuscht über die Unzulänglichkeit einer Besetzung der Partie mit einem Tenor sehr gut hinweg.

Das Sorgenkind unter den vier Protagonisten ist zweifelsohne der Name, der Wagner- und Strauss-Liebhaber eine Jahre später schwach werden lässt. Die junge Birgit Nilsson als Elettra passt ganz und gar nicht zur Partie. Wenn auch ihre ersten beiden Arien nicht schlecht gesungen sind, so sie ist noch überfordert mit dieser Aufgabe. Über ihre Arie im dritten Aufzug, die von Gál stark gekürzt worden ist, sei hier vornehm der Mantel des Schweigens gebreitet. Die Töne wollen nicht recht sitzen und das, was an Koloraturen übriggeblieben ist, rattert ganz gewaltig. Dies gilt auch für manche Ensembleleistung, die der 'Idomeneo' bereithält. Vor allem das Quartett im dritten Akt ist auf diesem Mitschnitt ein Beispiel dafür, wie schwierig es sein kann, in einer Ensemble-Nummer eine gemeinsame Intonation zu finden.

Wer auf der Suche nach einer rundum überzeugenden Aufnahme von Mozarts 'Idomeneo' ist, sollte um diese Aufnahme wohl besser einen Bogen macht. Wem es aber daran gelegen ist, einen Blick auf Mozart-Rezeption der 50er Jahre zu werfen, für den mag dieses Album durchaus spannend sein. Bei einer solchen Entdeckungsreise ist ihm im übrigen ein gut gestaltetes Booklet mit zwei lesenswerten englischsprachigen Aufsätzen über und zu diesem von Immortal Performances veröffentlichten Mitschnitt behilflich, dem aber leider (wie bei Veröffentlichungen historischer Aufnahmen oft der Fall) der Text zu dieser Oper fehlt.

Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert: 
Booklet:




Simon Haasis Kritik von Simon Haasis,


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    Mozart, Wolfgang Amadeus: Idomeneo

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Anzahl Medien:
Immortal Performances
1
Medium:
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CD
625989657825


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Immortal Performances

Immortal Performances returns with new CD releases, this time on its own label. This Canadian-based, federally chartered, non-profit archive has gathered a huge number of historic broadcasts gathered over a 50-year period. Their first 48 albums were released by Naxos, followed with 53 albums by Guild Music. Both companies originally formed their Historical label series in order to release Immortal Performances? restorations. Immortal Performances has spent the past three years searching for the original and finest sources of many historic broadcasts. It has now assembled 48 CD albums of exceptional importance that it proposes to release, the first 8 sets of which are available now. These albums offer the finest sound in the historic-era genre and include extensive notes about the singers, the performance and composer, with biographies and rare production photos. Immortal Performances will continue releasing complete Toscanini broadcasts (1935-1954), exciting recordings from the Metropolitan Opera and European Opera Houses, the Russian Legacy as well as operatic broadcasts in association with Busch Brüder Archiv in Germany and the National Library of Canada. Richard Caniell, its archivist and chief guiding light says, ?I hope our forthcoming releases will corroborate our logos, The Ultimate in Historic Broadcast Recordings.?


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