
Werke von japart, Desprez, Obrecht - Lieder
Schlichte Schönheit
Label/Verlag: Christophorus
Detailinformationen zum besprochenen Titel
haben unter Einsatz eines breiten historischen Instrumentariums weltliche Musik des eher unbekannten Renaissance-Komponisten Jean Japart und seiner Zeitgenossen eingespielt und dabei ein hörenswertes Programm zusammengestellt.
Der Sängerkomponist Jean Japart scheint zu jenen Persönlichkeiten der Geschichte zu gehören, die in ihrer Zeit die Bewunderung ihrer Umwelt für sich gewinnen konnten, über deren Leben und Wirken der Nachwelt aber nur wenig bekannt ist. Vermutlich wurde Japart um das Jahr 1450 herum in der Picardie im Norden Frankreichs geboren. Die erste gesicherte Erwähnung führt ihn als einen Sänger der herzoglichen Kapelle in Mailand auf, von wo aus er 1477 an den Hof des Herzogs von Ferrara gelangte, an einen der musikalischen Brennpunkte jener Zeit. Quellen belegen, dass er sich dort der besonderen Gunst des Fürsten erfreute und womöglich noch vor dem Jahr 1481 verstarb. Es hat zahlreiche Versuche seitens der Biografieforschung gegeben, ihn mit verschiedenen Musikern ähnlichen Namens zu identifizieren, doch dabei handelt es sich lediglich um Spekulationen. Offiziell verlieren sich seine Spuren im Dunkel der Geschichte. Interessant scheint die Hochachtung, die ihm zum einen seitens seines Komponistenkollegen Josquin Desprez‘ zu Teil wird, welcher Japart als der einzigen Persönlichkeit neben Johannes Ockeghem einen musikalischen Nachruf widmete, und zum anderen durch den Publizisten Ottaviano Petrucci, in dessen ‚Harmonice Musices Odhecaton‘ Kompositionen Japarts in größerer Zahl abgedruckt wurden, als selbst jene der bekannten Meister seiner Zeit.
Lediglich 21 mit Sicherheit von Japart verfasste Stücke sind bekannt, die Zuschreibung von neun anderen ist strittig (im Booklet historisch korrekt mit einem Fragezeichen gekennzeichnet). Bei diesen Stücken handelt es sich um weltliche Chansons, die wahrscheinlich für Instrumentalensembles geschrieben und von dem Alte-Musik-Ensemble Les Flamboyants unter der Leitung von Michael Form nun in abwechslungsreicher Besetzung eingespielt wurden. Das Instrumentarium dieses Ensembles umfasst eine ganze Palette an Nachbauten historischer Gamben, Flöten, Trommeln und anderer heute in Vergessenheit geratener Instrumente, wodurch der schöne Effekt erzielt wird, dass jedes Stück durch verschiedenartige Instrumentenkombinationen individuell in seinen Klangfarben gestaltet werden konnte. Die Musik Jean Japarts, Josquin Desprez‘, Jacob Obrechts und anderer Zeitgenossen, die man auf dieser CD zu hören bekommt, ist vorwiegend polyphon, jedoch meiden Les Flamboyants die in der Zeit der Renaissance allgegenwärtige Vokalpolyphonie zugunsten seltener gehörter Instrumentierungen.
Die für die CD ausgewählten Stücke stellen Bearbeitung zeitgenössischer Liedmelodien dar und die Reihenfolge, in der sie erklingen, wurde anhand eines gut durchdachten Programms gestaltet: Der CD-Titel ‚Le Maitre de ‚Fricassée‘‘ bestimmt den Schwerpunkt des Programms, welches den Hörer in seinem Hörerlebnis hinführt zu Japarts Fricassées, der französischen Form einer im Deutschen unter dem Begriff Quodlibet bekannten Gattung. Diese kombiniert mehrere bekannte Melodien mit unterschiedlichem Text zu einem polyphonen Satz. Japart widmete sich in besonderem Maße dieser unter Musikern als Unterhaltungsspiel beliebten Form und griff dazu Weisen auf, die bereits von anderen Komponisten zu mehrstimmigen Kompositionen verarbeitet worden waren. Auf der CD erklingen nun abwechselnd Melodiebearbeitungen verschiedener Komponisten und die Bearbeitungen (der Bearbeitungen) Japarts sowie weitere seiner Chansons.
Die Mehrheit der Tracks ist, getreu der ursprünglichen Bestimmung der Musik Japarts, rein instrumental besetzt, eine besonders interessante und ungewohnte Wirkung wird jedoch immer dann erzielt, wenn die menschliche Stimme – hier diejenige der Mezzosopranistin Els Janssens-Vanmunster, auf einigen Tracks mit Unterstützung des Lautenspielers Marc Lewon – in einem polyphonen Satzgefüge als eine einzelne satztechnische Stimme behandelt wird und gemeinsam mit den anderen, instrumental besetzten Stimmen den Satz durchläuft, also nicht dominiert, wie es in der abendländischen Kunstmusik seit Beginn des 17. Jahrhunderts üblich ist, sondern sich als gleichwertiges Instrument mit ihren Partnern verflicht. Außerdem erklingen einige Monodien, Stücke mit improvisatorischem Charakter für eine einzelne Singstimme, unbegleitet oder mit Lautenbegleitung, welche für die musikgeschichtliche Betrachtung der Renaissance eine wichtige Rolle spielen, da diese Gattung als einzige klar den Bezug auf die Antike widerspiegelt, welcher in der bildenden Kunst und der Philosophie die Epoche so sehr beherrschte. Die Monodie wurde als die Wiederbelebung der Sangeskunst der alten Griechen angesehen, deren Möglichkeiten des Ausdrucks menschlicher Gefühle man nun als Ideal in der Musik verfolgte.
Ein besonderer Reiz, den diese Aufnahme ausübt, liegt darin begründet, dass sie den Hörer dazu anregt, sämtliche an der Musik des vorletzten Jahrhunderts geschulten Hörgewohnheiten zu hinterfragen. Denn viele der üblichen Kriterien gelten hier nicht: Statt linearer musikalischer Entwicklung im Zeitablauf findet in dieser Musik das simultane Durchschreiten eines Klangraumes statt, welches ein mehrdimensionales Hören erfordert, das gleichzeitig mehrere eigenständige Stimmverläufe erfasst und zu einem Gesamtbild zusammenfügt, ohne dass die Individualität einer jeden Stimme zugunsten des Gesamtklangs außer Acht gelassen würde. Die vorliegende CD erleichtert es dem Hörer, sich auf diese Erfahrung einzulassen, zum einen indem die in den verschiedenen Bearbeitungen wiederkehrenden Melodien ihm einen „roten Faden“ zur Orientierung auf seiner Entdeckungsreise bieten, zum anderen weil die abwechslungsreiche Instrumentierung immer neue Klangfarben entstehen lässt, die es zu erkunden gilt.
Ein solcher Eindruck des räumlichen Hörens kommt nicht zuletzt durch die hervorragende Klangqualität der Aufnahme zustande, die den Raumklang des Temple St. Jean in Mülhausen (im Elsass) bewusst mit einbezieht und somit ein harmonisches, rundes Klangbild schafft, das die Atmosphäre des Live-Musizierens wunderbar einfängt. Das Besondere an den Stücken Jean Japarts ist ihre gesteigerte instrumentale Virtuosität im Vergleich zu den vorangestellten Stücken anderer Komponisten, so dass beim Hören der CD der Eindruck entsteht, in letzteren würden die Außenwände des Klangraums skizziert, um im Folgenden von Japart mit musikalischen Ornamenten ausgefüllt zu werden. Les Flamboyants interpretieren jedes Stück als eine geschlossene Einheit und folgen somit korrekt den Eigenheiten der Renaissance-Musik: Dynamische Veränderungen spielen weniger eine Rolle, stattdessen wird durch den Einsatz historischer Instrumente und aufgrund der countertenoralen Einfärbung des Timbres Els Janssens-Vanmunsters in der Mittellage ein für Alte Musik charakteristischer, wunderschön sanfter, weicher Klang erzielt. Außerdem findet das Ensemble für jedes Stück ein ausgeklügeltes Tempo, das dem ruhigen, dabei aber stets vorwärts strebenden Fluss der Melodien freien Lauf lässt, wodurch ein reizvoller Eindruck hervorgerufen wird, der zugleich meditativ und belebend auf den Hörer einwirkt.
Gelungen ist auch die Aufmachung des Booklets, welches auf kompakte Art und Weise informativ und historisch korrekt gestaltet ist. Es enthält einen gut lesbaren Text von Michael Form mit Daten und Fakten zu Jean Japart und seinem Kompositionsstil, fotografische Momentaufnahmen der Ensemblemitglieder, die Texte der (französischsprachigen) Chansons mit deutscher Übersetzung und sogar eine Auflistung des Instrumentariums inklusive der Namen der Instrumentenbauer sowie der historischen Vorlagen für die Nachbauten.
Diese Aufnahme ist auf jeden Fall sehr hörenswert, ist aber nicht dazu geeignet, mal eben nebenbei konsumiert zu werden; sie entfaltet ihre ganz Wirkung erst, wenn man genau und konzentriert hinhört. Dann verspricht sie dem Hörer jedoch ein eindrückliches Hörerlebnis außerhalb des gewöhnlichen Erfahrungsbereichs. Das sorgfältig zusammengestellte Programm hat besonders für musikgeschichtlich interessierte Hörer viel zu bieten und es wurde seitens der Ausführenden mit feinsinnigem musikalischem Gespür ausgestaltet.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Werke von japart, Desprez, Obrecht: Lieder |
|||
Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Christophorus 1 01.11.2011 |
Medium:
EAN: |
CD
4010072773531 |
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Christophorus Christophorus ist das älteste deutsche Plattenlabel mit dem Schwerpunkt "Geistliche Musik". Es wurde 1935 gegründet, um religiöse Inhalte mittels Schallplatten und Bücher auch während des Nazi-Regimes zu verbreiten. Heute - mehr als 75 Jahre später - stehen spirituelle Themen weiterhin im Mittelpunkt des Labels, mit besonderem Interesse für unbekannte Werke und historische Interpretation. Gregorianische Gesänge, geistliche Vokalmusik, Musik der christlichen Kirchen und die Gesänge aus Taizé sind im Katalog ebenso vertreten wie Musik des Mittelalters und der Renaissance. Mit diesem Repertoire gilt Christophorus heute als eines der wichtigsten unabhängigen Labels auf dem internationalen Klassikmarkt. Mehr Info... |
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