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Samstag, 23. September 2023

Mahler, Gustav - Sinfonie Nr. 9

Lieblos und hinter den Möglichkeiten zurück


Label/Verlag: LSO Live
Detailinformationen zum besprochenen Titel


Valery Gergiev beendet seinen Mahler-Zyklus mit dem London Symphony Orchestra mit einem Mitschnitt der Neunten Symphonie. Die Einspielung bleibt weit hinter den Möglichkeiten einer gelungenen Interpretation zurück.

Musikerpersönlichkeiten wie Alban Berg und Anton Webern fanden nur rühmende Worte für das letzte vollendete symphonische Werk, welches Gustav Mahler der Nachwelt hinterlassen hatte. Ersterer urteilte sogar gegenüber seiner Frau, dass diese Symphonie das Allerherrlichste sei, was Mahler je geschrieben habe. Dies beweist mehr als deutlich, dass die Neunte Symphonie mehr als das letzte abgeschlossene Wort eines Komponisten in einer Gattung, für die er so viel geleistet hat, ist. Mahler hat mit ihr einen Samen gelegt, der für die Wiener Moderne zur Inspiration werden konnte. Ihre eigentümliche Form wie auch die Entstehung und das Vergehen der Themen lassen das, was die Wiener Moderne mit sich bringen wird, schon fahl erahnen. Kein Abschied also, sondern ein Aufbruch?

Valery Gergiev und das London Symphony Orchestra lassen davon wenig spüren, wenn sie zum Abschluss ihres gemeinsamen Mahler-Zyklus beim eigenen Label LSO Live eine Einspielung dieses Werkes vorlegen. Dieser Mitschnitt bleibt bedauerlicherweise weit hinter dem, was das Orchester leisten könnte und was wohl auch Gergiev, der alles andere ist als ein Mahler-Spezialist, bewerkstelligen könnte. Sicher, den ein oder anderen besonderen Mahler-Moment beinhaltet diese Einspielung, aber ihr fehlt der große Bogen, der Blick fürs Ganze.

Dies wird bereits im ersten Satz 'Andante comodo' deutlich. Das erste Thema desselben entsteht gewissermaßen aus dem Nichts. Es setzt sich langsam aus kleinsten Partikeln zusammen, die zwischen Bläsern, Harfe und Streichern hin und her gespielt werden, und entwickelt sich nach und nach zu einem ersten Höhepunkt. Diese Verdichtung vermag Gergiev nicht spannungsvoll zu vermitteln, und dabei ist der erste Satz in seinem Gesamtbild noch der stärkste dieser Einspielung.

Gar keine Freude machen vor allen Dingen die beiden Mittelsätze. Trotz sehr guter Einzelleistungen der Musiker des Orchesters bleiben diese beiden mehr als oberflächlich abmusiziert. Dies liegt mitunter an Gergievs unpassend flott gewählten Tempi, bei denen die Dämonie und gleichzeitig verächtliche Ironie der beiden Sätze auf der Strecke bleiben müssen. Dies wird besonders deutlich beim ersten Ländler-Thema des zweiten Satzes, der bekanntlich mit der Angabe 'Im Tempo eines gemächlichen Ländlers' überschrieben ist. Auch die 'Rondo-Burleske', der gefürchtete dritte Satz der Symphonie, wirkt schlicht überhetzt, so dass viele reizvolle Details, die Mahlers Symphonik mithin ausmachen, ohne Berücksichtigung bleiben müssen. Das gerät schon arg in die Nähe lieblosen Herunterspielens.

Das Stichwort ‚lieblos‘ kann auch für den letzten Satz gelten. Die herrliche Adagio-Kantilene, die wie eine tragische Schwester zur Apotheose der Dritten Symphonie wirkt, kann in Gergievs Interpretation kaum überzeugen. Da können sich die Streicher des LSO noch so viel Mühe in der richtigen Bogenführung und Entfaltung großer Klangschönheit geben. Als Lichtblick bleibt da einzig das langsame Zum-Stillstand-Kommen der Musik am Ende des Satzes, welches Gergiev das Orchester stilsicher ausführen lässt.

Alles in allem ist das eine technisch solide Einspielung von Mahlers Neunter Symphonie, aber sicherlich keine, die den Olymp der Mahler-Diskographie erklimmen wird. Zu vieles bleibt da an der Oberfläche. So vermisst man die nicht enden wollende Emphase eines Leonard Bernstein, den kühlen, doch stets anregenden analytischen Weitblick eines Pierre Boulez oder die schiere Klangschönheit eines Bruno Walter.

Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert: 
Booklet:




Simon Haasis Kritik von Simon Haasis,


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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:



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    Mahler, Gustav: Sinfonie Nr. 9

Label:
Anzahl Medien:
Veröffentlichung:
LSO Live
1
01.09.2011
Medium:
EAN:

CD
822231166825


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LSO Live

Einspielungen des Labels LSO Live vermitteln die Energie und Emotion der großartigsten Aufführungen mit höchster technischer Qualität und Finesse.

Liveaufzeichnungen bedeuteten früher gewöhnlich Kompromisse, aber heutzutage kann mit Hilfe der besten Aufnahmetechnik im Konzertsaal die Vitalität festgehalten werden, die im Studio so schwer nachzustellen ist.
Durch das Zusammenschneiden mehrerer Aufführungen können wir eine Vorlage schaffen, die die Spannung einer Konzertaufführung ohne unerwünschte Nebengeräusche bewahrt.

Seit 2000 veröffentlichte das LSO Live über 80 Alben und nahm zahlreiche Preise entgegen. Das London Symphony Orchestra war schon früher das am meisten aufgenommene Orchester der Welt, hatte es doch für zahlreiche Plattenfirmen gearbeitet und viele der berühmtesten Filmmusiken eingespielt. Die Investition in unsere eigenen Aufnahmen ermöglicht dem Orchester jedoch abzusichern, dass jede Veröffentlichung den höchsten Qualitätsansprüchen genügt und das Hören der besten Musik allen Menschen zugänglich ist.

Das LSO Live war eines der ersten klassischen Plattenfirmen, die Downloads anboten, um ein breiteres Publikum anzusprechen. Wir geben auch unsere Einspielungen im SACD Format (Super Audio Compact Disc) heraus. SACDs lassen sich auf allen CD-Spielern abspielen, ermöglichen aber den Hörern mit speziellen SACD-Spielern den Genuss eines hochaufgelösten, mehrkanaligen Klangs.

London Symphony Orchestra
Das London Symphony Orchestra wurde 1904 von einer Gruppe von Musikern gegründet, die für den Dirigenten Henry Wood spielten. Sie wollten ihr eigenes Orchester leiten und die Wahl haben, mit welchen Dirigenten sie zusammenarbeiteten. Sie beschrieben das LSO als eine musikalische Republik, und das Orchester war über Nacht ein Erfolg.

Heute gibt das LSO ungefähr 70 Konzerte pro Jahr in London und bis zu 90 auf Tournee. Es ist regelmäßig auf Konzertreise durch Europa, Nordamerika und im Fernen Osten. Waleri Gergijew ist seit 2007 Chefdirigent des LSO und Sir Colin Davis sein Präsident.

Das LSO organisiert auch das in der Welt am längsten laufende und umfangreichste Bildungsprogramm eines Orchesters: LSO Discovery. Mit seinem Sitz im Londoner Musikbildungszentrum LSO St Lukes schafft Discovery die Möglichkeit für Menschen aller Altersgruppen und Veranlagungen, mit Musikern des LSO zusammenzuarbeiten, etwas über Musik zu lernen und ihre Fertigkeiten zu entwickeln.


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