> > > Werke von Beethoven: Klavier-Konzerte Nr.1-2
Freitag, 31. März 2023

Werke von Beethoven - Klavier-Konzerte Nr.1-2

Der große Gilels


Label/Verlag: Brilliant classics
Detailinformationen zum besprochenen Titel


Gerade sind Live-Aufnahmen aller Klavierkonzerte Beethovens mit Emil Gilels und Kurt Masur aus dem Jahre 1976 neu erschienen. Sie zeigen die große Kunst dieser beiden Musiker.

Dass eine Pianistin oder ein Pianist alle fünf Beethoven‘schen Klavierkonzerte spielt, ist keine Selbstverständlichkeit. So hat Svjatoslav Richter niemals das Vierte und Fünfte Klavierkonzert von Beethoven öffentlich gespielt, Martha Argerich niemals das Vierte und Vladimir Horowitz niemals gar die Klavierkonzerte Nr. 1 bis 4. Dass ein Pianist alle fünf Konzerte in einem Jahr öffentlich spielt, ist noch außergewöhnlicher. Und dass er noch alle mitschneiden lässt, ist fast einzigartig. Emil Gilels hat das getan: im Jahre 1976, gemeinsam mit dem Staatlichen Symphonieorchester der UDSSR unter der Leitung von Kurt Masur. Doch erst jetzt, 35 Jahre später, sind die Aufnahmen von Brillianz Classics wieder zugänglich gemacht geworden und in einer CD-Box erschienen.Leider gibt das ‚CD-Booklet‘ (in Wahrheit ein zweiseitiges Heftchen) kaum informative Hinweise, schon gar nicht zu diskographischen Belangen der Aufnahme. Es enthält lediglich eine Titelliste und eine Biographie Gilels‘: kein Bild und wenig Sorgsamkeit. Gewissermaßen als Zugabe finden sich auf den CDs zusätzlich noch Beethovens Klaviersonaten Nr. 12 und 16, die ebenfalls im Jahre 1976 bei Konzerten Gilels‘ aufgenommen wurden.

Die Klavierkonzerte

Die ersten Sekunden der Aufnahme erinnern in ihrer Klangqualität an das Anlaufen einer Schallplatte, die aber bald ihren Rhythmus gefunden zu haben scheint. Stolz eröffnet das Orchester unter Kurt Masur das Erste Klavierkonzert. Das erste Forte strahlt. Und auch wenn die Aufnahme gelegentlich Stimmen im dumpfen Wirrwarr verschluckt, geht kein bisschen der Leidenschaft verloren, die von Beginn an hörbar ist. Diese Leidenschaft ist, neben der Anschlagskultur von Emil Gilels und einem intuitiven Zusammenspiel von Orchester, Dirigent und Pianist, das, was diese Aufnahme der fünf Klavierkonzerte Beethovens so besonders macht. Das gesamte Erste Klavierkonzert erklingt frisch, der zweite Satz besticht besonders durch rührende Schlichtheit. Gilels spielt plastisch und satt, er legt Stimmen offen, die bei vielen anderen Aufnahmen im Verborgenen blieben. Was für ein dritter Satz, was für ein Tempo! Keck und voller Elan tänzeln der Pianist und Kurt Masur durch das Rondo.

Als könne er seinen Einsatz kaum erwarten, beginnt Emil Gilels im Zweiten Klavierkonzert nach der Orchestereinleitung. Das 'Adagio' ist frei von falschem Pathos, fast zerbrechlich mit einem Rubato, das – um mit Liszts Worten zu sprechen – ‚wie das sachte Wiegen eines Baumes im Wind‘ ganz unaufdringlich diesen Satz organisch werden lässt. Das Rondo des B-Dur-Konzerts hat herrlichen Schwung, ja es scheint geradezu zu swingen. Im Dritten Klavierkonzert, das als einziges der fünf Klavierkonzerte in Moll steht, fesselt der Pianist mit gelegentlich harschem Anschlag in kraftvollen Passagen. Hier seien einmal die fantastischen Holzbläser des Staatlichen Symphonieorchesters der UDSSR gewürdigt, die mit ihren solistischen Einlagen immer wieder Impulse des Pianisten aufnehmen und für Farbigkeit sorgen. In der Kadenz des 'Allegro'-Satzes entwickelt Gilels eine unbändige Kraft, die erst im Schluss dieses ersten Satzes entladen wird. Im zweiten Satz treten die Streicher hervor und erweisen sich als großartige, kammermusikalische Partner.

Allgemein bleibt für die ersten drei wie für die letzten zwei Klavierkonzerte auf dieser Aufnahme festzuhalten: Hier findet echte Kammermusik statt, hier nimmt man sich den entscheidenden Moment mehr Zeit, um die Musik voll auszukosten. Und Emil Gilels ist ein kraftvoller Pianist, der in den Beethoven‘schen Klavierkonzerten genau jene Mischung aus Wucht und Lyrik zu finden scheint, die seinem Naturell entspricht. In Verbindung mit seinem wachen Geist und ehrlicher Leidenschaft sind diese Konzerte Zeugnisse großen Musizierens. Kurt Masur treibt sein Orchester in große Höhen: Das Staatliche Symphonieorchester der UDSSR scheint von den beiden Künstlern inspiriert und präsentiert sich in Höchstform.

Gilels erzählt Beethovens Sonaten Nr. 12 und 16

Die Klaviersonate Nr. 12 in As-Dur beginnt mit einem 'Andante' und Variationen. Das rührende Thema, von Gilels mit Sorgfalt vorgetragen, wird dabei von allerlei musikalischen Einfällen umschlungen und versteckt. Gilels gelingt es dennoch, die Themengestalt immer in den Vordergrund treten zu lassen, sei es zaghaft oder entschlossen. Nach einem kräftigen, gestochen scharfen 'Scherzo' folgt der 'Marcia funebre', der den Untertitel ‚Über den Tod eines Helden‘ trägt. Es ist der Tod eines stolzen Helden, den Gilels da heraufbeschwört. Gnadenlos greift er die düstersten Mollakkorde. Als wäre nichts gewesen, beginnt das abschließende 'Allegro' wieder im anfänglichen Dur, nur in wenigen Momenten, wenn der Pianist schreiende Akkorde in den Saal schmettert, flammen die Leiden aus Scherzo und Marsch wieder auf.

Die Eröffnung von Klaviersonate Nr. 16 macht ein im Großen und Ganzen unbedarftes, tänzerisches 'Allegro vivace'. Manch einer würde durch diese Satz wohl unsicher wie auf Glatteis schlittern, doch Gilels ist selbst im feinsten Piano präzise und frei von jeder Unsicherheit. Es ist häufig das leicht Klingende, das so schwer zu realisieren ist. Im folgenden 'Adagio gracioso' wird der tänzerische Charakter des ersten Satzes beibehalten. Die Verzierungen scheinen aus den Händen des Pianisten nur so zu sprühen und klingen wie improvisiert, ohne an Exaktheit zu verlieren. Das 'Adagio' verdunkelt sich, tragende Bässe füllen den Raum. Gilels schafft fesselnde Spannung und schärft das Ohr so sehr, dass man beim plötzlichen Husten aus dem Zuschauerraum aufschreckt. Jede Note wird von ihm geformt und scheint Teil einer Geschichte, die nur er kennt, aber allen erzählen möchte. Ein Stück wie dieses 'Adagio' kann leicht langweilig werden und seinen Zauber verlieren, wird es nicht mit großer Kunst und Erzählkraft vorgetragen. Es folgt ein Rondo, das in seinem Gestus an den ersten Satz anschließt. Das Ende der Sonate ist ein Witz, und Gilels spielt mit der Pointe kokett wie ein Witze-Erzähler, der weiß, dass alle Ohren gebannt ihm lauschen.

Kurzum, wer vorhat, sich alle Klavierkonzerte Beethovens zuzulegen, dem sei diese Aufnahme ans Herz gelegt. Und wem Beethovens Musik bisher nicht ans Herz ging, dem sei auch diese Aufnahme ans Herz gelegt. Und wer den großen Emil Gilels auf dem Höhepunkt seiner Kunst erleben möchte, dem sei sie ebenfalls ans Herz gelegt. Allen anderen übrigens auch.

Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert: 
Booklet:




Kritik von Felix Lüttig,


Dieser Beitrag hat Ihnen gefallen? Empfehlen Sie ihn weiter!

Ihre Meinung? Kommentieren Sie diesen Artikel

Jetzt einloggen, um zu kommentieren.
Sind Sie bei klassik.com noch nicht als Nutzer angemeldet, können Sie sich hier registrieren.



Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:



Cover vergrößern

    Werke von Beethoven: Klavier-Konzerte Nr.1-2

Label:
Anzahl Medien:
Veröffentlichung:
Brilliant classics
3
02.09.2011
Medium:
EAN:

CD
5028421942919


Cover vergössern

Brilliant classics

Brilliant Classics steht für hochwertige Klassik zu günstigen Preisen!

Mit den Veröffentlichungen von komplettierten Gesamtwerks- Editionen und Zyklen berühmter Komponisten, hat sich das Label erfolgreich am Musikmarkt etabliert. Der Klassikmusikchef, Pieter van Winkel, ist Musikwissenschaftler und selbst Pianist. Mit seinem professionellen musikalischen Gespür für den Klassikmarkt, hat er in den letzten Jahren ein umfangreiches Klassikprogramm aufgebaut. Neben hochwertigen Lizenzprodukten fördert er mit Eigenproduktionen den musikalischen Nachwuchs und bietet renommierten Musikern eine ideale Plattform.


Mehr Info...


Cover vergössern
Jetzt kaufen bei...

Titel bei JPC kaufen


Weitere Besprechungen zum Label/Verlag Brilliant classics:

blättern

Alle Kritiken von Brilliant classics...

Weitere CD-Besprechungen von Felix Lüttig:

  • Zur Kritik... Virtuosität: Nebensache - Musik: Hauptsache: Die Live-Aufnahme der Schwetzinger Festspiele aus dem Jahr 1994 dokumentiert die große Klavierkunst des Pianisten Svjatoslav Richter in seinen späten Jahren. Weiter...
    (Felix Lüttig, )
  • Zur Kritik... Überzeugende Durchleuchtung: Ein junger, preisgekrönter Pianist spielt Rachmaninows Zweites Klavierkonzert und Werke von Liszt. Die Aufnahme mit Nobuyuki Tsujii, Yutaka Sado und dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin begeistert. Weiter...
    (Felix Lüttig, )
  • Zur Kritik... Kino im Kopf : Dian Baker und Eckart Sellheim faszinieren mit einer Aufnahme bislang nicht eingespielter Werke von Carl Reinecke für Klavierduo. Weiter...
    (Felix Lüttig, )

Alle Kritiken von Felix Lüttig...

Weitere Kritiken interessanter Labels:

blättern

Alle CD-Kritiken...

Magazine zum Downloaden

NOTE 1 - Mitteilungen (3/2023) herunterladen (5000 KByte)

Anzeige

Empfehlungen der Redaktion

Die Empfehlungen der klassik.com Redaktion...

Diese Einspielungen sollten in keiner Plattensammlung fehlen

weiter...


Portrait

Der Klarinettist Nicolai Pfeffer im Gespräch mit klassik.com.

"Auf der Klarinette den Sänger spielen, das ist einfach cool!"
Der Klarinettist Nicolai Pfeffer im Gespräch mit klassik.com.

weiter...
Alle Interviews...


Sponsored Links

Hinweis:

Mit Namen oder Initialen gekennzeichnete Beiträge geben die Meinung des Verfassers, nicht aber unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.

Die Bewertung der klassik.com-Autoren:

Überragend
Sehr gut
Gut
Durchschnittlich
Unterdurchschnittlich