
Hindemith, Paul - Mathis der Maler
Hindemith-Highlight
Label/Verlag: BIS Records
Detailinformationen zum besprochenen Titel
John Neschling und das Sinfonieorchester São Paulo bieten mit dieser Einspielung einen Höhepunkt der Hindemith-Diskographie.
Marin Alsop, die jüngst zur Leiterin des São Paulo Symphony Orchestra berufene Dirigentin, hat bereits ihre erste Aufnahme mit dem brasilianischen Orchester vorgelegt. Sie kann mit ihrer Arbeit auf einer auch im internationalen Maßstab hervorragenden Qualität des Orchesterspiels aufbauen, die von ihren Vorgängern über Jahre hinweg entwickelt wurde, insbesondere von John Neschling. Wie hoch die Spielkultur des São Paulo Symphony Orchestra schon unter Neschling war, zeigten einige exzellente Einspielungen, die beim schwedischen Label BIS veröffentlicht wurden. Der Höhepunkt dieser schwedisch-brasilianischen Zusammenarbeit ist diese Hindemith-Aufnahme, die bereits im letzten Jahr erschienen ist. Die Zusammenstellung dreier Werke, die zu Hindemiths bekanntesten Orchesterwerken gehören, darf als maßstabsetzende Einspielung gelten, in klanglicher Hinsicht, mehr aber noch in interpretatorischer.
John Neschling macht in seiner Lesart deutlich, dass Paul Hindemith, seine in den 1920er Jahren verfolgte Stilistik nun erheblich erweiternd, mit seiner Sinfonie 'Mathis der Maler', einem sinfonischen Triptychon, das auf musikalischem Material der gleichnamigen, allerdings erst nach dem sinfonischen Auszug erschienenen Oper basiert, an die deutsch-österreichische sinfonische Tradition des 19. Jahrhunderts anknüpft und sie ins 20. Jahrhundert trägt. Dem Dirigenten gelingt es auf höchst überzeugende Weise, die Herausarbeitung linearer Verläufe mit einer klaren Darstellung kontrapunktischer Dichte und nicht zuletzt mit einer bestechenden Treffsicherheit der spezifischen instrumentatorischen Farbgebung zu verbinden. Die Streicher des São Paulo Symphony Orchestra legen im ersten Satz der Ballett-Suite 'Nobilissima Visione' ('Einleitung und Rondo') einen wunderbar homogenen, warmen Klangteppich aus, der von Neschling mit ruhiger Hand, aber konsequent und höchst ausdrucksvoll entwickelt wird. Im ersten Satz 'Engelkonzert' der Sinfonie 'Mathis der Maler' können sich die von Hindemith differenziert ausgearbeiteten Bläserstimmen als tragende Schicht thematisch-motivischer Substanz über einem Streicher-Schimmern entfalten. Auch in der 'Versuchung des heiligen Antonius', dem dritten Satz, schaffen Neschling und das bestens disponierte Orchester eine sorgfältig strukturierte Klangwucht, die unmittelbar für sich einnimmt.
Es ist Neschlings großes Verdienst, die kontrapunktischen Verflechtungen offenzulegen, ohne dabei mit schulmeisterlicher Strenge vorzugehen. Es macht eher den Eindruck, als ob Neschlings intensive Durchleuchtung der Partitur die Grundlage dafür wäre, dass sich die sinfonische Entwicklung so natürlich und schlüssig vollzieht wie ihrerzeit bei Celibidache oder Blomstedt– und dazu tief empfunden. Neschling findet nicht nur für Entwicklungsgänge, die sich in langsamem Tempo entfalten, eine überzeugende Gangart, sondern auch für die zugespitzte Dramatik des letzten Satzes. Und auch der frenetische Aktionismus in den 'Sinfonischen Metamorphosen über ein Thema von Carl Maria von Weber' findet in der temperamentvollen Wiedergabe des São Paulo Symphony Orchestra eine mustergültige Umsetzung. Man fühlt sich bei dieser Musik an typische Comic-Darstellungen eines dahin rasenden Autos erinnert, das von seinen eigenen vier Rändern überholt wird. Neschling aber bekommt es hin, diesen Eindruck zu erzeugen, ohne dass es im Orchester drunter und drüber geht. Er evoziert eine kontrollierte Ekstase.
Die reichhaltige, in den Streichern von zart schimmernder Samtigkeit bis hin zu scharfen Attacken reichende und auch in den Bläsern fein schattierte Farbgebung wurde klangtechnisch exzellent eingefangen. Der Orchesterklang hat genügend Entfaltungsraum, wirkt aber trotzdem angenehm kompakt. Zu dem rundum positiven Gesamteindruck trägt nicht zuletzt die Ballett-Suite 'Nobilissima visione' bei, die ebenso untadelig musiziert wird - deren erster Satz 'Einleitung und Rondo' gehört in seiner ruhigen, aber zwingenden Entfaltung sogar zu den eindringlichsten Momenten dieser Produktion. Eine großartige Einspielung, die man zu den Referenzaufnahmen in der Hindemith-Diskographie rechnen darf.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Hindemith, Paul: Mathis der Maler |
|||
Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
BIS Records 1 22.06.2011 |
Medium:
EAN: |
SACD
7318599917306 |
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BIS Records Most record labels begin with a need to fill a niche. When Robert von Bahr founded BIS in 1973, he seems to have found any number of musical niches to fill. The first year's releases included music from the renaissance, Telemann on period instruments, Birgit Nilsson singing Sibelius and works by 29 living composers - Ligeti and Britten as well as Rautavaara and Sallinen - next to Purcell, Mussorgsky and Richard Strauss. A musical chameleon was born, a label that meant different things to different - and usually passionate - devotees. Mehr Info... |
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