
Schubert, Franz - Sinfonien Nr. 9 "Die Große"
Aufgeräumt und entschlackt
Label/Verlag: Pentatone Classics
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Philippe Herreweghe bietet hier auf modernem Instrumantarium einen nach den Regeln der historischen Aufführungspraxis entschlackten und aufgeräumten Schubert. Der schlanke Orchesterklang lässt das Werk in neuem Licht erscheinen.
Wenn Philippe Herreweghe sich nach seinem respektablen Beethoven-Zyklus nun an Schubert wagt, darf man auf das Ergebnis gespannt sein. Zum einen, weil Herreweghe in Sachen Schubert im Plattenmarkt ein unbeschriebenes Blatt ist, und zum anderen, weil sich bereits einige Vertreter der historisch informierten Aufführungspraxis mit Schubert auseinander gesetzt haben und es an Konkurrenz demnach nicht fehlt – Konkurrenz, von der Herreweghe sich abzusetzen verstehen müsste. Der Belgier steht sinnbildlich für den Kompromiss, modernes Instrumentarium mit den Erkenntnissen der historischen Aufführungspraxis zu vereinen. So auch mit der Flämischen Philharmonie, mit der zusammen sich Herreweghe als erste Tat in Sachen Schubert der Sinfonie D 944, der sogenanten ‚Großen’, angenommen hat. Die 2010 entstandene Einspielung ist beim Label Pentatone, das konsequent auf Mehrkanal-SACDs setzt, erschienen. Die Platte ist als hybride SACD natürlich auch von einem gängigen CD-Spieler lesbar und bietet auch in Stereo eine überzeugende Klangqualität, die durch natürlichen und transparenten Orchesterklang besticht. Im Mehrkanalmodus wird der Klangkörper noch plastischer abgebildet; der Hall vermittelt einen guten Eindruck der Konzerthalle, ohne das Klangbild negativ zu beeinflussen.
Altbekannte Verwirrungen
Im Booklet, das ausschließlich eine Werkeinführung enthält (die Künstlerbiographien stehen im Internet zur Verfügung), wird auf die Unstimmigkeiten in der Nummerierung der Sinfonie, die als Nr. 9 ebenso geführt wird als Nr. 8 oder gar als Nr. 7, eingegangen. Abgesehen davon, dass diese leidige Geschichte nicht nur Schubert-Experten eigentlich bekannt sein sollte, liest es sich ungerechtfertigterweise so, als sei Schubert die absolute Ausnahme (zudem mit dem leichten Seitenhieb, der Komponist sei eben zu Lebzeiten und auch danach nicht entsprechend gewürdigt worden); tatsächlich gibt es andere Komponisten, bei denen die Zählung noch konfuser und unübersichtlicher ist.
Erwartungen werden erfüllt
Der von Philippe Herreweghe erarbeitete Schubert erfüllt genau die Erwartungen, die man an ihn stellen darf. Wesentliches Merkmal ist der auch hier schlanke (manchmal leider auch als blutarm kritisierte) Orchesterklang. Der Kopfsatz gewinnt zudem ungemein durch das zügige, nie aber übereilt wirkende Tempo: Bereits die allerersten Takte mit dem Hornsolo werfen die oft schon hier beginnende und sich im weiteren Satzverlauf fortsetzende, allzu oft zelebrierte Behäbigkeit über Bord. Durch die geringe Streicherstärke können die Bläsersoli bestens zur Geltung kommen; innerhalb der Streichergruppe fallen einige nun geradeztu solistisch (und entsprechend leichtfüßig) wirkende Passagen der Bässe auf. Das Blech steuert die – im Sinne der historisch informierten Interpretation geschärften – markant-kernigen Akzente bei, die der Musik Struktur verleihen. Das alles wirkt in der Gesamtschau organisch und auf natürliche Weise überzeugend; nie hat man den Eindruck, dass das Werk gegen den Strich gebürstet oder in eine Ecke gezwungen würde, in die es nicht hineingehört. Nun wird direkt hörbar, dass Schubert auch in diesem Werk noch immer eher den Klassikern Mozart und Beethoven nahe stand als auf die Spätromantiker Brahms oder Bruckner zu verweisen; allerdings benötigt auch der flotte Herreweghe für die im wahrsten Sinn des Wortes ‚große’ Sinfonie immer noch fast eine ganze Stunde. Die ‚himmlischen Längen’, die einst Robert Schumann konstatierte, sind also durchaus vorhanden, wenn auch nicht in Form der Langeweile des zähflüssigen Orchesterbreis manch älterer Aufnahme.
Ein Fragezeichen
Ein Fragezeichen bei der ansonsten in sich vollkommen stimmigen und vom belgischen Orchester technisch makellos gespielten Interpretation bleibt aber: Macht man sich zum Sklaven seiner Prinzipien, wenn über eine Stelle wie den Höhepunkt im langsamen Satz geradezu lakonisch hinwegmusiziert wird? Die in eine bestürzende Generalpause mündenden immer bedrohlicher (dissonanter) anschwellenden Akkorde verfehlen ihre Wirkung nicht; die Generalpause ist für meinen Geschamck aber viel zu kurz und die dann einsetzenden Pizzicati viel zu wenig zaghaft. Das ist sicher nur ein Detail, gleichzeitig aber auch emotionaler Höhepunkt und Zentrum der ganzen Sinfonie. Alles im allem liegt hier eine rundum entschlackte und sehr aufgeräumte Intrepretation der Schubert-Sinfonie vor, die gewiss viele Freunde finden wird, wohl aber auch Ablehnung bei denjenigen ernten wird, die von alten Hörerwartungen und -gewohnheiten nicht lassen wollen.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() |
Dieser Beitrag hat Ihnen gefallen? Empfehlen Sie ihn weiter!
Ihre Meinung? Kommentieren Sie diesen Artikel
Jetzt einloggen, um zu kommentieren.
Sind Sie bei klassik.com noch nicht als Nutzer angemeldet, können Sie sich hier registrieren.
Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
![]() Cover vergrößern |
Schubert, Franz: Sinfonien Nr. 9 "Die Große" |
|||
Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Pentatone Classics 1 17.06.2011 |
Medium:
EAN: |
SACD
827949037269 |
![]() Cover vergössern |
Pentatone Classics PentaTone wurde im Jahr 2001 von drei ehemaligen Leitenden Angestellten der Philips Classics zusammen mit Polyhymnia International (dem ehemaligen Philips Classics-Aufnahmezentrum) ins Leben gerufen.
Mehr Info... |
![]() Cover vergössern |
Jetzt kaufen bei...![]() |
Von Christian Vitalis zu dieser Rezension empfohlene Kritiken:
-
Gewichtiges Bündel: Durchaus eine Referenzeinspielung: Philippe Herreweghe leitet sämtliche Symphonien Beethovens. Weiter...
(Tobias Roth, 02.07.2012)
Weitere Besprechungen zum Label/Verlag Pentatone Classics:
-
Schubert trifft auf Caspar David Friedrich: René Jacobs setzt mit dem B’Rock Orchestra seinen Schubert-Zyklus beim Label Pentatone fort. Weiter...
(Dr. Kevin Clarke, )
-
Nostalgische Kunst-Folklore: Magdalena Kožená macht mit 'Nostalgia' auf zwei viel zu selten gespielte Liederzyklen von Bartók und Mussorgsky aufmerksam. Weiter...
(Benjamin Künzel, )
-
Aus den Tiefen des Lieder-Waldes: Dem Lied-Duo Bostridge & Giorgini gelingt mit diesen 'Respighi Songs' ein durchaus hörenswertes Album, das so manchen Sängerinnen und Sängern als Inspiration für mögliche Liederabende dienen möge. Weiter...
(Benjamin Künzel, )
Weitere CD-Besprechungen von Christian Vitalis:
-
Bretonische Legende auf der Opernbühne: Ordentliche Aufnahme aus Liège der heute recht unbekannten Oper 'Le Roi d'Ys' von Édouard Lalo. Zwar nicht Referenzklasse-Niveau, angesichts der geringen Auswahl aber dennoch empfehlenswert, sofern man sich für die Oper interessiert. Weiter...
(Christian Vitalis, )
-
Homogener als erwartet: Eine Gegenüberstellung von Orgelwerken finnischer Komponisten und solchen von J. S. Bach und Buxtehude bietet Kari Vuola mit dieser Platte. Faktisch fallen die im Titel versprochenen Kontraste geringer aus als erwartet. Weiter...
(Christian Vitalis, )
-
Stille und Einkehr: Es sind hier drei Konzertstücke zu hören, deren Entdeckung eine lohnende Bereicherung ist. Der Japaner Toshio Hosokawa versteht sich auf Musik an der Grenze zur Stille. Gelungene Interpretationen aus Luxemburg. Weiter...
(Christian Vitalis, )
Weitere Kritiken interessanter Labels:
-
Neue Facetten aus Schweden: Leider ist das Engagement für Hugo Alfvén in nicht optimaler Weise kanalisiert. Weiter...
(Dr. Jürgen Schaarwächter, )
-
Alt-neu konzipiert: Markus Schäfer und Zvi Meniker kehren zu Franz Schuberts ursprünglichen Liedopera-Konzepten zurück. Weiter...
(Dr. Jürgen Schaarwächter, )
-
Schonungslos offen: Ning Feng mit einem großen Bach-Wurf. Weiter...
(Oliver Bernhardt, )
Portrait

Das Klavierduo Silver-Garburg über Leben und Konzertieren im Hier und Heute und eine neue CD mit Werken von Johannes Brahms
Sponsored Links
- klassik.com Radio
- Urlaub im Schwarzwald
- Neue Musikzeitung
- StageKit - Websites für Musiker, Veranstalter und Konzertagenturen
Hinweis:
Mit Namen oder Initialen gekennzeichnete Beiträge geben die Meinung des Verfassers,
nicht aber unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
Die Bewertung der klassik.com-Autoren:
Überragend
Sehr gut
Gut
Durchschnittlich
Unterdurchschnittlich