
Dussek, Johann Ladislaus - Die Klaviersonaten Vol.1
Beflügelnd
Label/Verlag: VMS Musical Treasures
Detailinformationen zum besprochenen Titel
María Garzón präsentiert eine ebenso farbenreiche wie sensible Einspielung der Klaviersonaten Dusseks, die dem Komponisten dazu verhelfen könnte, aus der Versenkung aufzutauchen und wieder an die Oberfläche zu gelangen.
Der tschechische Komponist Johann Ladislaus Dussek (1760–1812) ist für viele Hörer noch ein sprichwörtlich weißer Fleck auf der Landkarte der klassischen Musik. In solchen Situationen ist die verbreitete, mit leicht ironischem Unterton versehene Titulierung ‚unbekannter Meister‘ oft nicht weit – eine Formulierung, die genaugenommen ebenso provokant wie nichtssagend ist, da sie lediglich andeutet, dass über den Komponisten noch vergleichsweise wenig Informationen vorliegen.
Der überzeugenden Leistung von María Garzón ist es zu verdanken, dass der Hörer die Chance hat, Dusseks Werk nun tatsächlich genauer kennenzulernen. Wer diese Chance nutzt, wird möglicherweise seine Meinung revidieren und den Schwerpunkt des Begriffs ‚unbekannter Meister‘ nach dem Hören der vorliegenden CD vom ersten auf das zweite Wort verlagern, so dass nicht länger der Status des Unbekannten im Vordergrund steht, sondern die Meisterschaft des Komponisten.
Perlende Leichtigkeit und inniger Ausdruck
Das Besondere an der Klaviermusik Dusseks ist, dass der Hörer am Anfang geneigt ist, sie in eine ganz bestimmte musikalische Schublade einzuordnen, doch letztlich immer wieder feststellen muss, dass der Schein trügt. So kann man sich anfangs nur schwer dagegen wehren, eine Parallele zu den Klavierwerken von Mozart herzustellen, da sich Dusseks Sonaten mit ähnlicher Leichtigkeit, Frische und Verspieltheit präsentieren. María Garzón unterstreicht diese Assoziationen bereits in der ersten Sonate op. 23, indem sie beispielsweise die im ersten Satz permanent wiederholte Vorschlagsfigur mit geradezu neckischer Intensität ausführt. Dass Dusseks Werk jedoch weitaus mehr zu bieten hat, zeigt sich an den teils schwärmerisch-verträumten Untertönen, die sich oft unvermittelt einschleichen, teils an der oft plötzlich eintretenden Ernsthaftigkeit, die das zunächst so eindeutig scheinende Bild des Komponisten mit weiteren Farben anreichert. Auf diese Weise wird der Hörer nicht nur an Dusseks Zeitgenossen Mozart erinnert, sondern auch an den zur Entstehungszeit der Komposition noch gar nicht geborenen Franz Schubert. Dusseks frühe Klaviersonaten offenbaren demnach eine gekonnte Symbiose aus unbeschwerter Leichtigkeit und zurückhaltender Innigkeit, die niemals ins Pathetische abdriftet.
Das Werk eines Meisters
Wer sich die vorliegende Einspielung nicht komplett anhört, sondern nach den ersten drei Sonaten aufhört, wird einen Eindruck von Dussek haben, der – nicht zuletzt durch das stets ausbalancierte und klanglich differenzierte Spiel von María Garzón – zwar aussagekräftig ist, aber letztlich doch einseitig bleibt. Die Sonate op. 77 mit dem Titel 'L'invocation' (1811/12) unterscheidet sich in geradezu drastischer Weise von ihren Vorgängern. Sie ist kurz vor Dusseks Tod entstanden und damit seine letzte Klaviersonate. In ihr schöpft Dussek die Möglichkeiten der Klaviermusik nicht nur spieltechnisch, sondern auch hinsichtlich des Ausdrucks bis ins letzte Detail aus und präsentiert sich damit als Komponist, der den Titel ‚Meister‘ mit Recht für sich beanspruchen darf. Nicht nur die Länge, die jene seiner anderen Sonaten weit übertrifft, nicht nur die in dieser Einspielung erstmalig auftretende Molltonart, sondern auch der ganze Gestus der Sonate wirkt kompositorisch ausgereift und reich an klanglichen Gestaltungsmöglichkeiten.
Gespür für Klangfarben
Was diese Einspielung neben den kompositorischen Reizen des bisher noch weitgehend Unbekannten letztlich in besonderer Weise auszeichnet, ist das stets lebendige und klanglich differenzierte Spiel der Pianistin María Garzón. Sie schafft es mit ihrer Interpretation, dem Hörer die enorme Vielschichtigkeit der Musik Dusseks nahezubringen, ohne sie emotional zu überfrachten. Ihr Pedalgebrauch bleibt stets so dezent, dass die leichtfüßig-heiteren Passagen nicht trocken, die dramatisch-leidenschaftlichen dagegen nicht pathetisch oder gar schwülstig wirken; ihr Spiel bewegt sich insgesamt immer im Rahmen der angemessenen Stilistik bewegt. Auch wenn die Parallelen zu einigen Komponisten späterer Epochen – z.B. Schubert oder Dvořák – naheliegen, behält der Hörer stets den (klassischen) Boden unter den Füßen, was bei aller Unbekanntheit der Musik doch für eine angenehme Vertrautheit sorgt.
Johann Ladislaus Dussek mag keiner der bekanntesten klassischen Komponisten sein. Gäbe es jedoch mehr Einspielungen seines Werks wie die vorliegende von María Garzón, könnte der eine oder andere Hörer neugierig werden auf das, was dieser Künstler noch zu bieten hat.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Dussek, Johann Ladislaus: Die Klaviersonaten Vol.1 |
|||
Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
VMS Musical Treasures 1 18.03.2011 |
Medium:
EAN: |
CD
9120012231931 |
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VMS Musical Treasures Gegründet: 2002 von Dieter Heuler und Joe Morscher Erste Veröffentlichungen: März 2003 Vergessene/verborgene/verfemte/verdrängte musikalische Schätze quer durch alle Musikepochen zu entdecken, ist das Hauptziel des Labels VMS Musical Treasures. Dabei kann Produzent Dieter Heuler auf seine fast dreißigjährige Erfahrung in musikalischer "Archäologie" zurückgreifen, die auch seine kreative Arbeit für das Label "Schwann" geprägt hatte. Der weltweite Vertrieb liegt in den Händen von Joe Morscher (Zappel Music), der seit zwei Jahrzehnten dieses Metier erfolgreich betreibt und u. a. auch für die weltweite Distribution des bekannten japanischen Labels "Camerata Tokyo" verantwortlich zeichnet. VMS versteht sich im weitesten Sinne als "inoffizielles" Nachfolgelabel von Schwann. Beide Gründer haben lange Jahre für und mit dem Label Schwann gearbeitet und wollen - nachdem Schwann von Universal übernommen, aber Neuproduktionen großteils eingestellt wurden - die lange Tradition des Labels fortsetzen und Vergessene Musikalische Schätze (VMS) wieder entdecken. Etliche Künstler, die vormals auf Schwann veröffentlicht hatten, haben bei VMS ein neues Zuhause gefunden.
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