
Schostakowitsch, Dimitri - Jazz Suites Nos. 1 & 2
Wozu die Russen gerne tanzten
Label/Verlag: Naxos
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Schostakowitsch
Eine Karikatur zeigte einst Dmitri Schostakowitsch als verhärmten, schüchternen Mann im graubraunen Straßenanzug, an dessen linkem Fuß eine dieser bekannten Gefängniskugeln hing. Die Kugel trug Stalins väterlich grinsendes Konterfei. Die Aussage war klar: Schostakowitsch ist der Komponist, der am Gängelband des Staatsmannes hing und nicht machen konnte, was er wollte. Eine Eigenschaft totalitärer Regimes ist jedoch die Blindheit für Satire. Schostakowitsch hat es selber ausprobiert und den Mächtigen der Sowjetunion immer wieder Xe für Us verkauft.
Bei der Jazz-Musik verstanden die Zensoren jedoch keinen Spaß. Was aus den USA nach Europa schwappte, galt als dekadent und staatszersetzend. Da in Russland jedoch auch Unterhaltungsmusik gewünscht wurde, betrieb man Etikettenschwindel. Man deklarierte Caféhaus- und Varietémusik kurzerhand als Jazz. Und schon hatte Schostakowitsch ein neues Betätigungsfeld. Seine beiden Jazz-Suiten gehören zu dem Schmissigsten, was seit Johann Straußens Walzer durch Europa tönte. Die erste, nur drei Sätze lang, ist für kleines Ensemble und versucht, den Jazz auf ein ernstzunehmendes Niveau zu heben. Dass dabei trotzdem ‚nur’ Tanzmusik herausgekommen ist, ist nicht weiter schlimm. Schostakowitsch lässt damit immer noch alles weit hinter sich, was beispielweise gleichzeitig in Deutschland en vogue war. Noch viel deutlicher als in der Suite Nr. 1 ist das in der zweiten Jazz-Suite zu hören, die für großes Orchester mit ausgedehnter Bläser-Sektion (zusätzliche Saxofone) und ein Akkordeon gesetzt ist. Sie zeigt vielleicht am intensivsten Schostakowitschs Instrumentationskunst und seine Fähigkeit, durch ungewöhnliche Klangfarben das Spektrum des Orchesters zu erweitern. Außerdem nimmt er augenzwinkernd so manche liebgewonnene Tradition der Unterhaltungsmusik aufs Korn. Wie er Militärmärsche und Strauß-Walzer persifliert, ist absolut hörenswert. Dabei ist er gerade da am schwächsten, wenn er versucht, einen Strauß-Walzer nur zu kopieren (Walzer 1 aus der Suite Nr. 2).
Stimmung, aber kein Prosit der Gemütlichkeit
Es dauerte einige Zeit, bis diese Jazz-Suiten ihren Weg in die Konzertprogramme dieser Tage finden konnten. Den größten Aufschwung erlebte die Suite Nr. 2 durch die Verwendung des Walzers 2 in Stanley Kubricks letztem Film ‚Eyes wide shut’. Waren bisher nur wenige Aufnahmen der beiden Suiten verfügbar, erweitert nun das Label Naxos seinen Katalog um eine Scheibe mit diesem Programm. Es musiziert das Russische Staatssymphonieorchester unter Dmitry Yablonsky. Und das nicht mal schlecht. Man nimmt den Musikern die innige Beziehung zu ihrem komponierenden Landsmann ab. Dass es hier und da ein paar kleinere technische Stolperer gibt, ist zu verschmerzen, die sich bei längeren Stücken (Eröffnungsmarsch der Suite Nr. 2 und besonders im ‚Tahiti Trot’) einschleichende Routine weniger. Yablonsky legt durchgehend straffe Tempi an, was besonders den bekannten zweiten Walzer von einigen Gemütlichkeitsschlacken befreit. Die Balance innerhalb des Klangkörpers ist sehr gut, wahrscheinlich haben die Tontechniker ihren Teil dazu beigetragen, dass die zusätzlichen Instrumente ins rechte Licht gerückt wurden.
Komplettiert wird das CD-Programm durch die Ballettsuite ‚Der Bolzen’ op. 27a, eine über weite Strecken ebenso hinreißende musikalische Geschichte wie die Jazz-Suiten – und vom Orchester mit erfreulicher Präzision produziert –, und den berühmten ‚Tahiti Trot’, ein aufgrund einer Wette mit dem Dirigenten Nikolai Malko innerhalb von 40 Minuten entstandenen Arrangements des Songs ‚Tea for two’ aus dem Musical ‚No, no, Nanette’. Mit dieser CD ist dem Billig-Label Naxos wieder einmal ein Wurf gelungen, der mit Leichtigkeit neben den entsprechenden Produktionen der Hochpreis-Labels bestehen kann.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Schostakowitsch, Dimitri: Jazz Suites Nos. 1 & 2 |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: Spielzeit: Aufnahmejahr: Veröffentlichung: |
Naxos 1 08.04.2002 62:14 2001 2002 |
Medium:
EAN: BestellNr.: |
CD
0747313594924 8.555949 |
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Schostakowitsch, Dimitri |
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Naxos Als der Unternehmer Klaus Heymann 1982 für seine Frau, die Geigerin Takako Nishizaki in Hongkong das Plattenlabel Marco Polo gründete, war dies der Beginn einer beispiellosen Erfolgsgeschichte. Fünf Jahre später rief Heymann das Label NAXOS ins Leben, das in der Klassikwelt längst zur festen Größe geworden ist und es bis heute versteht, hohe Qualität zu günstigen Preisen anzubieten. Der einzigartige und sich ständig erweiternde Katalog des Labels umfasst mittlerweile über 8.000 CDs mit mehr als 130.000 Titeln - von Kostbarkeiten der Alten Musik über sämtliche berühmten "Klassiker" bis hin zu Schlüsselwerken des 21. Jahrhunderts. Dabei wird der Klassik-Neuling ebenso fündig wie der Klassikliebhaber oder -sammler. International bekannte Künstler wie das Kodály Quartet, die Geigerin Tianwa Yang, der Pianist Eldar Nebolsin und die Dirigenten Marin Alsop, Antoni Wit, Leonard Slatkin und Jun Märkl werden von NAXOS betreut. Darüber hinaus setzt NAXOS modernste Aufnahmetechniken ein, um höchste Klangqualität bei seinen Produktionen zu erreichen und ist Vorreiter in der Produktion von hochauflösenden Blu-ray Audios - Grund genug für das renommierte britische Fachmagazin "Gramophone", NAXOS zum "Label of the Year" 2005 zu küren. Auch im digitalen Bereich nimmt NAXOS eine Vorreiterrolle ein: Bereits seit 2004 bietet das Label mit der NAXOS MUSIC LIBRARY ein eigenes Streamingportal mit inzwischen über 1 Million Titel an und unterhält mit ClassicsOnline zudem einen eigenen Download-Shop. Mehr Info... |
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