
Chopin, Frédéric - Klavierwerke
Redend, dem Licht entgegen
Label/Verlag: Antes Classics
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Anna Zassimova reizt die Kostbarkeiten des Érard-Flügels gefühlvoll aus und überzeugt mit exzellenter Anschlagskultur. Ihr gelingt damit eine der überzeugendsten Chopin-Aufnahmen mit einem Flügel seiner Zeit.
Anlässlich der Chopin-Feierlichkeiten im letzten Jahr waren zahlreiche Bemühungen zu verzeichnen, die Musik auch dieses Komponisten unter den Vorzeichen einer historisch informierten Aufführungspraxis neu zu lesen und aufzuführen. Und so entstanden einige Aufnahmen, bei denen historische Flügel zum Einsatz kamen; das umfangreichste Projekt wurde vom Warschauer Chopin-Institut initiiert und umfasste eine Gesamteinspielung der Werke Frédéric Chopins auf historischen Instrumenten. Daher findet sich die nun von Antes herausgegebene Aufnahme einer Werkauswahl Chopins, gespielt auf einem Érard-Flügel, inmitten eines in den letzten Monaten wohlbestellten Umfelds. Dass die Einspielung dennoch aus der Vielzahl vergleichbarer Aufnahmen – zum Teil haushoch – herausragt, hat seinen Grund vor allem in der ebenso nuancenreichen wie konturenscharfen Lesart der Pianistin Anna Zassimova, die sich einmal mehr als exzellente Pianistin erweist.
Delicatissimo
Anna Zassimova bringt einen Pariser Érard-Flügel aus dem Jahr 1850, hergerichtet von dem Karlsruher Spezialisten für historische Tasteninstrumente Volker Rabus, sehr subtil zum Klingen. Das instrumentale Timbre ist in den Registern durchaus verschieden, ein typisches Merkmal historischer Flügel. So zeichnet sich das Bass-Register durch eine knackige Deutlichkeit aus, ohne die mal wattierende, mal dröhnende Fülle heutiger Klaviere. Der Diskant, ebenso rasch verklingend wie der Bass, bringt eine glockenhelle Leuchtkraft zum Vorschein, und doch ist man immer wieder aufs Neue überrascht, mit welcher Direktheit der Kopf jedes Tons – im Gegensatz zum vergleichsweise substanzlosen Einschwingen auf dem modernen Klavier – das Ohr des Hörers erreicht.
Die wunderbare Farbenfülle des Flügels wird durch das im Anschlag äußerst sorgsame und fein dosierte Spiel Anna Zassimovas zu klanglichem Leben erweckt. Ihr pianistischer Zugang darf durchweg mit jener Ausführungsanweisung charakterisiert werden, der sich in Carl Mikulis Ausgabe der a-Moll-Mazurka op. 67/4 findet: delicatissimo. Ihre Anschlagstechnik ist exzellent (und auf die Erfordernisse des historischen Flügels subtil abgestimmt), und wie sie die crescendierende melodische Aufwärts-Bewegung in der h-Moll-Mazurka op. 30/2, ausgehend von verschatteter Tiefe in strahlende, leicht getupfte Höhen führt, weckt den Eindruck, Anna Zassimova führe die Melodielinie dem Licht entgegen. Die klanglichen Kostbarkeiten des herrlichen Flügels wollen erst mal klanglich und musiklisch genutzt werden – Anna Zassimova versteht dies auf überzeugende Weise.
Feinfühliges Rubato
Hinzu kommt ein feinfühliges Rubato-Spiel, das zuweilen an längst vergangene Zeiten erinnert, an eine Interpretationskultur, die auf eine plastische Ausformung musikalischer Charaktere größeren Wert legte als auf die Einhaltung mathematisch abgezählter rhythmischer Werte. Anna Zassimova verleiht den kantablen Linien sowohl Eleganz wie auch scharfe Konturen, und so, wie sie Motive klanglich, dynamisch und anschlagstechnisch ausformt, hat man den Eindruck, was andernorts nostalgische Sentimentalität hervorruft, gewinne hier den Charakter fast deklamatorischer Präsenz; die Motive erscheinen redend, von beinahe rhetorischer Plastizität. Und doch ist jedes Detail von einer Kantabilität durchdrungen, die den hier eingespielten Mazurken, Nocturnes, Walzern und Polonaisen Chopins eingeschrieben ist, von der großartigen g-Moll-Ballade ganz zu schweigen, von der Pianistin in ihrem Bookletbeitrag als ‚Herzstück‘ der Aufnahme ausgemacht – und das erscheint auch beim Hören so: Die Ballade klingt wie eine geronnene Improvisation, atmet den Geist des Moments und ist doch von einer bezwingenden Dramaturgie durchdrungen.
Im Booklet gibt die Pianist Auskunft über die Stückauswahl, und auch die direkte Klangabnahme kommt zur Sprache. Vielleicht aber wäre es einträglicher gewesen, den Klang nicht so knapp am Klavier einzufangen, sondern ihm mehr Räumlichkeit zuzugestehen. Die kostbaren Farben wären wohl ebenso nuancenreich zu hören gewesen, vielleicht sogar besser. Doch auch mit diesem sehr präsenten Klang weiß Anna Zassimovas Chopin-Lesart vollauf zu überzeugen. Ihr ist ohne Zweifel eine großartige Einspielung gelungen, die sich gegenüber denen ihrer Kolleginnen und Kollegen wohl zu behaupten weiß, mehr noch: Die meisten davon übertrifft sie an pianistischer Expertise.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Chopin, Frédéric: Klavierwerke |
|||
Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Antes Classics 1 03.01.2011 |
Medium:
EAN: |
CD
4014513024145 |
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