
Elgar, Edward - Enigma-Variationen, op.36
Flammendes Plädoyer für die englische Symphonik
Label/Verlag: BR-Klassik
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Dieser in allen Belangen überzeugende Tonträger vereint Aufnahmen von Schlüsselwerken der beiden bedeutendsten englischen Symphoniker der neueren Zeit, Elgar und Vaughan Williams. Sir Colin Davis leitet das Orchester des Bayerischen Rundfunks.
Dass Dirigenten zu besonderen Glanzleistungen fähig sind, wenn sie die Musik ihrer Landsleute interpretieren, konnte man während der letzten Jahrzehnte in einigen Fällen beobachten – Maßstäbe setzten etwa die Dvorák-Einspielungen Rafael Kubeliks oder Leonard Bernstein für amerikanische Komponisten. Mit der vorliegenden Produktion, einem Tonträger mit zwei Aufnahmen von 1983 und 1987, der in einer CD-Reihe zum sechzigsten Geburtstag des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks erscheint, wird dieses Phänomen erneut bestätigt. Am Pult steht der kurz zuvor aus London nach München verpflichtete Sir Colin Davis, der das Repertoire des Orchesters erweiterte und es durch seinen akkuraten und gleichzeitig behutsamen Dirigierstil prägte. Mit Edward Elgars 'Enigma-Variationen' und der Sechsten Symphonie von Ralph Vaughan Williams dokumentiert das Orchester eindrucksvoll seinen seit Jahrzehnten andauernden Status als internationales Spitzenensemble, das permanent auf höchstem Niveau konzertiert und regelmäßig für referenzträchtige Höhepunkte der Schallplattengeschichte sorgt – eine Tradition, die auch unter dem derzeitigen Chefdirigenten Mariss Jansons fortgesetzt wird.
Elgars berühmte Variationen über ein Originalthema, komponiert 1899 als op. 36, sind ein klassischer Prüfstein für jedes Orchester, das sich der Symphonik des späten 19. Jahrhunderts verpflichtet fühlt. Davis nimmt die Tempi flott, wodurch gerade die bewegteren Passagen eine unwiderstehliche Verve gewinnen. Die gekonnt instrumentierte Polyphonie Elgars wird jederzeit durchsichtig abgebildet, und vor allem die komplexeren, an Charakteren und motivischen Gestalten überreichen Variationen vermitteln das Gefühl, jede einzelne Stimme gleichzeitig wahrnehmen zu können. In der Ysobel-Variation vermag man als Hörer ein faszinierendes Geflecht zu ergründen: Soloinstrumente treten nur so deutlich wie eben nötig in den Vordergrund, um dann der nächsten Hauptstimme Raum zu geben; niemals werden dominierende Klangebenen überbetont, auch in Begleitfiguren und in scheinbar Nebensächlichem wird Relevantes herausgearbeitet. Erwirkt wird dies durch Davis’ flexibles und ausgewogenes, nichts dem Zufall überlassendes Dirigat und eine überragende Tontechnik, welche die Instrumentengruppen in ihren jeweiligen Eigenheiten und in ihrem Raumklangverhalten vollendet abbildet.
Orchester zeichnet sich durch Vielseitigkeit und Stilsicherheit aus
Bei Vaughan Williams erscheint der Tonsatz ebenso gründlich ausgeleuchtet, obschon Sir Colin Davis hier mit breiterem Pinsel malt als bei seiner feingliedrigen Darstellung des Elgar-Zyklus‘. Die tonal leicht fasslichen Kantilenen, welche sich am Ende des ersten 'Allegro' des viersätzigen Werkes finden, liegen dem Dirigenten sichtlich am Herzen und öffnen die Tür für genreübergreifende Assoziationen. Auch die satten Blechsätze, welche jeder Science-Fiction-Partitur Hollywoods zur Ehre gereichen würden und den Komponisten als einen Vordenker der symphonischen Filmmusik identifizieren, gelangen durch die Münchner Musiker zu einer packenden, auch an den dynamischen Grenzen noch ausgewogen balancierten Wiedergabe. Wunderbar mysteriös inszeniert werden die sphärischen, streicherbasierten Dreiklangsmixturen im zweiten Satz; mit jazziger Phrasierung werden die markanten Saxophonsoli im Scherzo dargeboten. Ein dankbares Werk, das die konventionellen Genregrenzen sprengt und dem versatilen Klangkörper eine willkommene Gelegenheit liefert, jenseits der vielbeschrittenen Pfade des germanophilen Standardrepertoires zu brillieren.
Wie bei der Produktion älterer Aufnahmen üblich, ist auch dieser Tonträger aus zwei separaten, in unterschiedlichen Räumen entstandenen Produktionen zusammengestellt worden, denen ein ausführliches Remastering zuteil geworden ist. Den hierfür Verantwortlichen ist mein einziger Kritikpunkt anzulasten: Es sind leider einige Schnitte hörbar, und die nachträgliche Dynamikbearbeitung lässt manche Fortissimo-Gipfel leicht komprimiert klingen – man wünscht sich dann eine noch etwas zwingendere Steigerung, als es die künstlich begrenzte Aussteuerung zulässt. Im Ganzen präsentiert dieses Album aber einen mehr als 68-minütigen Hörgenuss von ausgezeichneter künstlerischer Qualität. Das ideal aufeinander abgestimmte Zusammenwirken von Musikern und Aufnahmeleitung führt zu einem warmen und prächtigen, mit höchster Präzision gestalteten, aber niemals zu sachlichen Klangbild. Der Tonträger kann also nahezu uneingeschränkt empfohlen werden – und man darf auf weitere hochkarätige Wiederveröffentlichungen aus dem Archiv des Bayerischen Rundfunks gespannt sein.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Elgar, Edward: Enigma-Variationen, op.36 |
|||
Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
BR-Klassik 1 18.10.2010 |
Medium:
EAN: |
CD
4035719007053 |
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BR-Klassik BR-KLASSIK, das Label des Bayerischen Rundfunks (BR), veröffentlicht herausragende Live-Konzerte des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks (BRSO), des Chors des Bayerischen Rundfunks, des Münchner Rundfunkorchesters sowie der Konzertreihe musica viva. Dabei ist es ein wesentliches Ziel des Senders, über seine Radio- und TV-Programme hinaus auch digital sowie via CD und DVD allen Musikfreunden weltweit Zugang zu besonderen Aufnahmen zu bieten und auf diese Weise auch jenes Publikum zu erreichen, welches keine Möglichkeit hat, die Konzerte der internationalen Tourneen selbst vor Ort live zu erleben. Neben den jeweiligen Chefdirigenten wie beispielsweise Mariss Jansons oder Sir Simon Rattle finden sich großartige Künstlerpersönlichkeiten wie Daniel Barenboim, Herbert Blomstedt, Bernard Haitink und viele andere mehr. Die Reihe BR-KLASSIK WISSEN liefert unterhaltsame und kurzweilige Hörbiografien von Jörg Handstein mit vielen Hintergrundinformationen und Musikbeispielen auf jeweils 4 CDs, erzählt von Udo Wachtveitl sowie spannende Werkeinführungen in bedeutende Kompositionen der Musikgeschichte. Durch die Reihe BR-KLASSIK ARCHIVE werden historische Aufnahmen des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks wieder verfügbar. Beispielsweise die legendäre Aufführung des Verdi-Requiems unter der Leitung Ricardo Mutis mit Jessye Norman, Agnes Baltsa, José Carreras und Jewgenij Nesterenko und dem Chor des BR im Jahr 1981 oder etwa denkwürdige Konzertabende mit der Pianistin Martha Argerich: 1973 unter Leitung von Eugen Jochum mit Mozarts Klavierkonzert KV 456 sowie zehn Jahre später mit Beethovens Klavierkonzert Nr.1 unter Seiji Ozawa. Mittlerweile umfasst der gesamte Katalog über 200 Aufnahmen und hat bereits mehr als 50 renommierte und internationale Auszeichnungen erhalten, darunter den Preis der Deutschen Schallplattenkritik, den Diapason d’or, den BBC Music Magazine Award und den ICMA. BR-KLASSIK wird weltweit durch NAXOS vertrieben. Selbstverständlich gehören hierzu auch digitale Portale wie Spotify, Apple, amazon u.v.a.. Die Naxos Music Library präsentiert zudem für Universitäten und öffentliche Bibliotheken via Internet einen ständig wachsenden Katalog mit tausenden von Titeln weltweit führender Labels. Studenten, Lehrpersonal und andere Benutzer können sich jederzeit einloggen und in der Bibliothek, im Hörsaal, im Studentenwohnheim, im Büro oder zu Hause das komplette Repertoire abrufen - auch die Aufnahmen von BR-KLASSIK. Mehr Info... |
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