
Bach, Johann Sebastian - Violinkonzerte
Stimmiges kammermusikalisches Musizieren
Label/Verlag: Channel Classics
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Rachel Podger und das Ensemble Brecon Baroque überraschen mit einer kammermusikalisch gestalteten Aufnahme von Johann Sebastian Bachs Violin-Concerti.
Die Würdigung von Rachel Podgers neuer Einspielung der Violinkonzerte Johann Sebastian Bachs, bei Channel Classics auf SACD erschienen, setzt ein mehrmaliges Hören des Tonträgers voraus: Denn allzu stark haben sich die entsprechenden Concerti a-Moll BWV 1041 und E-Dur BWV 1042, hier ergänzt um die aus Cembalowerken rekonstruierten Concerti A-Dur BWV 1055 und g-Moll BWV 1056, in unser Gedächtnis eingegraben, zu stark verdecken bestimmte Vorstellungen die Wahrnehmung der Andersartigkeit. Hat man sich aber erst einmal davon frei gemacht, kann man erleben, dass Bachs Musik diesmal mit einer Intimität angestimmt wird, die man sonst bislang kaum gehört hat – auch nicht bei Julia Fischer, die sich im vergangen Jahr viel darauf anrechnete, ihre eigene Einspielung (Decca, 2009) mit einem reduzierten Ensemble aufgenommen zu haben, und die dennoch nicht über eine konventionelle Lesart der Stücke hinaus gelangt ist. Es genügt eben nicht nur, die Streicherbesetzung auf solistische Stimmen plus Cembalo zu reduzieren; ein solcher Vorgang muss vielmehr auch seine Spuren unmittelbar in der musikalischen Umsetzung hinterlassen. Genau dies ist Rachel Podger und dem Ensemble Brecon Baroque gelungen.
Tatsächlich lässt sich hier Außerordentliches hören: Zunächst einmal nimmt man den perfekt ausbalancierten, schlanken und durchsichtigen Klang wahr, dessen Profil durch deutliche artikulatorische Ausarbeitung der thematischen Gestalten entsteht und zusätzlich von der Aufnahmetechnik gestützt wird. Hier klingt plötzlich alles solistisch, und dennoch gehen die Wirkungen der Tutti- und Solo-Teile nicht verloren, weil die Musiker dort, wo es notwendig erscheint, den Gestus orchestraler Ausstrahlung bewahren, wie gerade die Rahmensätze von BWV 1055 erkennen lassen. Zugleich offenbaren Bachs Concerti mehr denn je ihr kammermusikalisches Potenzial: Besonders schön kommt dies etwa im letzten Satz des a-Moll-Concertos zum Zug, wo die Solistin nicht nur gleichberechtigt mit den anderen Musikern auftritt, sondern sich gelegentlich auch zurücknimmt, um dem Spiel des Ensembles – und sei dies nur für die kurze Dauer einer besonderen Begleitfiguration – Raum zu geben. Trotzdem bleibt zugleich auch der Aspekt des Solistischen gewahrt: Die Bariolage-Passage etwa, die normalerweise meist im Spiel der Begleitmusiker untergeht, ist hier ungewöhnlich deutlich zu vernehmen, ohne jedoch allzu sehr in den Vordergrund zu rücken.
An anderen Stellen gewinnen die Mittelstimmen des Streichersatzes an Bedeutung, so im Mittelteil des Kopfsatzes aus BWV 1042, wo das Satzgewebe unter den Begleitfiguren der Solovioline sich – musikalisch ein deutlicher Zugewinn – aufgrund seiner Stimmführungen klanglich auf ungewöhnliche Weise zu entfalten beginnt. Ähnliches ereignet sich im Mittelsatz des Concertos A-Dur, wo die einzelnen Streicherstimmen immer wieder auf andere Weise mit dem Solopart verwoben werden. Überhaupt zählen die langsamen Werkteile zu den Höhepunkten der Einspielung. Im 'Adagio' aus dem E-Dur-Concerto entfaltet sich die affektbetonte solistische Kantilenen über einer flächigen, aber nicht zu dichten und daher ruhig pulsierenden Begleitung. Noch stärker tritt Podgers Gestaltungsvermögen in der kantablen fortgesponnenen Melodielinie hervor, die sie im Largo-Mittelsatz von BWV 1056 über den gezupften Klängen von Streichern und Cembalo fortspinnt. Wie stark die Wirkung dennoch auch vom Ensemble abhängt, wird im Andante aus BWV 1041 deutlich, das durch deutliche Taktakzentuierungen in der Viertelbegleitung einen flüssigen Duktus erhält und – wie auch der Kopfsatz des g-Moll-Concertos – sich aus den metrischen Grundimpulsen der Musik heraus entwickelt. Ganz gleich, wo man hinhört: Hier wirkt einfach alles stimmig.
Dieser Beitrag hat Ihnen gefallen? Empfehlen Sie ihn weiter!
Ihre Meinung? Kommentieren Sie diesen Artikel
Jetzt einloggen, um zu kommentieren.
Sind Sie bei klassik.com noch nicht als Nutzer angemeldet, können Sie sich hier registrieren.
Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
![]() Cover vergrößern |
Bach, Johann Sebastian: Violinkonzerte |
|||
Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Channel Classics 1 15.10.2010 |
Medium:
EAN: |
SACD
723385309109 |
![]() Cover vergössern |
Channel Classics Channel Classics Records is a quality record label based in Holland. Director, producer and recording engineer is C. Jared Sacks. Having grown up in Boston Massachusetts, schooled at Oberlin Conservatory and the Amsterdam Conservatory of music with 15 years experience playing French Horn, Jared decided to make his hobby of recording a profession in 1987. The label started in 1990 with the name Channel Classics coming from the street he lived on in Amsterdam. (Kanaalstraat).
Mehr Info... |
![]() Cover vergössern |
Jetzt kaufen bei...![]() |
Von Prof. Dr. Stefan Drees zu dieser Rezension empfohlene Kritiken:
-
Luftig und leicht: Rachel Podgers Einspielung zweier Violinkonzerte von Joseph Haydn erweist sich als Höhepunkt des zu Ende gehenden Haydn-Jahres. Weiter...
(Prof. Dr. Stefan Drees, 12.12.2009)
Weitere Besprechungen zum Label/Verlag Channel Classics:
-
Sonaten in Entwicklung: Carl Philipp Emanuel Bach umschreibt einen eigenen kompositorischen Kosmos. Rachel Podger und Kristian Bezuidenhout richten gekonnt einen Blick auf sein durchaus eigenwilliges Sonatenschaffen. Weiter...
(Dr. Matthias Lange, )
-
Großflächig: Lebhafte, etwas zu wenig präzise Wiedergaben zweier Streicherkompositionen. Weiter...
(Dr. Jürgen Schaarwächter, )
-
Härtetest bestanden: Ning Feng meistert Paganini bravourös. Weiter...
(Oliver Bernhardt, )
Weitere CD-Besprechungen von Prof. Dr. Stefan Drees:
-
John Bull und andere: Im sechsten Teil seiner Gesamteinspielung des 'Fitzwilliam Virginal Book' kombiniert der Cembalist Pieter-Jan Belder Stücke von John Bull mit einzelnen Kompositionen unbekannterer Tonsetzer. Weiter...
(Prof. Dr. Stefan Drees, )
-
Arbeit an klanglichen Feinheiten: Die zweite DVD der Reihe 'Lachenmann Perspektiven' widmet sich der Komposition 'Air'. Weiter...
(Prof. Dr. Stefan Drees, )
-
Blick in die Interpretationswerkstatt: Eine neue DVD-Reihe vermittelt unschätzbare Einblicke in die musikalischen und technischen Problemstellungen von Helmut Lachenmanns Musik. Weiter...
(Prof. Dr. Stefan Drees, )
Weitere Kritiken interessanter Labels:
-
Gediegen: Philippe Herreweghes gelegentliche Erkundungen im Reich der Bach-Kantate gefallen. Sie sind auf eine – im Sinne der Erkenntnisse historisch informierter Praxis – klassische Weise gediegen. Weiter...
(Dr. Matthias Lange, )
-
Ausladend paraphrasiert: Vier Pianisten in perfekter Harmonie. Weiter...
(Dr. Jürgen Schaarwächter, )
-
Elisabethanische Virginalmusik: Pieter-Jan Belder legt eine grandiose Gesamteinspielung des 'My Ladye Nevells Booke' beim Label Brilliant Classics vor. Weiter...
(Dr. Kai Marius Schabram, )
Jetzt im klassik.com Radio


Portrait

"Bei der großen Musik ist es eine Frage auf Leben und Tod."
Der Pianist Herbert Schuch im Gespräch mit klassik.com.
Sponsored Links
- Opernreisen und Musikreisen bei klassikreisen.de
- Konzertpublikum
- Musikunterricht
- klassik.com Radio
- Urlaub im Schwarzwald
- Neue Musikzeitung
- StageKit - Websites für Musiker, Veranstalter und Konzertagenturen
Hinweis:
Mit Namen oder Initialen gekennzeichnete Beiträge geben die Meinung des Verfassers,
nicht aber unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
Die Bewertung der klassik.com-Autoren:
Überragend
Sehr gut
Gut
Durchschnittlich
Unterdurchschnittlich