
di Lasso, Orlando - Lagrime di san Pietro
Orlandos Tränen
Label/Verlag: Atma classique
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Die 'Lagrime di San Pietro' von Orlando di Lasso in einer überzeugenden Einspielung mit dem Studio de musique ancienne de Montréal.
Die letzten Lebensjahre Orlando di Lassos (1532-1594) waren von Sorgen beschwert: Zunächst hatte nach dem Tod des alten Herzogs von Bayern, Albrecht V., im Jahr 1579 dessen Sohn Wilhelm die Herrschaft übernommen. Der machte sich – von Jesuiten beeinflusst – auf allen Ebenen daran, Bayern und seinen Hof als ein Bollwerk der Gegenreformation auszubauen. Das wirkte sich auch bis in die Lebensführung der Mitglieder seiner Hofkapelle aus, die fortan zölibatär leben sollten. Lasso sollte nach dieser Initiative wegen unangemessenen Verhaltens und Redens aus dem herzoglichen Dienst entlassen werden. Das widerfuhr dem weltgewandten Renaissancegeist Lasso zwar nicht, doch trat er aus den alltäglichen Pflichten allmählich in den Hintergrund. Das Jahr 1590 schließlich brachte einen ernsten gesundheitlichen Einschnitt, vermutlich ein Schlag und dessen Folgen belasteten den Künstler körperlich und mental. Und obwohl er seine geistigen und kommunikativen Fähigkeiten widererlangte, lagen doch Schatten auf seiner Existenz, drängte die Beschäftigung mit dem eigenen Tod immer stärker in den Vordergrund.
In diesem Zusammenhang ist die Entstehung der 'Lagrime di San Pietro' zu sehen: Lasso setzte sich in dieser Sammlung geistlicher Madrigale intensiv mit Schuld, Leid und Vergebung auseinander. Ideales textliches Medium waren jene Verse, die Luigi Tansillo 1510 publiziert hatte und die sich am Beispiel des heiligen Petrus und dessen Verhältnis zum leidenden Jesus diesem Gefühlskomplex intensiv widmeten. Orlando di Lasso verwendete zwanzig der Verse für feine madrigalische Sätze, die in ihrer Siebenstimmigkeit von homophonen Verläufen und dem Miteinander hoher und tiefer Stimmgruppen gekennzeichnet sind. Die erst im Mai 1594, nur drei Wochen vor Lassos Tod Papst Paul VI. gewidmeten Kompositionen verraten den souveränen Klanggestalter, der um die Affekte tief liegender Stimmkombinationen im Kontext des trauernd-reflektierenden Librettos weiß und zugleich die textlichen Möglichkeiten detailliert deutet. In der Summe ist es ein wunderbares Alterswerk: Kompakt, mit gleichbleibend niveauvollen Einzelsätzen, mit dem Vertrauen auf die eigenen Fähigkeiten, ohne vordergründige Artistik, dafür mit tatsächlich zyklischen Qualitäten. Höhe- und Schlusspunkt der Sammlung ist die den Madrigalen nachgestellte lateinische Motette 'Vide homo, quae pro te patior', in der die Qualitäten di Lassos musikalisch und inhaltlich kulminieren.
Echte Könner
Alte Musik aus Kanada ist in den vergangenen Jahren – sehr oft durch das rührige Label ATMA Classique – auch auf dem europäischen Markt zu einer respektablen Größen geworden. So überrascht die Qualität der vorliegenden Einspielung keineswegs: Das Ensemble Studio de musique ancienne de Montréal ist unter der künstlerischen Leitung Peter Jacksons ausgewogen besetzt. Alle zehn Stimmen sind absolut ensemblefähig und beweisen profunde technische Qualitäten. Das zeigt sich unter anderem in einer harmonischen Intonation, die keinerlei Trübungen kennt und ohne hörbaren Druck absolut stabil ist. Der Ensembleklang ist konzentriert, gut durchhörbar, alle beteiligten Stimmen zeichnen klar, ohne eine Bevorzugung der Randlagen. Artikulatorische Delikatesse lässt die einzelnen Sätze interessant geraten: Die Interpretation verliert sich nie in einem großen Einheitsklang, ohne das zweifellos vorhandene lyrische Moment aber ganz auszublenden. In fließenden Bewegungen werden die Sätze auch dynamisch differenziert entfaltet – wenn man bei dieser Musik mit einem relativ modernen Begriff denn umgehen will.
Das Klangbild ist plastisch und klar, sehr ausgewogen, bringt die gut zeichnenden Stimmen angemessen zur Geltung und rahmt die Ensemblewirkung mit einem schönen, nicht zu großen Raumanteil. Das kommt der Auffassung Christopher Jacksons entgegen: Er lässt die Musik Orlando di Lassos sich entfalten, mit all ihrer auch persönlich motivierten Trauer, die in die 'Lagrime die San Pietro' eingewoben ist. Jackson setzt auf die feinen Differenzen, nicht auf klangliche Überwältigung. Das bewahrt die Einspielung vor der Gefahr eines monochromen Eindrucks und lässt die beschließende Motette umso klarer als echten Höhepunkt aufscheinen.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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di Lasso, Orlando: Lagrime di san Pietro |
|||
Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Atma classique 1 15.09.2010 |
Medium:
EAN: |
CD
722056250924 |
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Atma classique Das Label ATMA - Seele oder Lebensgeist auf Sanskrit - wurde 1995 gegründet und bietet inzwischen mehr als 200 Aufnahmen von mittelalterlicher bis zu zeitgenössischer Musik mit einem besonderen Schwerpunkt im Barock. Für ihre Aufnahmen umgibt sich Johanne Goyette, Direktorin und zugleich Toningenieurin der Firma, gerne mit wagemutigen Künstlern, um in ihrem Studio Unerhörtes (und Ungehörtes) zu schaffen.
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