> > > The Welte Mignon Mystery Vol. XVII: Edwin Fischer spielt Werke von Bach, Beethoven und Mozart
Mittwoch, 29. November 2023

The Welte Mignon Mystery Vol. XVII - Edwin Fischer spielt Werke von Bach, Beethoven und Mozart

Der junge Edwin Fischer


Label/Verlag: Tacet
Detailinformationen zum besprochenen Titel


In der Reihe 'The Welte Migon Mystery' veröffentlicht Tacet als 18. Folge frühe Einspielungen von Edwin Fischer, die dem etablierten Bild des großen Pianisten weitere Facetten hinzufügen.

Edwin Fischer, als Lehrer wie auch als konzertierender Künstler einer der einflussreichen Pianisten des 20. Jahrhunderts, ist aus Aufnahmen hinlänglich bekannt. Zwar ist seine Diskographie nicht breit; was aber aufgenommen wurde, erlangte und behielt beinahe Kultstatus. Nun wird dank einer CD-Veröffentlichung in der Reihe ‚The Welte Mignon Mystery‘ (als deren 18. Folge) unser Bild von Edwin Fischer in die Vergangenheit hinein erweitert – wie weit allerdings ist nicht klar: Die Nummern der Klavierrollen müssten bereits 1909 vergeben worden sein, allerdings ist ein Welte-Mignon-Einspieltermin erst 1923 nachweisbar. Anlass zur unsicheren Datierung der Rollen gibt zudem ein Eintrag Edwin Fischers ins Welte-Gästebuch, das die Annahme unterstützt, Edwin Fischer habe weit vor 1923 (1909 womöglich) bereits Klavierrollen eingespielt, die er später (ganz oder teilweise?) durch neue Aufnahmen ersetzte. Wie alt die Rollen nun auch sein mögen – sie gewähren einen Blick auf den bislang unbekannten jungen Edwin Fischer. Nun ist es, nachdem man die Bekanntschaft mit diesen Aufnahmen gemacht hat, nicht notwendig, das Bild des großen Pianisten zu revidieren; einige neue Facetten fügen die Klavierrollen dem etablierten Bild aber schon hinzu.

Bach, Beethoven, Mozart

Die klanglich von Tacet in gewohnter Weise sehr gut produzierte Aufnahme bietet auf zwei Tonträger verteilt bezüglich des Repertoires eine ‚gemischte Platte‘. Den Anfang machen drei Präludium-Fuge-Paare aus dem ersten Teil des Wohltemperierten Klaviers; es folgen drei Beethoven-Sonaten, abgeschlossen von drei Mozart-Sätzen. Edwin Fischers Interpretation der Präludium-Fuge-Paare cis-Moll BWV 849, b-Moll BWV 867 und D-Dur BWV 850 weist in Teilen durchaus in die Interpretationstradition des 19. Jahrhunderts zurück. Freilich, als Charakterstücke erscheinen die Bachschen Stücke Fischer – entgegen dem mittleren 19. Jahrhundert – nicht mehr; für ihn ist Bach schon ein Stück weit in die Ferne gerückt, gewissermaßen ‚Alte Musik‘, zu der man sich am besten mit einem Urtext Zugang verschafft – einerseits. Andererseits werden im b-Moll-Präludium Spannungsbögen so wuchtig, beinahe monumental verdichtet, als sei diese Musik von der Wucht der (nachfolgend erklingenden) Beethovenschen Musik kaum entfernt.

Zurückgenommenheit und weite Bögen

Mit für die Klaviertechnik der Zeit typisch weitgehend unabhängigem Einsatz der beiden Hände werden in der cis-Moll-Fuge Themeneinsätze in den Mittelstimmen einzeln und deutlich angeschlagen, getrennt von den anderen Stimmen. So wird das kontrapunktische Geflecht prägnant hörbar, und doch bleibt die – durchweg kantabel angelegte – Linie im Fluss. Stets ist zu hören, dass diese Tondokumente, so ‚modern‘ sie wegen der klanglichen Präsentation scheinen, weit in die Vergangenheit musikalischer Interpretation hineinreichen. Achtelbewegungen werden rhythmisch ungleichmäßig gespielt, die Koordination der Hände ist nach modernen Standards nicht präzise, Rubato-Gestaltungsformen auf engstem Raum sorgen für Lebendigkeit – das alles ist vom heutigen Stand der Klavier-Kunst weit entfernt. Aber sie übt eine ganz eigene Faszination aus, vor allem, weil derlei nicht als Selbstzweck erscheint, sondern stets Rückhalt in der Musik findet, mal eingesetzt, um Charaktere zuzuspitzen, mal um größere Bögen unter einem Schwung zusammenzufassen. Letzteres ist etwa im ersten Satz von Beethovens ‚Pathetique‘ zu beobachten: Unter großen Bögen Stehendes (etwa am Ende der Exposition) wird durch Beschleunigung zu einer abgeschlossenen Gestalt gerundet.

Insgesamt geht Fischer mit solchen interpretatorischen Freiheiten vergleichsweise gezügelt um. Seine Lesarten sind, auch in Beethovens D-Dur-Sonate op. 10/3 und der Sonate As-Dur op. 110, nicht überbordend, weder in die Richtung des Romantisierenden noch des objektivierend Sachlichen. Seine instrumentale Kantabilität, die in den langsamen Beethoven-Sätzen ebenso luzide schimmert wie im „Andante“ von Mozarts Klavierkonzert Es-Dur KV 482, ist von ausgesuchter Zurückgenommenheit und Natürlichkeit; für breites Schwelgen ist kaum Platz. Und doch ist Edwin Fischer 1923 ein Pianist, dessen interpretatorische Stilistik stärker von vortragsästhetischen und aufführungspraktischen Maximen des späteren 19. Jahrhunderts geprägt ist als seine späteren Aufnahmen. Dass Tacet uns mit diesem frühen Edwin Fischer bekannt macht, ist sehr erfreulich.

Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert: 
Booklet:





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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:



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    The Welte Mignon Mystery Vol. XVII: Edwin Fischer spielt Werke von Bach, Beethoven und Mozart

Label:
Anzahl Medien:
Veröffentlichung:
Tacet
2
23.09.2010
Medium:
EAN:

CD
4009850018100


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Tacet

Das Wort TACET kommt aus dem Lateinischen und bedeutet "er/sie/es schweigt". Es steht in den Noten, wenn ein Musiker für ein ganzes Stück nichts zu spielen hat. In einem solchen Fall steht in den Noten "TACET". Ein paradoxer Name für eine Plattenfirma?

Der Produzent des Labels, Andreas Spreer, liebt das Paradox. Im April 1989 gründete der Diplom-Tonmeister die Musikfirma TACET in Stuttgart/Germany. Seither produziert TACET Musik für höchste Ansprüche auf den verschiedensten Tonträgern (CD, LP, SACD, DVD-Audio, Blu-ray). Von Beginn an erhielten die Aufnahmen herausragende Rezensionen und höchste Auszeichnungen (u. a. mehrere Jahrespreise der deutschen Schallplattenkritik, Cannes Classical Award, Echo, Diapason d'or, Grammy-Nominierung und viele mehr; stöbern Sie ein wenig in den Kritiken auf den Produktseiten), aber was noch wichtiger ist, sie erfreuen sich größter Beliebtheit beim Publikum. Dabei ist noch kein Ende abzusehen: Die Zahl der TACET-Fans wächst immer weiter. Woher kommt dieser langandauernde große Erfolg?

Vielleicht liegt es daran: TACET arbeitet konsequent an der Synthese von zwei Ebenen, die häufig als sehr unterschiedlich oder sogar gegensätzlich angesehen werden: dem musikalischen Gehalt und der aufnahmetechnischen Qualität.

Als Begriff, der sowohl die musikalischen als auch die aufnahmetechnischen Vorzüge der TACET-Aufnahmen umfasst, bietet sich das Wort "Klang" an. Klang entsteht in einem Instrument, der Musiker bringt ihn daraus hervor, doch ob gewollt oder nicht - die nachfolgenden Apparaturen und Personen beeinflussen den Klang auch. Wenn alle Beteiligten, Musiker, Instrumente, Raum, Aufnahmegeräte und "Tonbearbeiter" gut zusammenpassen bzw. zusammenarbeiten, wächst in der Mitte zwischen ihnen wie von selbst etwas Neues empor, das dem Wesen einer Kompositon sehr nahe kommt. Davon handelt unser Slogan "Der TACET-Klang - sinnlich und subtil".

"This is one of the best sounding records you'll ever hear" schrieb das US-Magazin "Fanfare" über die TACET-LP L207 "oreloB". György Ligeti äußerte über die Kunst der Fuge "... doch wenn ich nur ein Werk auf die "einsame Insel" mitnehmen darf, so wähle ich Koroliovs Bach, denn diese Platte würde ich, einsam verhungernd und verdurstend, doch bis zum letzten Atemzug immer wieder hören.". "Entscheidend aber ist die Gemeinsamkeit des Geistes. Die Auryn-Leute beseelt die gleiche Kunstgesinnung..." (Rheinische Post). Stöbern Sie ein wenig in den Kritiken auf den Produktseiten oder noch besser hören Sie sich TACET-Aufnahmen an und überprüfen, was die Kritiker schreiben.

Bei uns darf Musik all das anrühren und ausdrücken, was das Leben ausmacht. Sie erlaubt dem Hörer Gefühle zu empfinden, ohne sentimental zu werden. Sie kann witzig sein und zum Lachen bringen. Sie kann auf ehrliche Weise "romantisch" sein, ohne den Hörer in einen Kaufhausmief von Wohlfühlklängen zu versenken. Sie darf in unendlichen Variationen geistreich sein. Sie darf zum Denken und zum Erkennen anregen, ohne musikalische Vorbildung zu erfordern. Sie darf effektvoll sein und um die Ohren fliegen, wenn es dem Wesen der Werke entspricht. Sie kann Revolutionen im Kopf auslösen, ohne ein einziges Wort. Sie kann widersprechen und korrigieren. Musik kann Verzweiflung wecken, aber auch trösten. Und und und. Die vollständige Liste wäre endlos.

Der TACET-Inhaber und -Gründer Andreas Spreer erhielt u. a. die Ehrenurkunde des Preises der deutschen Schallplattenkritik.


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