
Shadowlands. Le Quatuor Romantique spielen - Opernfantasien von Korngold, Marschner, Meyerbeer u.a
Apart
Label/Verlag: ARS Produktion
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Das Ensemble Le Quatuor Romantique widmet sich einer längst vergessenen Gattung: der Opernfantasie. Es spielt sie in der aparten Besetzung von Klaviertrio plus Harmonium. Das ist spannend, aber das Zugpferd von Beethoven will nicht ins Programm passen.
Le Quatuor Romantique ist ein Ensemble, das das heute weitgehend vergessene Repertoire der Musik für Violine, Violoncello, Harmonium und Klavier wiederbeleben möchte. Ein wichtiges Unternehmen, das eine ganze Traditionslinie an Musik des 19. und frühen 20. Jahrhunderts wieder bewusst machen will. Der Titel ‚Opera Fantasias from Shadowlands‘ soll dabei Programm sein – Ziel ist eine Spurensuche nach Musik, die sich auf unterschiedlichste Weise mit dem Jenseits, mit Schattenwelten, vor allem der Unterwelt befasst. Ein spannendes Konzept. Rund hundert Jahre umfasst die abgeschrittene Zeitspanne, auf der einen Seite mit Beispielen der französischen und deutschen Schaueroper, auf der anderen Strauss’ 'Ariadne auf Naxos' und Korngolds 'Die tote Stadt'.
Das Ensemblespiel der vier historisch informiert spielenden Musiker ist bewunderungswürdig, es präsentiert sein klares Interesse an historisch reflektierten Klängen – die Anteile von Violinist Vassili Voronin, Cellist Edward John Semon, Pianist Markus Märkl und Harmoniumspieler Joachim Diessner verschmelzen zu teilweise ganz eigenen Klängen, an die sich der Hörer erst gewöhnen muss. Gleich das Eröffnungsstück hat es in sich. Heinrich Marschners Oper 'Der Vampyr' (1828) hat, trotz mehrfacher Wiederbelebungsversuche, nach dem Ersten Weltkrieg stark an Popularität eingebüßt, obwohl die Musik jener Carl Maria von Webers in nichts nachsteht. Die Ouvertüre zu der Oper in Kammermusikfassung bietet viele der originalen Klangfarben, verblüffend viele, auch wenn man in Momenten, in denen das Harmonium solo spielt, etwas merkwürdig berührt wird – in gewisser Weise tut sich hier durchaus eine jenseitige Welt auf. Ähnlich steht es mit der Ouvertüre zu Offenbachs 'Orphée aux Enfers' – einer Ouvertüre, die allerdings leider kaum etwas mit der Unterwelt zu tun, vielmehr ein Potpourri unterschiedlichster Melodien ist. In exponierten Lagen sollte Voronin, ohne Netz und doppelten Boden spielend, in Zukunft noch verstärkter darauf achten, dass sein vibratoarmer Ton ganz exakt zu den Tasteninstrumenten passt (wunderbar der warme Klang des Helmholz-Flügels von 1910).
Adolf Schreiner schuf um 1920 eine Fantasie über Motive aus Meyerbeers Oper 'Robert le diable', u.a. für Salon-, Militär- und Sinfonieorchester. Die vorliegende Fassung wirkt genuin für diese Besetzung entwickelt, sie funktioniert bestens und macht Appetit auf mehr; die Tradition der Opernparaphrase hat ihre ganz eigene Ästhetik, der sich die Musiker vollauf bewusst sind. Die kurzweilige Fantasie ist, dies sei am Rande vermerkt, drei Minuten kürzer als im Booklet angegeben. In Emile Tavans bereits 1913 entstandener Großen Fantasie aus der Oper 'Ariadne auf Naxos' (elegant zwischen der Nymphen-Ariadne-Commedia dell’Arte-Welt changierend) kommt besonders effektvoll das Debain-Harmonium von ca. 1867 zur Geltung, und auch, dass Voronin hier mit mehr Vibrato spielt, tut dem Werk gut. 1921, ein Jahr nach seiner Uraufführung, erschien bereits Leo Artoks von Korngold autorisierte Große Fantasie aus 'Die tote Stadt' – ein fast halbstündiges anspruchsvolles Werk (mit überzeugender Glocken-Imitation), das aus weiter Ferne an die besten Opernparaphrasen aus dem 19. Jahrhundert denken lässt.
Einen Track hat sich der Rezensent bis zum Schluss aufgehoben – den Eröffnungssatz von Beethovens Sonate cis-Moll 'quasi una fantasia' op. 27 Nr. 2, auch unter dem Namen ‚Mondschein-Sonate‘ bekannt. Was für eine Veränderung im Charakter, was für teilweise orgelmäßige, teilweise orchestrale Klänge – der Satz wird in dieser Fassung, auch durch die bewusst gedämpften Tempi, zeitlos-unzeitgemäß – ein spannendes, ein lohnendes Erlebnis. Der brillante SACD-Sound fängt die vier Instrumente in ihrer Vielfarbigkeit ein – aber er versteckt auch nichts, jede kleinste Unebenheit wird schonungslos offenbar. Am stärksten betroffen ist hierbei die Violine, der die klangliche Präsentation nicht schmeichelt. Doch sind es nur Momente, in denen man zweifelt, vor allem in der 'Vampyr'-Ouvertüre – zumeist ist das klangliche Ergebnis überzeugend.
Bleibt das Booklet. Leider ist dieses (und damit auch die CD) mit Ansprüchen überfrachtet. Hätten sich die Musiker mehr auf die Musik verlassen, und das Booklet über die Tradition der Bearbeitung umfangreichere Ausführungen geboten statt über ein vorgebliches Gesamtkonzept (das so leider nicht funktioniert, für den Rezensenten bleibt der Sonatensatz von Beethoven absolute Musik und sicher keine Opernfantasie, und auch zwei Ouvertüren sind keine Fantasien) - man müsste nicht derart große Abstriche machen. Über die Werke erfährt man so nur teils Irreführendes, vielfach überhaupt nichts, insbesondere über die Fantasien. Für welche Besetzungen waren die Fantasien konzipiert (für Orchester? - es steht zu vermuten)? Und was für Originalbearbeitungen für die seltene Besetzung des Quatuor Romantique gibt es überhaupt? Würden im Booklet konkrete Hinweise auf die historische Verwendung dieser speziellen Besetzung gegeben, so würden derlei Fragen beantwortet. Und es könnte gar nicht erst der Verdacht entstehen, die gesamte CD sei ein groß angelegter Bluff (wenn auch ein sehr gut gemachter). Dessen ungeachtet: eine unterhaltsame CD mit guter Musik in ungewohntem Gewand – warum denn nicht?
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Shadowlands. Le Quatuor Romantique spielen : Opernfantasien von Korngold, Marschner, Meyerbeer u.a |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
ARS Produktion 1 01.04.2010 |
Medium:
EAN: |
SACD
4260052380758 |
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Beethoven, Ludwig van |
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ARS Produktion Das exquisite Klassiklabel ARS Produktion wurde 1987 von Annette Schumacher mit dem Ziel gegründet, jungen, aufstrebenden Künstlern und interessanten Programmen gleichermaßen eine individuelle musikalische Heimat und entsprechende Marktchancen, u.a. durch internationalen Vertrieb und Vermarktung zu geben. Die bei Paul Meisen ausgebildete Konzertflötistin hat sich damit nach langer aktiver Musikerlaufbahn einen geschäftlichen Traum erfüllt.
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