
Mangold, Carl Amand - Abraham
Der steife Urvater
Label/Verlag: Christophorus
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Carl Amand Mangolds 'Abraham' ist trotz des Engagements aller Beteiligten kein Aushängeschild des immer noch fast unbekannten Oratorienrepertoires des 19. Jahrhunderts.
Es ist paradox: Die Opern des 19. Jahrhunderts dominieren bis heute weltweit die Spielpläne, während im Allgemeinen Oratorien aus dieser Zeit bis auf Mendelssohns 'Paulus’ und 'Elias’ praktisch unbekannt sind. Dabei erlebte die Gattung gerade in Deutschland einen enormen Aufschwung, getragen wurde sie von den überall entstehenden Gesangsvereinigungen und Musikfesten. Doch hier liegt auch der Knackpunkt für ihre Rezeption in der Gegenwart: Trotz ihrer zunächst meist alttestamentlichen Sujets wurden unter dem Druck der Restauration mal mehr, mal weniger subtil politische Botschaften eingeflochten und transportiert. Der Ruf nach Heilsbringern aus der Bibel oder der Geschichte mündete immer mehr auch in weltlichen Stoffen, so dass besonders nach der Reichsgründung von 1871 nationale Figuren wie z.B. Luther, Bonifatius oder Arminius für die Sinnfindung der nun vereinigten Deutschen besungen wurden. Das Pathos dieser Werke ist heute nur schwer vermittelbar, zumal die Musik sich nicht an höchsten Idealen, sondern an praktischer Machbarkeit und Eingängigkeit orientierte, daher heute als wenig inspiriert gilt. Die Zeitgebundenheit erweist sich demnach oft als Hindernis. Carl Amand Mangolds (1813-1889) 'Abraham' von 1860 lässt sich ohne weiteres hier einreihen, denn mit seinem zuvor komponierten Oratorium 'Wittekind' (1843) sowie der Oper 'Gudrun' (1851) und dem Konzertdrama 'Die Hermannsschlacht' spielte auch er ganz eindeutig die nationale Karte.
Mangold war von 1839 bis zu seinem Tode Leiter des Musikvereins in Darmstadt, wo er ab 1848 auch das Hoftheater leitete. Für die Stadt war er demnach eine prägende Figur des Musiklebens und so verwundert es nicht, dass sich der Konzertchor und das Philharmonische Orchester Darmstadt unter der Leitung Wolfgang Seeligers ihres ‚hauseigenen‘ Komponisten in dieser Aufnahme aus dem Jahr 1986 angenommen haben. Es sind vor allem zwei Ausschnitte aus der Geschichte Abrahams, die Mangold selbst unter Verwendung anderer Abschnitte und Paraphrasen aus der Bibel zur Vertonung ausgewählt hat: Die Errettung seines Neffen Lot und die gleichzeitige Vernichtung Sodoms und Gomorrhas sowie das durch Gott verhinderte Opfern seines Sohnes Isaak. Eine dankbare Vorlage für allerlei packende musikalische Schilderungen, mag man meinen. Doch der Komponist bleibt weit hinter seinen Möglichkeiten zurück, die Abläufe geraten ihm viel zu statisch. Er behält das traditionelle Schema mit der Abfolge von Chören, Arien und Rezitativen bei, letztere scheinen durch ihre von Secco- und Accompagnato-Rezitativ entlehnte Instrumentation und Diktion eine eindeutige Reminiszenz an barocke Vorbilder zu sein.
Ein Erzähler fehlt, die Personen reden nach Maßgabe des Bibeltextes miteinander. Doch echte Zuspitzungen, dramatische Verläufe oder eindeutige Höhepunkte finden sich in den Arien und Chören nur spärlich. Immer wieder tauchen die Stimme Jehovas als Doppelchor oder ein oder mehrere Engel auf und weisen die Protagonisten gleichsam wie Regisseure auf neue Ereignisse und Handlungen hin. Doch auch deren Erscheinen ist eigenartig profan und grob gezeichnet, sie heben sich nicht recht ab vom irdischen Geschehen.
Die Zerstörung Sodoms und Gomorrhas wird zunächst nur durch ein Chorrezitativ nacherzählt, das die musikalischen Ausdeutungsmöglichkeiten des Textes weitgehend ungenutzt liegen lässt. Erst der nachfolgende Chor ('Seine Blitze leuchten auf dem Erdboden') – das Vorbild Händels ist hier unüberhörbar – entwickelt eine gewisse Durchschlagskraft, wird aber leider etwas ungelenk musiziert.
Generell lässt sich sagen: Die kompositorischen Schwächen lassen sich durch das hörbare Engagement aller Beteiligten nicht überdecken. Der Konzertchor Darmstadt präsentiert sich auf gutem Niveau, agiert homogen und wendig. Mehr große Geste und Gestaltungswillen wünscht man sich hingegen vom Philharmonischen Orchester Darmstadt. Die auf der Rückseite der CD angepriesene Instrumentationskunst Mangolds entpuppt sich beim Hören allerdings als nicht besonders einfallsreich. Mit Gerd Türk und Monika Frimmer konnten namhafte Solisten gewonnen werden, die ihren Partien als Engel bei aller musikalischen Beschränktheit Strahlkraft und Leben verleihen. In der Titelrolle des Abraham kann Gilles Cachemaille ebenfalls überzeugen. So ehrenwert das Eintreten der Darmstädter für Mangold ist: Ein zu Unrecht vergessenes Meisterwerk ist der 'Abraham' nicht.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Mangold, Carl Amand: Abraham |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Christophorus 2 01.04.2010 |
Medium:
EAN: |
CD
4010072773265 |
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