> > > Havergal, Brian: Sinfonie Nr. 1 d - Moll ´The Gothic´
Dienstag, 5. Dezember 2023

Havergal, Brian - Sinfonie Nr. 1 d - Moll ´The Gothic´

Moderne monumental


Label/Verlag: Testament Records
Detailinformationen zum besprochenen Titel


Die Erste Sinfonie in d-Moll 'The Gothic' des englischen Komponisten Havergal Brian hat es ins Guinessbuch der Rekorde geschafft. Hier liegt sie in einer empfehlenswerten historischen Einspielung mit Adrian Boult vor.

Die Erste Sinfonie in d-Moll des englischen Komponisten Havergal Brian (1876-1972) hat es ins Guinessbuch der Rekorde geschafft. Nicht Gustav Mahlers Achte Sinfonie, die ‚Sinfonie der Tausen‘ oder Arnold Schönbergs 'Gurre-Lieder' beanspruchen für eine Aufführung die höchste Anzahl an Beteiligten, sondern der aus sechs Sätzen bestehende sinfonische Erstling 'The Gothic' des die meiste Zeit seines Lebens Unbekannten. Für die Umsetzung der 54-systemigen Partitur benötigt das stark erweiterte Orchester knapp 200 Instrumentalisten. Dazu gehören unter anderem 32 Holz- und 24 Blechbläser sowie ein 17 Spieler umfassender Schlagzeugapparat. Hinzu treten neben einem Quartett aus Gesangssolisten sechs Chöre, darunter zwei für Kinder. Insgesamt handelt es sich um rund 500 Sänger. Damit sich die Angelegenheit auch lohnt, dauert das in zwei Teile gegliederte Werk beinahe zwei Stunden. Während die ersten drei Sätze rein orchestral sind, bringen die restlichen drei das komplett vertonte 'Te deum'. 32 Sinfonien hat Brian, ein Kind der working class, geschaffen. Die Mehrheit davon komponierte er erst nach seinem 80. Geburtstag. Keine beansprucht so viel Aufwand wie 'The Gothic'.

Auf die Frage, warum William Havergal Brians Schaffen selbst in Großbritannien noch in der Gegenwart als Geheimtipp gilt, von seiner internationalen (Nicht-)Beachtung ganz zu schweigen, gibt es viele Antworten. Aber weil es sich um großartige, auch diskographisch nur mangelhaft erschlossene Musik handelt, stellt keine dieser Antworten richtig zufrieden. Er selbst führt in einem Interview von 1966 die beiden Weltkriege und die daraus resultierenden erschwerenden Lebensumstände an. Dass er aus verschiedenen Gründen ab 1913 in ärmlichen Verhältnissen leben musste und sich als Kopist, Arrangeur und Musikjournalist, nicht aber als Komponist, über Wasser halten konnte, spielt sicher eine Rolle. Erst die Aufführung seiner Achten Sinfonie im Jahr 1954 durch Sir Adrian Boult stellte einen ersten Impuls zu Brians Wiederentdeckung dar. 1966 dann ereignete sich ein Durchbruch mit der ersten komplett professionellen Aufführung von 'The Gothic' in Londons Royal Albert Hall, wieder unter Boult. Der Live-Mitschnitt des zweiten Konzerts durch die BBC liegt nun, zusammen mit erwähntem Kurz-Interview, rund 45 Jahre später auf zwei CDs gepresst vor.

Natürlich wäre es leicht, 'The Gothic' als popularitätsheischende Riesenschwarte abzutun, als bloßes Effektstück nach dem Motto: je größer, desto besser – die Musik selbst spielt eigentlich keine Rolle. Diese Meinung würde Brians Erste jedoch auf unzulässige Weise reduzieren, indem sie ganz einfach darüber hinweg sieht, dass es sich um ein hochkomplexes, tonal progressives und bei aller pompösen Anlage subtil instrumentiertes Werk von formaler Konzentration handelt, das überdies einen klar erkennbaren Personalstil aufweist. Alleine das 'Judex crederis' mit seinen blockartigen Gegenüberstellungen expressiv dissonierender Chor- und Bläsersätze hat man so noch nie gehört. An Anton Bruckner erinnernde Blechbläserpassagen begegnen genauso wie reine Klangmassierungen im wortwörtlich riesenhaften Tutti. Was den Grad an Modernität angeht, befindet sich 'The Gothic', die vermutlich in den Jahren 1919 bis 1927 entstand, auf der Höhe ihrer Zeit. Die erstmals zu Beginn der 1930er Jahre gedruckte Partitur ist übrigens dem ‚geliebten Freund und Meister‘ Richard Strauss gewidmet.

Klangqualitativ müssen aufgrund des Alters der Aufnahme selbstverständlich Abstriche gemacht werden. Diese fallen überraschenderweise allerdings weniger einschneidend aus als möglicherweise erwartet. Die Weite des Klangraums bleibt jederzeit in ihrer Plastizität erhalten. Im imponierenden Tutti entsteht beim Hören oftmals der entgrenzende Eindruck, als schwebe man in einem Windkanal. Dass hierbei volle Transparenz nicht immer gewährleistet sein kann, versteht sich von selbst. Dennoch beeindruckt es, wie präzise das stark erweiterte BBC Symphony Orchestra und die Chormassen unter Boults Leitung gemeinsam agieren. Ungenauigkeiten in Form unpräziser Einsätze oder Intonationstrübungen scheint es nicht zu geben. Und das obwohl sich Bould, wie der umfangreiche Booklettext in deutscher Sprache verrät, für die Aufführung genötigt sah, einen Taktstock zu verwenden, der ‚ein Zoll oder zwei länger als üblich war‘. Das sich ab und zu bemerkbar machende Publikum und ein leichtes Rauschen nimmt man gerne in Kauf.

Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert: 
Booklet:





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    Havergal, Brian: Sinfonie Nr. 1 d - Moll ´The Gothic´

Label:
Anzahl Medien:
Veröffentlichung:
Testament Records
2
01.02.2010
Medium:
EAN:

CD
749677145422


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Testament Records

Testament is an artist-based label, not restricted to any particular period of recording history, and its releases are selected from the archives of some of the largest record companies and radio stations in the world. With the permission and cooperation of these companies and stations.

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