
Stravinsky, Igor - The Rake´s Progress
‘The Rake’s Progress’ überzeugt
Label/Verlag: Monarda Music
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Ungefähr fünfzig Jahre nach der Uraufführung von ‘The Rake’s Progress’, bringt ArtHaus die erste DVD auf den Markt, die dieser einzigen abendfüllenden Oper Igor Strawinskys gewidmet ist. Die dafür aufgezeichnete Inszenierung stammt von Regisseur Peter Mussbach und erlebte ihre Premiere 1996 bei den Salzburger Festspielen. Die Gestaltung und Bühnenausstattung ist auf pfiffige Weise mit dem Initialfunken aus der Entstehungsgeschichte des ‘Rake’ verwoben. Denn inspiriert wurde der Komponist durch eine Folge von acht satirisch-moralisierenden Kupferstichen des englischen Malers und Kupferstechers William Hogarth (1697-1764) aus dem Jahre 1735, die den Titel ‘The Rake’s Progress’ trug. Auf diese war Strawinsky 1947 bei einem Besuch des Chicago Art Institutes gestoßen, und erst durch sie wurde die Idee zu der gleichnamigen klassizistischen Nummernoper, einer ironischen Opernmoritat im Geiste Mozarts und Da Pontes, geboren.
Diesen entscheidenden entstehungsgeschichtlichen Aspekt hat Jörg Immendorff direkt in die Inszenierung einfließen lassen. Dabei wurden weniger spezielle Details aus den acht Bildern Hogarths bei der Gestaltung der Kulissen übernommen, als vielmehr Elemente der Tätigkeit eines Malers im Allgemeinen. So finden sich im Verlauf der Aufführung immer mal wieder Anspielungen auf die Malerei, etwa durch gemalte Kulissen oder durch aufgebaute Staffeleien. Besonders aufwendig gearbeitet ist der Vorhang, der selbst eine Art gemaltes Kunstwerk ist und auf der DVD während des Vorspanns und der fanfarenartigen kurzen Einleitung der Oper in Großaufnahme zu sehen ist. Wie selbst gebastelt wirken die Häuser der Darsteller, die nur durch die mit Pinsel gemalten Namen zu unterscheiden sind.
Während der gesamten Aufführung ist auf der Bühne ein buntes Flugzeug zu sehen. Es symbolisiert wie ein roter Faden den Untergang Rakewells, der damit als Irrflug verbildlicht wird. An jeder bedeutenden Stelle im Verfallsprozess Rakewells taucht in der Handlung der Oper ein Gartentor auf, durch das vor allem der Botschafter des Unheils, Nick Shadow, häufig hindurchtritt. Wann immer es in den Bühnenanweisungen der Partitur erscheint, finden nun entsprechende Aktionen auf dem Flugzeug statt. So deutet der Protagonist beispielsweise in dem Abschieds-Duettino des ersten Aktes ‘Farewell for now’ auf der Pappmaschine stehend ein fliegendes Flugzeug an. Auch Nick, sein teuflischer Verführer, erscheint in der Szenerie, indem er aus dem Flugzeug klettert, und seinen Ausruf ‘The progress of Rake begins’ verkündet er ebenfalls von dort. Das Bild des Irrfluges wird konsequent bis zur Katastrophe durchgehalten, so dass das Flugzeug am Ende für Shadow als Grab und für Rakewell als Totenbett dient.
Strawinsky strebte für die Oper ein möglichst klein besetztes Orchester an und orientierte sich an Mozarts Oper ‘Cosi fan tutte’. Dadurch sind die einzelnen Musiker vielleicht noch mehr herausgefordert als in einem groß besetzten Werk. Doch nicht nur vor diesem Hintergrund ist die musikalische Leistung der Camerata Academica unter Sylvain Cambreling bemerkenswert. Die Vortragsbezeichnungen, sowie die Rhythmik und Dynamik sind vom Orchester hervorragend ausgearbeitet. So werden beispielsweise die Gefühlsschwankungen Annes in der Cabaletta ‘I go, I go to him’ in der letzten Szene des ersten Aktes oder der Wutausbruch der Türken-Baba in der Arie ‘Scorned! Abused!’ im zweiten Akt von den Instrumentalisten differenziert ausgestaltet und pointiert umgesetzt. Gerade auch an kammermusikalischen Stellen der Partitur, wie etwa dem Streichquartett aus dem Prelude, das die zweite Szene des dritten Aktes einleitet, befindet sich das Orchester auf höchstem Niveau.
Auch die Leistung der Sänger ist überwiegend erfreulich. Besonders hervorzuheben ist Jerry Hadley, der die Partie des Rakewell interpretiert. Er nimmt sich in der dynamischen und artikulatorischen Gestaltung gegenüber den anderen Sängern die größte interpretatorische Freiheit, wobei hier deutlich seine Affinität zur populären Musik und zum ‘Crossover’ zu spüren ist. Denn mehr als bei Sängern des ‘rein klassischen’ Faches üblich, weicht Hadley wiederholt von den notierten Werten der Partitur ab und setzt seine individuelle Tongebung als ausdruckssteigerndes Mittel ein. Dies äußert sich zum einen durch ein häufiges Anschleifen oder Fallenlassen der Töne, wodurch die exakte Tonhöhe besonders am Phrasenbeginn oftmals verschleiert wird, sowie andererseits durch rhythmisch-metrische Verschiebungen von Notenwerten innerhalb einzelner Phrasen. So behandelt Hadley insgesamt die Rhythmik seines Gesanges relativ frei, tauscht oftmals innerhalb eines Taktes zur Betonung bestimmter Silben einzelne Achtel- und Sechzehntelnoten gegeneinander aus (zum Beispiel in dem Rezitativ in der ersten Szene des zweiten Aktes ‘O Nature, green unnatural mother’) oder wandelt Sechzehntel- oder Achtelläufe in punktierte Notenwerte um. Das ändert sich jedoch in zwei- oder mehrstimmigen Partien, in denen er sich strikt an die vorgegebene Rhythmik hält. Dadurch klingt der Gesang nie verschoben, und Duette mit Nick Shadow oder Anne laufen nie auseinander. Insgesamt wirkt Jerry Hadley durch sein etwas schmuddeliges Outfit, sein ausdrucksstarkes Mienenspiel und seine Gesangstechnik als sehr überzeugender Rakewell. Denn eine äußerst ‘klassische’, ‘brave’ Gesangstechnik und ein schmuckes Äußeres würden der Rolle eines entgleisten jungen Mannes vom Lande, eines Malers, der sich im Irrflug befindet, nicht gerecht werden. Auch Dawn Upshaw überzeugt in der Rolle der Anne. Ihr Gesang wirkt sehr klar und leicht, da die Sängerin nicht unnötig drückt. Auch hier unterstreicht das Kostüm (ein weißes schlichtes Kleid) und ihr Auftreten (barfüßig) den Charakter des unschuldigen jungen Mädchens vom Land, das sich um ihren Geliebten sorgt. Prinzipiell orientiert sich der Gesang Upshaws dicht am Notentext, insbesondere in Bezug auf dynamische und Vortrags- Bezeichnungen. An einigen Stellen nähert sie sich zwar der rhythmischen Freiheit Hadleys vorsichtig an, doch da dies so vereinzelt auftritt, bleibt es für den Gesamteindruck unbedeutend. Weniger glaubwürdig scheint mir Jane Henschel in der Rolle der Türken-Baba zu sein. Insbesondere in ihrer Parade-Arie ‘Scorned! Abused!’ in der dritten Szene des zweiten Aktes werden Temperament und Zorn lediglich vom Orchester vermittelt, und die Hintergrundfiguren übernehmen es an ihrer Stelle, Geschirr und Gegenstände zu zerschmeißen, beziehungsweise zu zerstören. Der Gesang der Türken-Baba wirkt etwas zu gedrückt und schwerfällig, um den Gefühlsausbruch überzeugend ‘rüber bringen’ zu können. So wird die Arie lediglich durch das Orchester gewissermaßen ‘gerettet’. Dahingegen wurde stimmlich mit Monte Pederson für die Rolle des Nick Shadow eine sehr gute Wahl getroffen. Sein ‘satt’ klingender Bariton betont die Ruhe und Überzeugung, mit der Shadow handelt und damit dem unsicheren, verführbaren Rakewell überlegen ist. So überragt Pederson als Shadow den kleineren Hadley als Rakewell nicht nur durch seine körperliche Statur, sondern auch durch diese stimmliche Festigkeit. Und auch in der musikalischen Interpretation hält er sich strikt an die vorgegebene Rhythmik, Artikulation und Tongebung. Etwas zu kurz kommt lediglich die Wandlung Shadows im dritten Akt, als er sich vor Rakewell als Teufel offenbart und dessen Seele für seine Dienste einfordert. Hier wirkt Pedersons Auftreten zu ‘glatt’, er erscheint immer noch zu sehr als der Kumpel, dem Rakewell sein Vertrauen geschenkt hat.
Bei dieser DVD handelt es sich um eine Co-Produktion von ORF und RM Arts, die 1996 in Zusammenarbeit mit den Salzburger Festspielen und dem Radio Telefis Eireann entstanden ist. Der Ton- und Bildträger bietet das Bildformat 16:9 (anamorph) und das Tonformat PCM Stereo. Als Sprache für Menü und Untertitel kann zwischen Englisch, Deutsch, Französisch und Spanisch gewählt werden.
Der Ton ist insgesamt sehr ausgewogen und vermittelt ein angenehmes Hörerlebnis. Nur an einigen Stellen ergeben sich Probleme durch die Live-Aufnahme. So ist Anne zum Beispiel kurzzeitig kaum noch hörbar, als sie dem Publikum in der Arie ‘No word from Tom’ den Rücken zuwendet. Ansonsten sind die Probleme jedoch überwiegend auf störende Bühnengeräusche beschränkt, wie etwa in der Versteigerungsszene des dritten Aktes und im Trio zwischen Anne, Rake und Baba im zweiten Akt. Hier ist ein wiederholtes Knacken und Knatschen der Schritte auf dem Holzboden nicht zu überhören.Vor dem Hintergrund eines Live- Mitschnitts ist die Qualität des Tons jedoch äußerst bemerkenswert.
Lobend hervorzuheben sind auch die Lichtverhältnisse dieser Aufnahme. So kommt das Lichtdesign von Wolfgang Göbbel auch auf der DVD ausgezeichnet rüber, das für diese Einspielung wunderbar eingefangen wurde. Denn für die Kameraeinstellung wurde durchweg sehr geschickt zwischen Totale und Naheinstellung gewechselt, so dass sowohl die Gesichter und Mimik der Darsteller als auch das Bühnenbild mitsamt der bunt gestalteten Beleuchtung gut sichtbar sind.
Leider enthält die DVD keinen Surroundton und entbehrt auch jeglicher Extras. Das Booklet bietet jedoch die wichtigsten Informationen zu Werk, Komponist, Aufführung und Inhalt der Oper und ist auf Deutsch, Englisch und Französisch verfasst. Insgesamt halte ich diese erste DVD-Einspielung des ‘Rake’s Progress’ aufgrund der musikalischen und technischen Qualität für sehr empfehlenswert.
Dieser Beitrag hat Ihnen gefallen? Empfehlen Sie ihn weiter!
Ihre Meinung? Kommentieren Sie diesen Artikel
Jetzt einloggen, um zu kommentieren.
Sind Sie bei klassik.com noch nicht als Nutzer angemeldet, können Sie sich hier registrieren.
Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
![]() Cover vergrößern |
Stravinsky, Igor: The Rake´s Progress |
|||
Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: Spielzeit: Aufnahmejahr: Veröffentlichung: |
Monarda Music 1 03.12.2001 157:00 1996 2001 |
Medium:
EAN: BestellNr.: |
DVD
4006680102542 100 254 |
![]() Cover vergössern |
Strawinsky, Igor |
![]() Cover vergössern |
|
![]() Cover vergössern |
Monarda Music Arthaus Musik wurde im März 2000 in München gegründet und hat seit 2007 seinen Firmensitz in Halle (Saale), der Geburtsstadt Georg Friedrich Händels. Zahlreiche Veröffentlichungen des Labels wurden mit internationalen Preisen ausgezeichnet, darunter der Oscar-prämierte Animationsfilm ?Peter & der Wolf? von Suzie Templeton, die aufwändig produzierte ?Walter-Felsenstein-Edition? und die von Sasha Waltz choreographierte Oper ?Dido und Aeneas?, die beide den Preis der deutschen Schallplattenkritik erhielten. Mit dem Midem Classical Award wurden u. a. die Dokumentationen ?Herbert von Karajan ? Maestro for the Screen? von Georg Wübbolt und ?Celibidache ? You don?t do anything, you let it evolve? von Jan Schmidt-Garre ausgezeichnet. Die Dokumentation ?Carlos Kleiber ? Traces to nowhere? von Eric Schulz erhielt den ECHO Klassik 2011. Mit der Tochterfirma Monarda Arts besitzt Arthaus Musik eine ca. 900 Produktionen umfassende Rechtebibliothek zur DVD-, TV- und Onlineauswertung. Seit 2007 entwickelt das Unternehmen kontinuierlich die Sparte Eigenproduktion mit der Aufzeichnung von Opern, Konzerten, Balletten und der Produktion von Kunst- und Musikdokumentationen weiter. Arthaus Musik DVDs und Blu-ray Discs werden über ein leistungsfähiges Vertriebsnetz, u.a. in Kooperation mit Naxos Global Distribution in ca. 70 Ländern der Welt aktiv vertrieben. Darüber hinaus veröffentlicht und vertreibt Arthaus Musik die 3sat-DVD-Edition und betreut für den Buchhandel u.a. die Buch- und DVD-Edition über Pina Bausch von LArche Editeur, Preisträger des Prix de lAcadémie de Berlin 2010. Mehr Info... |
![]() Cover vergössern |
Jetzt kaufen bei...![]() |
Weitere Besprechungen zum Label/Verlag Monarda Music:
-
Gelungene Zeitreise: Das Teatro Regio Torino unternimmt eine Rekonstruktion der Uraufführung von Puccinis 'La Bohème'. Weiter...
(Oliver Bernhardt, )
-
Unentschiedenes Konzept: Richard Strauss' 'Capriccio' an der Dresdner Semperoper. Weiter...
(Oliver Bernhardt, )
-
Zerfahrener Aktionismus: Carlus Padrissas T.H.A.M.O.S.-Projekt in Salzburg Weiter...
(Oliver Bernhardt, )
Weitere CD-Besprechungen von Katrin Paulsen:
-
Folkmusik zum Träumen: Weiter...
(Katrin Paulsen, )
-
Portrait des Komponisten John Adams: Weiter...
(Katrin Paulsen, )
-
Philipp Glass: Koyaanisqatsi: Weiter...
(Katrin Paulsen, )
Weitere Kritiken interessanter Labels:
-
Wenig wirklich Neues: Spannende Begegnung mit Anton Weberns Schubert-Lied-Instrumentationen. Weiter...
(Dr. Jürgen Schaarwächter, )
-
Russische Seele?: Elena Kuschnerova legt eine programmatisch fragwürdige, aber interpretatorisch überzeugende Aufnahme mit Klavierwerken von Alexander Lokshin und Sergej Prokofiev vor. Weiter...
(Dr. Kai Marius Schabram, )
-
Gediegen: Philippe Herreweghes gelegentliche Erkundungen im Reich der Bach-Kantate gefallen. Sie sind auf eine – im Sinne der Erkenntnisse historisch informierter Praxis – klassische Weise gediegen. Weiter...
(Dr. Matthias Lange, )
Jetzt im klassik.com Radio


Portrait

"Schumann ist so tiefgreifend, dass er den Herzensgrund erreicht."
Die Pianistin Jimin-Oh Havenith im Gespräch mit klassik.com.
Sponsored Links
- klassik.com Radio
- Urlaub im Schwarzwald
- Neue Musikzeitung
- StageKit - Websites für Musiker, Veranstalter und Konzertagenturen
Hinweis:
Mit Namen oder Initialen gekennzeichnete Beiträge geben die Meinung des Verfassers,
nicht aber unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
Die Bewertung der klassik.com-Autoren:
Überragend
Sehr gut
Gut
Durchschnittlich
Unterdurchschnittlich