
Gouvy, Théodore - Sinfonie Nr. 2 F-Dur op. 12
Zwischen zwei Ländern
Label/Verlag: Sterling
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Gouvys Orchestermusik in einer Einspielung mit der Württembergischen Philharmonie Reutlingen - durchaus ansprechend.
Der Name Théodore Gouvy wurde mir erstmals geläufig in Zusammenhang mit der Vorbereitung des Reger-Werkverzeichnisses – Max Reger erstellte von Gouvys posthum veröffentlichter 'Petite Suite gauloise‘ für Nonett eine vierhändige Klavierfassung. So lernte ich das Gouvy-Institut kennen, das sich jetzt so rührig um Einspielungen bemüht. Gouvy erlebt derzeit auch durchaus dank des Instituts, eine Renaissance – von seinen Sinfonien liegen bereits die Nummern 3, 5 und 6 vor (bei cpo), außerdem zwei CDs mit geistlicher Chormusik sowie CDs mit Liedern und Kammermusik.
Gouvy (1819–1898), an der französischen Grenze nicht weit von Saarbrücken geboren, war in Deutschland erfolgreicher als in Frankreich, er pendelte zwischen Paris und Preußen, lebte in Berlin und Leipzig. Gouvys Zweite Sinfonie F-Dur op. 12 entstand 1848-9, sie ist ein melodiöses, gefälliges Werk, das auf Mendelssohn und Beethoven rekurriert, gleichwohl auch typisch gallische Züge aufweist (ein wenig war ich an Gounod, im Finale auch an Berlioz erinnert). Ich fragte mich, welche Sinfonien aus dieser Zeit ich kenne, und fand die Namen Gade, Spohr und Rubinstein. Und in diese Gesellschaft passt Gouvy bestens. Er erweist sich als inspirierter Melodiker, begabter Instrumentator, und wenn es ihm an etwas mangelt, so an Wagemut, an Willen zu Unerwartetem. Am gewagtesten mag er sich im Scherzo gerieren, wo insbesondere die Orchestrierung der Eröffnung ungewohnten Erfindungsreichtum offenbart; das kurze Trio gemahnt von Ferne an Beethoven und Tschaikowsky gleichermaßen. Doch immer wieder zieht sich Gouvy wieder auf sicheres Terrain zurück, verliert sein Schreibstil an echter Eigenart. Im Finale vermittelt Gouvy den deutlichen Eindruck, dass er Schuberts große C-Dur-Sinfonie und Mendelssohns Italienische Sinfonie nicht nur einmal gehört, sondern vermutlich auch die Partitur genau studiert hat (Schuberts Sinfonie erschien 1849 im Druck).
Die 'Paraphrases symphoniques‘ op. 89 entstanden 1886, wurden aber erst posthum veröffentlicht. Faktisch handelt es sich um eine Komposition, die im Deutschen den typischen Titel ‚Variationen und Fuge über ein eigenes Thema G-Dur‘ erhalten hätte. Abermals kommen mir gleichzeitig Gounod und Mendelssohn Bartholdy in den Sinn. Doch wo beide diese Komponisten sich durch Stilsicherheit und Raffinesse auszeichnen, setzt Gouvy grob scharf kontrastierende Variationen nebeneinander. Ein gerundetes Ganzes ergibt sich nicht. Das ist schade, denn gerade die ätherisch-melancholische Adagio-Variation gehört zum Schönsten auf der ganzen CD. Eine tänzerische Schlussvariation bereitet eine übermütige Schlussfuge vor.
Bei der 'Fantaisie symphonique‘ handelt es sich um eine (im Booklet leider nicht datierte) Orchesterfassung der 1879 entstandenen Fantasie g-Moll op. 69 für zwei Klaviere. Ein bedeutsames 'Largo‘ eröffnet das umfangreiche Werk und zeigt Gouvys kompositorische Qualitäten am besten. Leider ist es nicht Gouvys Interesse, eine solche Stimmung zu vertiefen – er hellt die Stimmung auf, macht sie dem Publikum ‚mundgerechter‘. Damals mag gerade dies seinen Erfolg mit begründet haben, heute scheint es uns bedauerlich, dass er da nicht – ich muss es wiederholen – mehr gewagt hat. Auch instrumentationstechnisch ist seine Leistung variabel – von solide gesetzten Tuttiabschnitten, die offenbar machen, dass es sich hier um eine Orchestrierung handelt, bis hin zu höchst inspirierten Klangkombinationen, die auch in der musikalischen Substanz ihren Niederschlag finden. Abermals stellt sich kein in sich gerundetes Ganzes ein. Schade.
Die Württembergische Philharmonie Reutlingen unter Thomas Kalb bieten eine inspirierte, teilweise fast ‚historisch informiert‘ klingende Interpretation (insbesondere in der Sinfonie mit reduziertem Streichervibrato), die den Werken, eine jugendlich-lebensvolle Lichte verleiht; einzig die Trompeten haben nicht ganz die Klasse, die man von einem echten A-Orchester erwarten könnte. Man würde sich freuen, wenn Kalb, 1996 Gründer des Heidelberger Frühlings, mehr CDs vorlegen würde – er gehört zu jenen Dirigenten, die weit mehr können als mancher ‚Pultstar‘. Ausgezeichneter SWR-Klang und ein informatives Booklet (das einzig bei der Tempoangabe des ersten Satzes der 'Fantaisie‘ den Hörer in die Irre führt) vervollständigen das Vergnügen.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Gouvy, Théodore: Sinfonie Nr. 2 F-Dur op. 12 |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Sterling 1 06.02.2010 |
Medium:
EAN: |
CD
7393338108726 |
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Sterling Sterling is a record label specialising in orchestral music from the Romantic era, founded by Bo Hyttner. Most of the CDs released by Sterling contain previously unrecorded works. After setting out with Swedish romantics, Sterling is now spreading out towards the musical heritage of other European countries. In Sweden, the label is represented through CDA.
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