> > > L´Universe de Marin Marais: Werke für Viola da gamba von Marais, Demachy, Visée u.a
Sonntag, 4. Juni 2023

L´Universe de Marin Marais - Werke für Viola da gamba von Marais, Demachy, Visée u.a

Gambenuniversum


Label/Verlag: Spektral
Detailinformationen zum besprochenen Titel


Eine Blütenlese überwiegend seltener Gambenliteratur des französischen Barock legt der österreichische Gambist Jakob Davis Rattinger gemeinsam mit Rosario Conte und Ralf Waldner vor. Hörenswert – und hervorragend musiziert.

‚Verteidigung der Baßgambe gegen die Angriffe der Geige und die Anmaßungen des Violoncellos‘ – diesen etwas skurril anmutenden Titel trägt ein Pamphlet des französischen Abbé Hubert Le Blanc, das im Jahr 1740 erschien. Im Rückblick wirkt Le Blancs Schrift angesichts den umfangreichen und wirkmächtigen Geigenœvres eines Corelli oder Vivaldi, die zu dieser Zeit ganz Europa erobert hatten, wie ein Rückzugsgefecht für ein Instrument, das dabei war, in der musikgeschichtlichen Versenkung zu verschwinden. Tatsächlich jedoch trieb die lange und reiche Tradition französischer Gambenmusik, für die Namen wie Marin Marais, Antoine Forqueray oder der des M. de Sainte-Colombe stehen, zu dieser Zeit durchaus noch späte Blüten.

Eine Reise durch dieses veritable Paralleluniversum neben der weithin dominanten italienischen Musikkultur jener Tage unternimmt der österreichische Gambist Jakob David Rattinger auf einer 2008 beim österreichischen Label Spektral erschienenen CD. Erfreulicherweise beschränkt er sich dabei nicht auf jenes oft gehörte Best-of aus den Werken Marais’ und Forquerays, das den Inhalt vieler CDs mit französischer Gambenmusik oft vorhersehbar macht. Zwar erweist Rattinger auch diesen ‚kanonisierten‘ Stücke seine Reverenz, in dem er etwa die Maraisschen 'Couplets de Folies' (also Folia-Variatonen) oder die 'Voix humaines' in seine Auswahl aufnimmt. Gerade an diesen Stücken aber zeigt sich auch der frische und originelle Zugang Rattingers und seiner Mitstreiter Rosario Conte (Theorbe) und Ralf Waldner (Cembalo).

Das dokumentiert sich schon äußerlich, wenn das Trio nicht alle 32 (!) Variationen des Folia-Themas einspielt, sondern eine dramatisch folgerichtige Auswahl (die Kennern des Films ‚Die siebte Saite‘ bekannt vorkommen wird). Vor allem aber erweist sich die Eigenständigkeit der Interpretation im geistreich, mitunter eigenwillig aufgefassten Detail: So bekommt das Folia-Thema hier tänzerischen, fast burlesken Schwung. Das Thema des Rondeau 'Le Troilleur' (eines der weniger bekannten Stücke der CD) nehmen Rattinger und Mitstreiter derart spielfreudig, daß man sich an der typisch Marais’scher Mischung aus schmissiger Rhythmik und eingängiger Melodik gar nicht satthören mag.

Gamben-Gedröhn

Das nach alten Plänen gebaute Instrument Rattingers hat dabei einen sehr präsenten, fast harten Ton. Vielleicht kein Wohlfühlgambenklang (wie er sonst oft zu hören ist), doch eben darum einer, der den musikalischen Absichten der Ausführenden entgegenkommt: Lebendigkeit und Aussagekraft geht vor Schönklang. In den 'Voix humaines' verzichtet Rattinger darauf, sich vom Tiefsinn des Stücks zu allzu breitem Ausspielen der kleinen Gesten hinreißen zu lassen. Abgeklärt, fast flüchtig wirkt manches Detail dadurch. Dafür unterschlägt er nicht, was man die Materialität des Gambenklanges nennen könnte: Passagenweise hört man das Instrument zu den sperrigen Akkorden mitdröhnen und -rauschen. In der eingespielten Solo-Suite des M. Demachy läßt Rattinger die tiefen Saiten des Instrumentes schnarren und knarren, ein sehr weitschwingendes Vibrato sorgt für geradezu geisterhafte Wirkungen.

Überhaupt ist dieses Stück eine der Raritäten, die die Einspielung aufzuweisen hat, ähnlich den beiden Stücken des M. de Sainte Colombe. In dessen eigenartig ziellos mäandernder 'Chaconne' darf das Instrument kratzen, sein Ton flackert und raucht – passend zum geradezu archaischen Eindruck, den diese Musik erweckt, wenn man sie den galanten Gesten eines Roland Marais oder Louis de Caix d’Hervelois geradezu archaisch wirkt. Beide Letztgenannte übrigens gleichfalls aus der Riege der selten zu Hörenden, und beide hier durch eine Suite vertreten – mit allem verspielten Charme und warmem Timbre der Zeit eines Ludwigs XV. lässt Rattinger diese Stücke lebendig werden. Hier wie sonst souverän und stilecht begleitet von Conte und Waldner, die sich übrigens ebenfalls als Solisten auf ihrem jeweiligen Instrument hören lassen. Auch sie bringen dabei manch seltene Miniatur zutage – hörenswerte Musik, tadellos interpretiert.

Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert: 
Booklet:






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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:



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    L´Universe de Marin Marais: Werke für Viola da gamba von Marais, Demachy, Visée u.a

Label:
Anzahl Medien:
Veröffentlichung:
Spektral
1
01.06.2009
Medium:
EAN:

CD
4260130380267


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Spektral

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