
Elgar, Edward - The Crown of India op. 66
Ein Kind seiner Zeit
Label/Verlag: Chandos
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Elgars 'The Crown of India' in der Komplettierung durch Anthony Payne hat trotz seiner Zeitgebundenheit auch heute seinen besonderen Reiz.
Zwei Herzen schlugen in der Brust Edward Elgars: dasjenige des Mittelstandsangehörigen aus der Provinz, der mit seiner ‚offiziellen‘ Musik – den Märschen, Krönungsmusiken und anderem – zu Ruhm, Adelsehren und Geld kam und gleichsam zum musikalischen Chronisten der Epoche des britischen Imperialismus wurde, und jenes, das das eigentliche Ich Elgars zum Ausdruck brachte, wenn er solche Werke komponierte wie 'The Dream of Gerontius‘, die beiden Symphonien, die 'Elegy‘ oder das Violin- und Cellokonzert. Die offiziellen Repräsentationsmusiken brachten indes schlichtweg den schnöden, aber wichtigen Mammon, und Elgar war keineswegs zimperlich bei der Annahme einer Auftragskomposition.
So winkte ebenfalls gutes Geld, als im Januar 1912 der Besitzer des Londoner Coliseum Theatre, Oswald Stoll, mit der Bitte an Elgar herantrat, eine sogenannte Masque zu komponieren, die von der Ernennung des Königspaars George V. und Mary zum Kaiser und zur Kaiserin von Indien im Dezember des Vorjahrs angeregt sein sollte. Diese Durbar-Zeremonie (ein Durbar ist ein offizieller Empfang, bei dem die indischen Fürsten dem britischen Herrscher ihre Ehrerbietung entgegen zu bringen hatten) war übrigens die letzte von drei Durbars: 1877 feierte man damit Königin Victorias Ernennung zur Kaiserin von Indien, 1903 galt die Zeremonie Edward VII. Unter großem Zeitdruck machte sich Elgar ans Werk seiner ‚Imperial Masque in Two Tableaux‘ mit dem Titel 'The Crown of India‘.
Die dramatisch-allegorische Idee eines Streits zwischen den Städten Kalkutta und Delhi, die vor Indien ihren jeweiligen Anspruch als Hauptstadt des Landes verteidigen, stammte von Henry Hamilton, einem ehemaligen Schauspieler, dessen schwülstiger Text dem Komponisten einige Mühe bereitete. Passagen wurden gestrichen und gekürzt, überdies musste Elgar seine Skizzenbücher nach passenden Themen und Motiven durchsuchen, weil die Zeit drängte: im März 1912 sollte die Uraufführung der Masque im Rahmen einer Music Hall-Revue stattfinden. Hugh Blair, ein Mitarbeiter Elgars, bereitete ein Klavier-Arrangement der Musik vor, die bei Enoch and Sons herausgegeben wurde. Elgar selbst arrangierte eine Suite aus seiner 'Crown of India‘-Masque. Klavierauszug und Suite waren schließlich alles, was von 'The Crown of India‘ übrig blieb, als in den 1970er Jahren die Archive abgerissen wurden, in denen das Notenmaterial zur vollständigen Masque lagerten. Als 2007 Elgars 150. Geburtstag gefeiert wurde, beauftragte Die Elgar Society Anthony Payne, der ja schon Elgars Dritte Symphonie vervollständigt hatte, mit der Orchestrierung von 'The Crown of India‘. Das Ergebnis feiert prominente Plattenpremiere: Sir Andrew Davis, der sich nicht zuletzt als Herausgeber dieser Masque betätigte, dirigiert das BBC Philharmonic und den Sheffield Philharmonic Chorus. Clare Shearer und Gerald Finley sind die Solisten.
Zeitgebundene Thematik
Die schwülstige Allegorie von 'The Crown of India‘ ist heute kaum zu ver- oder beurteilen. Sie ist ein Kind ihrer Zeit. Sehr treffend hat Nalini Ghuman formuliert, 'The Crown of India‘ sei eine faszinierende Komposition des Imperialismus: ‚Historisch erhellend und musikalisch vielfach bereichernd, ist es letztlich doch ein zutiefst befremdliches Stück – ein bedeutsamer Beitrag zum orientalisierenden Indien-Bild der englischen Einbildungskraft‘. Mehr bedarf es dazu nicht zu sagen. Was Payne, respektive die Elgar Society und Andrew Davis dazu veranlasst hat, sich dem Stück mit solch editorischer Akribie zu widmen, mag seinen Grund in der möglichst lückenlosen Dokumentation des Gesamtschaffens Elgars haben. Und nur dieser Aspekt erlaubt eine objektive Betrachtung dieser Masque. Chandos bietet mit dieser Veröffentlichung gleich zwei Premieren: 'The Crown of India‘ mit den gesprochenen Texten (von Barbara Marten, Deborah McAndrew und Joanne Mitchell würdevoll-zelebrierend deklamiert und dummerweise mit einem geschmäcklerischen Pathos versehen) und ohne diese Texte. Wer sich in die editorischen Feinheiten dieses kompletten Schinkens verbeißen möchte, dem sei diese Version anempfohlen. Abzüglich der schwülstigen Dichtung Henry Hamiltons bleibt für die Version der reinen Musik immer noch ausreichend ideologisch Fragwürdiges in den Gesangstexten, denen Elgar den Duktus seiner ‚Land of Hope and Glory‘-Schreibe verleiht. Geschenkt! Betrachten wir lieber das musikalisch Interessantere. Die erhaltenen, von Elgar orchestrierten Teile offenbaren eine detailfreudig ausgearbeitete, instrumentatorisch herrlich filigrane Arbeit, die zwar Elgars Zuckerbäcker-Vorstellung von Indien nicht leugnen kann, dafür aber Klangfarben offeriert, die man in anderen Werken des Komponisten so nicht gehört hat. Anthony Payne ist mit Elgars Musik natürlich vertraut genug, um all jenes, was wegen Vernichtung des Orchestermaterials lediglich anhand des Klavierauszugs rekonstruiert und orchestriert werden musste, ‚elgarisch‘ erklingen zu lassen. Payne beherrscht die elgar-typischen Holzbläser-Orchestrierung mit der prominenten Klarinette oder die intrikaten Blechbläser-Arrangements aufs Beste.
Sir Andrew Davis geht in seinem Dirigat den richtigen Weg: Er arbeitet eben nicht die betont martialischen Passagen der Partitur heraus, sondern explizit die dynamisch fein abgestuften Epsioden orchesterfarbiger Delikatessen, etwa im sich filigran absetzenden Cello-Solo oder in den subtil abgezirkelten Holzbläser-Einsätzen. Das BBC Philharmonic spielt mit exzellenter Leuchtkraft und binnengespannter Transparenz, die sich auch auf den Sheffield Philharmonic Chorus überträgt, dessen homogene Tongebung und kultivierte Dynamik den mitunter arg patriotischen Passagen die grelle Plakativität nehmen. Clare Shearers abgerundeter Mezzo-Sopran korrespondiert ideal mit Gerald Finleys markant profiliertem Bariton, die bestmögliche Besetzung für dieses Stück. Da sei es auch verziehen, dass als ‚Füllmaterial‘, neben dem erstaunlich moll-lastigen 'Coronation March‘, noch die sattsam bekannten Empire-Lobpreisungen Elgars, also der ‚Imperial March‘ und der ‚Empire March‘ eingespielt wurden. Andrew Davis aber ist ein allzu guter Kenner Elgars, als dass er diese Märsche mit plumpem Pomp interpretieren ließe. Im Gegenteil: subtiler, detailverliebter und dynamisch besser ausformuliert hat man sie selten gehört.
Selbst wenn man nach dem Abschneiden der fetten Text-Schwarte bemerkt, dass Elgars imperialer Schinken auch nicht unbedingt ein Meisterwerk ist, so kann man an dem Reichtum der Melodien, der Farbigkeit der Payneschen Orchestrierung und der idealen Umsetzung durch Andrew Davis dennoch seine Freude haben. Dies und die editorisch wichtige Tat steigern den Repertoirewert enorm. Das ausgewogene Klangbild trägt ebenso dazu bei wie das hervorragend ausgestattete Booklet mit luxuriösen Synopsen und Gesangstexten. Dass Letztere lediglich in der englischen Originalsprache wiedergegeben sind, muss kein Nachteil sein. Nicht immer muss man in 'The Crown of India‘ wissen, was da genau gesungen und gesprochen wird – besser nicht.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Elgar, Edward: The Crown of India op. 66 |
|||
Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Chandos 2 20.11.2009 |
Medium:
EAN: |
CD
095115157022 |
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Chandos Chandos Records was founded in 1979 by Brian Couzens and quickly established itself as one of the world's leading classical labels. Prior to forming the label, Brian Couzens, along with his son Ralph, worked for 8 years running a mobile recording unit recording for major labels (including RCA, Polydor, CFP, etc.) with many of the world's leading artists.
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