
Mendelssohn Bartholdy, Felix - Sämtliche Streichersinfonien
Mendelssohn auf dem Weg der Reife
Label/Verlag: ORFEO
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Die Gesamtaufnahme von Felix Mendelssohn Bartholdys jugendlichen Streichersinfonien mit dem Stuttgarter Kammerorchester hat durchaus sehr positive Eigenschaften, kann im großen Ganzen aber nicht restlos überzeugen.
Die Zusammenstellung der Streichersinfonien Felix Mendelssohn Bartholdys, die jüngst bei dem Label Orfeo erschienen ist, lässt sich beschreiben als Mendelssohn auf dem Weg der Reife. Das betrifft zum einen den Komponisten, der im jugendlichen Alter mit seinen zwölf Streichersinfonien un dem c-Moll-Satz (gezählt als 'Sinfonia XIII’) kompositorische Modelle erprobte und langsam seine eigene musikalische Handschrift entwickelte. Zum anderen mag mit diesem Motto der Zugang des auf vorliegender Aufnahme agierenden Ensembles bezeichnet sein, des Stuttgarter Kammerorchesters, das Mendelssohn Bartholdys frühreife und über weite Strecken zündende Musik mit viel Engagement und durchaus einigem Feinsinn interpretiert; aber ins Letzte ausgereift wirken die Einspielungen nicht, daher mag auch dem Stuttgarter Kammerorchester attestiert sein, es befinde sich mit seiner Gesamtaufnahme der Streichersinfonien auf dem Weg der Reife.
Dabei kann das Stuttgarter Kammerorchester über weite Strecken durchaus überzeugen. Anders als die südwestdeutschen Kollegen aus Heidelberg (Heidelberger Sinfoniker), die sich im Zuge der Gesamteinspielung der Mendelssohnschen Sinfonien auch den jugendlichen Streichersinfonien widmeten, reitet das schwäbische Ensemble nicht in jedem schnellen Satz eine wilde Attacke. Michael Hofstetter, der Chef des Stuttgarter Ensembles, lässt seine Musiker in einigen der schnellen Ecksätze auch mal größere Bögen ausformen, etwa in der 'Sinfonia VIII’ D-Dur, der 'Sinfonia XI’ F-Dur oder auch der impulsiven B-Dur-Sinfonie ('Sinfonia V’). Mit dosiertem Vibratoeinsatz und typischen Gesten historisch informierten Musizierens – etwa der Betonung von Spannungsklängen und leichten Auflösungen – gelingt dem Musikerkollektiv eine ebenso transparente wie detailreich ausformulierte Lesart der munteren, manchmal aberwitzig stürmischen Sinfonien. Nicht nur das motorische Element wird hier mit kernigem Ton lebhaft akzentuiert, auch die langsamen Sätze kommen mit einem in den tiefen Registern geerdeten Klang und spannungsvollen Kantilenen voll zu ihrem Recht.
Gerade die Übernahme manch nachteiliger Usancen der zeitgenössischen Ausformung Historischer Aufführungspraxis aber wirkt sich manchmal etwas negativ aus. So werden in einigen der langsamen Sätze zwar melodische Gesten als Spannungsmomente greifbar, der übergeordnete Bogen aber geht in einer Vielzahl kleinteiliger musikalischer Formulierungen verloren. Das ist der Nachteil dieses Detailreichtums, der auch der rhythmischen Präzision geschuldet ist und der Durchsichtigkeit des Streichersatzes: dass durch die Fülle an kleinen, sorgsam modellierten Feinheiten die große Linie verloren geht. Nun sind gerade in den frühen der Streichersinfonien mit Satzlängen von knapp über zwei Minuten ohnehin keine langatmigen Kantilenen, das ist klar. Aber es wird doch ein Moment des Melodischen greifbar, der etwas unterbelichtet bleibt, wenn sich jede Stimme einzeln zu steigern scheint, die große Spannungswelle des Gesamtensembles dabei aber zerstäubt, etwa im 'Adagio’ der 'Sinfonia XI’ kurz vor Wiedereintritt der Eingangsthematik. An solchen Stellen hätte man sich einen etwas opulenteren, die Kräfte bündelnden Zugriff gewünscht.
Derlei kleine Schwachstellen sind allerdings nur marginale Wermutstropfen einer insgesamt ansprechenden Einspielung, die vor allem von der orchestralen Klangdifferenzierung des Stuttgarter Kammerorchesters bestimmt ist. Nicht nur die kontrapunktischen Sätze erklingen in unprätentiöser Klarheit, die selten erreicht wird; ohne wie mit dem Finger auf jeden neuen Themeneinsatz hinzudeuten, wird der dichte instrumentale Streichersatz aufgefächert und mit dynamischer Nuancierung versehen. Vielleicht könnte der Ensembleklang im Gesamten noch runder und möglicherweise auch subtiler erscheinen, wenn man nicht in einem relativ halligen, akustisch recht trockenen Saal aufgenommen hätte. Für den etwas luftigen Klang entschädigt ein ausführlicher Booklettext, der nicht nur über jedes einzelne Stück Auskunft gibt, sondern ein breites Panorama des frühen Schaffens Felix Mendelssohn Bartholdys entwirft.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Mendelssohn Bartholdy, Felix: Sämtliche Streichersinfonien |
|||
Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
ORFEO 3 13.10.2009 |
Medium:
EAN: |
CD
4011790763323 |
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ORFEO Erschienen die ersten Aufnahmen des 1979 in München gegründeten Labels noch in Lizenz bei RCA und EMI, produziert und vertreibt ORFEO seit 1982 unter eigenem Namen. Durch konsequente Repertoire- und Künstlerpolitik konnte sich das Label seit seinem aufsehenerregenden Auftritt am Anfang der Digital-Ära dauerhafte Präsenz auf dem Markt verschaffen. Nicht nur bekannte Werke, sondern auch weniger gängige Musikliteratur und interessante Raritäten - davon viele in Ersteinspielungen - wurden dem Publikum in herausragenden Interpretationen zugänglich gemacht. Dabei ist es unser Bestreben, auch mit Überraschungen Treue zu klassischer Qualität zu beweisen.
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