
Bach, Johann Sebastian - Motets
Interessante farbliche Kontraste
Label/Verlag: Arts music
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Die umsichtig singenden Chorsolisten tragen den kunstvollen harmonischen Schichtungen viel besser Rechnung als der Tuttiklang.
Dem Bachliebhaber gefällt der Gedanke, der vergötterte Meisterkomponist habe stets Herzblut und Stirnschweiß in seine Werke fließen lassen. Aus Bachs geistlichen Kompositionen spricht dann, so könnte man meinen, der tiefgläubige Protestant zu uns, der Glauben und Zweifel in seinem Schaffen sublimierte. Wenn dies so war, so ging es jedoch im grauen kirchenmusikalischen Alltag des J.S. Bach verloren.
Wir wissen, dass Bach sich zeitlebens nach der höfischen Musik sehnte, wo Musizieren Ruhm versprach und man ihm die Arbeit dankte. Anders als bei der ungeliebten Kantoratsstelle in St. Thomas zu Leipzig, wo unfähige Sänger, karge Entlohnung und sauertöpfische Vorgesetzte im städtischen Rat das Musizieren zäh und das Komponieren verdrießlich machten. Vielleicht war Bach auch selbst schuld. Er hätte ja mediokren Musikanten und unverständigen Bürokraten nicht stets so diffizile Sätze zumuten müssen. Man muß annehmen, daß sich der Komponist die Finger geleckt hätte nach den zahlreichen ausgezeichneten Ensembles, die sich heutzutage seines riesigen geistlichen Vokalrepertoires annehmen. Die sechs Motetten, die von Bach überliefert sind, sind dabei immer noch das vokalistische Hochreck für jedes Barockensemble, bieten sie doch alles, das sich zum Scheitern und Brillieren gleichermaßen eignet.
Auf ihre Weise beschreiten Diego Fasolis und sein Schweizer Radio Chor mit ihrer Einspielung der Motetten einen Weg der Mitte: sie vermeiden das Scheitern und scheuen das Brillieren. Zwar setzt sich der 23-köpfige Chor aus hörbar schönen Einzelstimmen zusammen, die in Vokalklang und Stimmfärbung bestens harmonieren. Auch versteckt sich der Chorklang nicht, wie oft zu beklagen ist, hinter einem übermächtigen Sopran. Dennoch bleibt die Stimmführung bei Tuttibesetzung häufig undurchsichtig. Fasolis nämlich opfert dem gemeinsamen Schönklang die Möglichkeit, die dichte Polyphonie durch markante Zeichensetzung auszulichten. Wo eine Koloratur die nächste jagt (man höre die Schlußfuge von Singet dem Herrn), dort wählt Fasolis keine jagenden Tempi. Die zahlreichen allegorisch-textausdeutenden Figuren - so der Bass, der ‘Tobe, Welt, und springe’ schnaubt in Jesu Meine Freude; so die gesungenen Fermaten, die ‘Ewigkeit’ in Lobet den Herrn, alle Heiden vertonen - sie alle werden zuverlässig gestaltet. Doch subtilere zwischenstimmliche, harmonische Kontraste gehen zu häufig im Gesamtklang unter. Soll das etwa die Errungenschaft der DVD-kompatiblen Aufnahmetechnik sein, die das Booklet stolz ankündigt?
Nun bringt eine Einspielung von Bachs Motetten auch manch aufführungspraktisches Problem mit sich. Eine maßgebliche oder gar 'historisch richtige' Besetzung ist natürlich nicht bekannt, zumal die Besetzungen, die die Motetten in Leipzig uraufführten, wohl eher Kompromisse des Machbaren als Bachs Wunschzusammensetzungen darstellten. Auch ist unklar, ob eine durchgehende instrumentale Verdoppelung der Gesangsstimmen, wie sie für 'Der Geist hilft unser Schwachheit auf' überliefert ist, für alle Motetten intendiert war. Moderne Interpreten wählten daher verschiedene Besetzungsmöglichkeiten; dass eine große Besetzung dabei nicht auf Kosten der Durchsichtigkeit gehen muß, bewies einmal eindrucksvoll John Eliot Gardiners Monteverdi Choir. Fasolis jedoch pokert nicht zu hoch und läßt die feingliedrigen Passagen solistisch singen. Das sorgt für interessante farbliche Kontraste innerhalb der einzelnen Motetten, denn die umsichtig singenden Chorsolisten tragen den kunstvollen harmonischen Schichtungen viel besser Rechnung als der Tuttiklang. Doch mutet das Spiel mit den alternierenden Besetzungen, zumal in Jesu Meine Freude, recht willkürlich an. Was die Instrumentierung angeht, so ist das Ensemble I Barocchisti auch dort, wo es colla parte spielt, so dezent in den Hintergrund gemischt, dass passagenweise nur noch der Continuobass zu hören ist. Ist die Einspielung auch gelungen, so setzt sie keine Maßstäbe; so geben sich die Schweizer Radiochoristen wo zuverlässig solide enttäuschend profillos.
Dass Bachs Musik allein jedoch über die Interpreten hinaus weit trägt, bewiesen die von ihrem Kantor vielgeschmähten Thomaner Jahre nach seinem Tod. Mozart, 1789 zu Besuch in Leipzigs Thomaskirche, wurde Zeuge einer Aufführung der Motette Singet dem Herrn. Das aufmüpfige Genie, so will es die Anekdote, rief nach dem Schlussakkord aus: 'Endlich etwas, woraus sich noch was lernen läßt!' Ob Bach sich aus der Seele schrieb oder schnöde Auftragsarbeit leistete, interessierte Mozart nicht. Den Bachliebhaber mag das versöhnen.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: |
![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() |
Dieser Beitrag hat Ihnen gefallen? Empfehlen Sie ihn weiter!
Ihre Meinung? Kommentieren Sie diesen Artikel
Jetzt einloggen, um zu kommentieren.
Sind Sie bei klassik.com noch nicht als Nutzer angemeldet, können Sie sich hier registrieren.
Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
![]() Cover vergrößern |
Bach, Johann Sebastian: Motets |
|||
Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: Spielzeit: Veröffentlichung: |
Arts music 1 26.01.2005 64:46 2001 |
Medium:
EAN: BestellNr.: |
CD
0600554757322 47573-2 |
![]() Cover vergössern |
Arts music ARTS wurde 1993 gegründet. Seither haben wir mehr als 6200 Tracks (das sind über 400 Datenträger) mit Klassischer Musik der letzten 5 Jahrhunderte veröffentlicht. Neben Alter Musik und Zeitgenössischem befindet sich in unserem Katalog auch Musik der größten Interpreten der letzten Jahrzehnte sowie Musik sehr erfolgreicher junger Künstler, die Ihren künstlerischen Zenith noch vor sich haben und diesen mit uns verbringen werden. Die Musikrichtungen reichen von Sakral bis Oper, Kammermusik bis Symphonik, Lied bis Operette. Große Werke Mozarts, Beethovens, Schuberts usw. sind ebenso vertreten wie Raritäten von Rossini, Verdi, Händel und vielen mehr.
Mehr Info... |
![]() Cover vergössern |
Jetzt kaufen bei...![]() |
Weitere Besprechungen zum Label/Verlag Arts music:
-
Junge Beethoven-Interpretin: Maria Mazos Einspielung der beiden Beethoven-Sonaten opp. 53 und 57 überzeugt auf handwerklicher Ebene durch pianistische Versiertheit, entbehrt aber zeitweilig noch der künstlerischen Inspiration und Eigenständigkeit. Weiter...
(Elisa Ringendahl, )
-
Seismograph: In unseren Zeiten akustischer Hochglanzpolitur kann der Wagemut des sizilianischen Pianisten Alessandro Mazzamuto kaum hoch genug geschätzt werden - auch wenn er manchmal fast übers Ziel hinausschießt. Weiter...
(Dr. Tobias Pfleger, )
-
Gabrieli-Porträt: Musik zum Rochusfest aus der Feder Giovanni Gabrielis, in farbigem Klang geboten von den Ensembles Melodi Cantores und La Pifarescha, beide von Elena Sartori ebenso kundig wie temperamentvoll geleitet. Weiter...
(Dr. Matthias Lange, )
Weitere CD-Besprechungen von Stefan Johannes Link:
-
Der Soundtrack zum Ehevertrag der Mahlers: Weiter...
(Stefan Johannes Link, )
-
Neues von Mozarts Jugendidolen: Weiter...
(Stefan Johannes Link, )
-
Transparenz und Wohlklang : Weiter...
(Stefan Johannes Link, )
Weitere Kritiken interessanter Labels:
-
Mendelssohns Feuerwerkmusik aus Paris: Lars Vogt verpasst den beiden Mendelssohn-Klavierkonzerten eine dramatische Wucht, die den Werken eine überraschend düstere Aura geben. Weiter...
(Dr. Kevin Clarke, )
-
Aufgetürmter Neubau: Telemanns Michaelis-Oratorium 1762 zeigt den Hamburger Komponisten auch in seinem letzten Lebensjahrzehnt auf dem Höhepunkt seiner Schaffenskraft. Weiter...
(Dr. Jürgen Schaarwächter, )
-
Zwei Komponisten des Hochbarocks begegnen einander: Heinrich Ignaz Franz Biber und Georg Muffat lebten etwa zur selben Zeit und könnten sich in Salzburg begegnet sein. Dora Szilágyi und Flóra Fábri spüren Verwandtes und Unterschiede in der Kammermusik beider Komponisten auf. Weiter...
(Diederich Lüken, )
Portrait

Das Klavierduo Silver-Garburg über Leben und Konzertieren im Hier und Heute und eine neue CD mit Werken von Johannes Brahms
Sponsored Links
- klassik.com Radio
- Urlaub im Schwarzwald
- Neue Musikzeitung
- StageKit - Websites für Musiker, Veranstalter und Konzertagenturen
Hinweis:
Mit Namen oder Initialen gekennzeichnete Beiträge geben die Meinung des Verfassers,
nicht aber unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
Die Bewertung der klassik.com-Autoren:
Überragend
Sehr gut
Gut
Durchschnittlich
Unterdurchschnittlich