
Mendelssohn Bartholdy, Felix - Klavierwerke
Musik aus der Schatztruhe
Label/Verlag: Genuin
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Tobias Kochs Einspielung von Klavierwerken Felix Mendelssohn Bartholdys wird zu den bedeutendsten Klavierproduktionen dieses Jahres zählen. Koch spielt den historischen Flügel wunderbar feinfühlig.
Wieder einmal ist dem Pianisten Tobias Koch beim Griff in die historische Schatztruhe eine wunderbare Einspielung gelungen, zu deren Beschreibung bzw. Beurteilung der Rezensent sich auf das Vokabular von Lobeshymnen verwiesen sieht. Nach der schlichtweg grandiosen Einspielung von Klavierwerken Robert Schumanns auf einem historischen Flügel aus dem zeitlichen Umfeld des Komponisten nutzt der Spezialist für historische Tasteninstrumente Tobias Koch auch für diese Aufnahme einer gelungenen Zusammenstellung von Klavierwerken Felix Mendelssohn Bartholdys einen original erhaltenen historischen Flügel. Es handelt sich um ein Instrument aus der Berliner Manufaktur von Christian Heinrich Kisting aus dem Jahr 1835. Mag auch dieser mit Wiener Mechanik ausgestattete Flügel nicht unbedingt den von Mendelssohn damals benutzten Klavieren entsprechen, bei denen der Komponist auf die modernen Fabrikate von Erard und Broadwood setzte, so zeigt sich doch der Kisting-Flügel als exzellentes Klangmittel, um die Klavierwerke Mendelssohns in einem vielfach gebrochenen, reich schattierten Licht erstrahlen zu lassen.
Neben einigen Klavierwerken von Fanny Hensel hat Tobias Koch eine Mischung von Klavierwerken Felix Mendelssohn Bartholdys zusammengestellt, die nicht nur einen kurzweiligen, verschiedene Genres abdeckenden Querschnitt aus dem umfangreichen Klavierschaffen bietet, sondern gleichzeitig die Möglichkeit eröffnet, die Klangmöglichkeiten des Kisting-Flügels effektvoll zu präsentieren. Neben den beiden Sammlungen von ‘Liedern ohne Worte’ opp. 30 und 62 sind hier die ‘Phantasie über ein irländisches Lied’ op. 15 zu hören, die ‘Trois Fantaisies ou Caprices’ op. 16, das ‘Rondo capriccioso’ op. 14 sowie das ‘Albumblatt für Ottilie von Goethe’.
Der interpretatorische Zugang des technisch meisterlich agierenden Pianisten scheint dabei direkt an den Klangmöglichkeiten des historischen Flügels orientiert, ja, aus ihnen geboren. Der knackige Anschlag im tiefen Register, die samtene Klanglichkeit in der Mitte und der silbrige, glasklare, leicht perkussive Ton im hohen Register schaffen unterschiedliche Klangqualitäten, die es neben der klangfarblichen Unterschiede gleichzeitig ermöglichen, den musikalischen Satz dynamisch einheitlich zu strukturieren, und trotzdem die Schichten des Klaviersatzes stets klar hervortreten zu lassen; wo bei einem modernen Flügel eine solche dynamische Integration dazu führte, dass der Bass viel zu dominant würde, hat ein solcher Anschlag hier bloße Klangfülle zur Folge – ohne Schwierigkeiten der Stimmen-Balance. Tobias Koch zieht – das ist hier wörtlich zu verstehen – die verschiedenen Register (‚una corda’, ‚Moderator’, Dämpferaufhebung), um formale Abschnitte klar zu gliedern, den Charakter der unterschiedlichen Stimmungen zu unterstreichen und für eine abwechslungsreiche Klangdramaturgie zu sorgen. Und das gelingt ihm auf hinreißende Weise. Freilich zeigt sich im zweiten Satz von op. 16, dass die rasenden Repetitionen an die Grenzen der technischen Möglichkeiten des Kisting-Flügels reichen, ebenso im schnellen Teil des glutvollen ‘Rondo capriccioso’ op. 14. Doch gerade diese ‚Grenzerfahrungen‘ teilen sich als ästhetische Qualität mit, die als gesteigerte Intensität kurz vorm Bersten wahrgenommen werden kann.
Auf der anderen Seite steht Tobias Koch ein weicher Anschlag zu Gebote, durch den kantable Linien als in sich geschlossene, musikalisch fein strukturierte Phrasen erfahrbar werden. Die ‘Lieder ohne Worte’ sind hier wirklich Lieder, stets orientiert am menschlichen Singen (das zeigt sich etwa darin, dass Tobias Koch die Phrasen nicht unter einem großen Bogen zusammenführt, sondern Zäsuren setzt, wo ein Sängern atmete).
Über viele Einzelheiten ließe sich schwärmen, etwa über die spannungsvolle und dunkel abgetönte Einleitung des ‘Rondo capriccioso’, über die gravitätischen Tragik-Formeln im ‘Lied ohne Worte’ op. 62 Nr. 3, das hier in allen drei Fassungen hörbar ist, über den blitzend hexentanzähnlichen Charakter des ‘Scherzo’ aus den ‘Trois Fantasies ou Caprices’, über die subtile Charakterzeichnung der Variationen von op. 15, über die fast Schumannsche Nervosität bzw. Hastigkeit in op. 30 Nr. 10, über die völlig sentimentalitätsfreie Darstellung der ‘Venetianischen Gondellieder’ (op. 30 Nr. 6, op. 62 Nr. 5), über die Klanggewalt des e-Moll-Préludes von Fanny Hensel oder die schattenhafte Betonung harmonischer Überraschungen im ‘Andante espressivo’ von op. 30. All die musikalisch-klanglichen Differenzierungen im Einzelnen sind getragen von einer technischen Expertise, die sich mit den Klangmöglichkeiten (und -tücken!) des historischen Flügels vertraut zeigt. Die perlende Gleichmäßigkeit des Tempos, die Tobias Koch als Essenz von Mendelssohns Interpretationsästhetik begreift und hier vorführt, scheint jedoch zuweilen über manches etwas zu sorglos hinwegzuhuschen, das mit minutiösen rhythmischen Ungleichheiten auf der Ebene einzelner Taktzeiten hätte etwas stärker expressiv aufgeladen werden können, etwa der dritte Satz aus op. 16, ‚Am Bach’.
Die Aufnahme ist nicht zuletzt deswegen sehr empfehlenswert, weil die Tontechniker des Leipziger Labels Genuin einmal mehr Großartiges geleistet haben, indem sie den vielgestaltigen Klavierklang mustergültig eingefangen haben. Ein letztes zu dem rundum positiven Gesamteindruck trägt der von Tobias Koch verfasste knappe Booklettext bei, der zudem auch hinreichende Informationen über das verwendete Instrument beinhaltet. Damit ist Tobias Koch und Genuin eine Einspielung gelungen, die zweifellos zu den besten Klaviereinspielungen des Jahres gehört. Zumal hier Mendelssohn in einem Licht erstrahlt, das seinem Schaffen angemessen ist.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Mendelssohn Bartholdy, Felix: Klavierwerke |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Genuin 1 28.08.2009 |
Medium:
EAN: |
CD
4260036251562 |
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Genuin Im Jahr 2002 standen die jungen Tonmeister von GENUIN vor einer wichtigen Entscheidung: Sollte man sich weiterhin lediglich auf das Aufnehmen und Produzieren konzentrieren, oder auf die zahlreichen Nachfragen und positiven Rückmeldungen von Musikern und Fachzeitschriften eingehen und ein eigenes Label ins Leben rufen? In einer Zeit, in der praktisch alle großen Klassik-Label ihre Produktion eingestellt oder zumindest stark gedrosselt hatten, fiel die Entscheidung nicht leicht aber sie fiel einstimmig aus: zugunsten einer offiziellen Vertriebsplattform für die GENUIN-Aufnahmen. Und der Erfolg hat nicht lange auf sich warten lassen. Das Label GENUIN hat sich in seinem zwölfjährigen Bestehen zu einem Geheimtipp unter Musikern und Musikliebhabern entwickelt. Schon vor dem Leipzig-Debüt im Oktober 2004, einem Antrittskonzert im Robert-Schumann-Haus mit Paul Badura-Skoda, wurden die CDs in den deutschlandweiten Vertrieb gebracht und von Fachpresse und Musikerwelt hochgelobt. Inzwischen werden GENUIN-CDs in den meisten Ländern Europas sowie in Japan, Süd-Korea, Hongkong und den USA vertrieben. Das Erfolgsrezept von GENUIN: Die gesamte Produktion, also die Beratung der Künstler bei Aufnahmeraum und Repertoire, die Vorbereitung und Durchführung der Aufnahme selbst, der Schnitt mit allen notwendigen Korrekturen, generelle Entscheidungen beim Cover- und Bookletentwurf bis hin zur fertigen Veröffentlichung liegen in der Hand der Tonmeister. Nur so haben die Musiker den größtmöglichen Entfaltungsspielraum bei der Einspielung und Gestaltung ihrer CDs. Und gleichzeitig kann bis zuletzt eine gleichbleibend hohe Qualität garantiert werden. GENUIN bietet auch abseits ausgetretener Pfade etablierten Künstlern genauso wie der Nachwuchsgeneration die Möglichkeit, Musik nach eigenen Vorstellungen zu verwirklichen. Das macht sich positiv bemerkbar für die Hörer der mittlerweile mehr als 300 GENUIN-CDs mit Interpreten wie Paul Badura-Skoda, Nicolas Altstaedt oder der Dresdner Philharmonie. Mehr Info... |
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