
amarcord singen - Lieder von Schumann, Steinacker, Mendelssohn u.a
Heimspiel
Label/Verlag: Raumklang
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Großer Wurf des Vokalensembles amarcord: Mit der Platte ‚Rastlose Liebe‘ streifen die Sänger durch das romantische Leipzig, erschließen neues Repertoire und bringen frischen Wind in Bekanntes.
Das Leipziger Vokalensemble amarcord kehrt mit seiner neuesten Platte von seinen programmatischen Streifzügen zurück nach Hause – in das Leipzig der Romantik. Was auf einen ersten flüchtigen Blick als simpler Lokalpatriotismus derer scheinen könnte, die ihn sich inzwischen auf Grund ihrer unbestrittenen Reputation erlauben könnten, bringt bei näherem Hinsehen doch ein wiederum interessantes Programm hervor. Denn es ist ja offenkundig, dass Leipzig in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts allein schon durch die zeitweilige Präsenz Felix Mendelssohn Bartholdys und Robert Schumanns zu einem musikalisch interessanten Ort avancierte. Dass neben diesen unumstrittenen Großmeistern auch andere Komponisten produktiv waren – etwa im Umfeld des Thomanerchores, aus dem unter anderem die auf der vorliegenden Platte mit einigen Werken vertretenen Carl Friedrich Zöllner (1800-1860) und Heinrich Leberecht August Mühling (1786-1847) hervorgegangen waren. Ebenfalls im Programm präsent sind Carl Steinacker (1785-1815), der als Opernkomponist einst gerühmte und heute kaum mehr gespielte Heinrich August Marschner (1795-1861) und dessen Neffe Adolf Eduard Marschner (1810-1853) – alle zeitweilig in Leipzig heimisch und – wie der ältere Marschner – auch dann noch emotional mit der Stadt verbunden, als sie längst andernorts erfolgreich waren.
Perfekte Platte
Natürlich: Die Männerchorwerke Mendelssohns mit ihrem Understatement in der Wirkung bei gleichzeitig eminenter Satzkunst, vor allem aber die in Sachen Ausdrucksintensität hervorragenden Sätze Robert Schumanns bilden wesentliche Kerne des Programms. Aber es ist bei weitem nicht so, dass die oft erstmals eingespielten Sätze der ‚kleineren‘ Meister nur in dieser Einbettung funktionieren können. Sie bringen durchaus eigene Qualitäten ein, überzeugen, wie die schlichteren Sätze Steinackers, mit einem sicheren Gespür für Stimmungen oder zeigen einen hintergründigen und auch handfesten Humor – Marschner und Zöllner stehen hierfür. Also: Ein originelles Programm, das mehr als das Bekannte bietet – die Ersteinspielung von Mendelssohns 'Weihgesang‘ rundet diesen Befund.
Und eine Spielwiese für das Ensemble amarcord: Hier kann das breite Klangrepertoire voll ausgespielt werden, jedoch nie auf Kosten der oft feinsinnigen Sätze. Die werden in schönster dynamischer Kontrolle gesungen, mit etlichen Nuancen, durchaus mit Klangentfaltung und frischem Schwung. Dabei bleiben die wichtigen Charakteristika des Ensembles immer erkennbar – Noblesse, Homogenität und Stimmen mit solidem Kern. Ein entscheidender Schlüssel zum Erfolg der Produktion ist zugleich die aktive Deklamation – die Vokalisten ‚sprechen‘ die Texte deren Charakter folgend, damit die rein musikalische Ebene verstärkend.
Das scheinbar harmlose Programm könnte leicht dazu verleiten, einen bloßen Wohlklang zu kultivieren. Der ist bei amarcord – das ist im Vergleich zu anderen Ensembles ja schon bemerkenswert genug – Standard. Doch das Ensemble geht entscheidende Schritte weiter. Es belebt die Stücke, haucht ihnen frischen Atem ein, deutet entschieden, setzt Akzente, und ist damit weit davon entfernt, sein schon häufig dokumentiertes vokales Niveau einfach nur zu verwalten. Und das macht auch das gelegentlich als verstaubt geltende Repertoire lebendig, lässt einzelne Stücke wie 'Die Rose stand im Tau‘ von Schumann oder das beschließende 'Ständchen‘ aus der Feder des jüngeren Marschner zu Höhepunkten intensiver emotionaler Deutung werden. Dieser Befund über kongeniale Deutungen ließe sich quer durch das Programm fortsetzen.
Auch in jeder anderen Hinsicht ist die Platte schlicht vorbildlich: Das Klangbild ist direkt und räumlich zugleich, zeigt die Einzelstimmen plastisch, fördert jedoch gleichzeitig einen warmen Zusammenklang – so muss ein Vokalensemble lebendig klingend abgebildet werden. Und dann das Booklet: Schon die bisherigen Produktionen von amarcord hatten hier Stärken, in der geschmackvollen Gestaltung des Labels Raumklang und in den Texten von Holger Schneider. Die waren immer kundig, solide basiert und mit Esprit geschrieben. Hier ‚kulminiert‘ dieser über das übliche Niveau vergleichbarer Einführungen hinausgehende Ansatz darin, dass der Text gewissermaßen eine eigene Qualitätsebene etabliert, den Leser auch auf die Charaktere der Komponisten einstimmt und die Dringlichkeit der Programmgestaltung wirklich nachvollziehbar macht. Doch genug des Lobes: Allen Freunden niveauvoller Vokalmusik ist diese Platte dringend empfohlen. Obwohl die meisten Hörer ohnehin wissen: Ein Geheimtipp sind die Herren von amarcord längst nicht mehr.
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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amarcord singen: Lieder von Schumann, Steinacker, Mendelssohn u.a |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: Spielzeit: Aufnahmejahr: |
Raumklang 1 14.08.2009 074:13 2009 |
Medium:
EAN: BestellNr.: |
CD
4039731101089 RK AP 10108 |
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Raumklang Das Label RAUMKLANG wurde 1993 von Sebastian Pank in Leipzig gegründet. Nach wie vor steht der Name Raumklang für ein authentisches Klangerlebnis. Die Aufnahmen entstehen überwiegend mit nur einem Stereo-Kugelflächen-Mikrophon (One-Point-Recording).
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