
Gunning, Christopher - Sinfonien Nr. 3 & 4
Genuiner Nachfolger Malcolm Arnolds
Label/Verlag: Chandos
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Schon wieder so ein Komponist von Unterhaltungsmusik, der unbedingt Sinfonien schreiben muss, mag jetzt mancher denken. Aber die Sinfonien Christopher Gunnings sind großartige Werke.
Christopher Gunning (* 1944) mag manch einem Deutschen durch seine Film- und Fernsehmusiken bekannt sein (‚Porterhouse Blue’, ‚Middlemarch’ und ‚Agatha Christie’s Poirot’). Schon wieder so ein Komponist von Unterhaltungsmusik, der unbedingt Sinfonien schreiben muss, mag jetzt mancher denken, und ähnlich ging es mir. Erst recht nachdem ich den Booklettext gelesen hatte, der zwar kompetent (vom Komponisten) in die Werke einführt (in bewährter Chandos-Manier dreisprachig und damit vorbildlich für den deutschen Markt): Das ist ganz offensichtlich eine CD zum 65. Geburtstag des Komponisten, und Gunnings Tochter Verity spielt dann auch noch das Solo im Oboenkonzert. Und in der Tat haben wir es hier auf den ersten Blick (in der Dritten Sinfonie von 2005) mit einem ausgesprochen eklektischen Komponisten zu tun, der zwar ganz ohne Frage die sinfonische Form verstanden hat und sie auszufüllen weiß, und in ihrer Weise sind die Sinfonien gar keine schlechten Werke – wären sie nicht so hoffnungslos abgekupfert. Von Malcolm Arnold über Benjamin Britten bis hin zu Richard Rodney Bennett, entfernt gar Ralph Vaughan Williams, ja selbst Edmund Rubbra, Bernard Herrmann und Paul Hindemith (Bennett und Rubbra waren seine Lehrer) ist verschiedenstes zu finden, und „Reminiszenzenjäger“, wie Max Reger einmal schrieb, mögen ihre Freude an den Werken haben, doch dem Intellektuellen mögen sie zu „niedere Kunst“ sein.
Ich gestehe, ich empfinde mich nicht als Intellektueller und da wir es hier mit lebensvollen, überzeugenden Kompositionen zu tun haben, anerkenne ich den Wert dieser Werke voll und ganz. Auch gibt es in beiden Sinfonien (die übrigens jeweils einsätzig sind) wirklich äußerst individuelle Momente, die vielleicht aus Filmmusik hervorgegangen sind (etwa der Schlussabschnitt der ersten Sinfonie) – aber Christopher Gunning ist nun einmal ein wirklich guter Filmkomponist, so dass sich etwas Mittelmäßiges auch hier nicht einstellen wird. Er weiß um Form, Melodik, Harmonik und Klangfarben, und dass bei ihm nie etwas zum äußeren Effekt verkommt, weiß man auch aus seiner Filmmusik längst.
Die Vierte Sinfonie von 2007 erweist sich als durchaus selbstständiger als sein Vorgängerwerk, die Einflüsse (oder gar Zitate) anderer Komponisten sind hier zurückgenommen und der sinfonische Fluss ist weitaus eigener. Theoretisch könnte man ihr unterstellen, dass sie weniger zielgerichtet konzipiert wäre als das Vorgängerwerk, doch hat nach Meinung des Rezensenten der Sinfoniker Christopher Gunning hier mehr wirklich seine eigene Sprache gefunden. Die Sinfonie ist komplexer, auch in ihrer Formensprache, und ihr „momentum“ (Robert Simpson), der ihr eigene Puls ist von ganz besonderer Art, der man sich öffnen muss, um durchaus Neues zu erleben, das in weiter, weiter Ferne auf Sibelius und Vaughan Williams aufbaut, hier aber ganz eigenständig wird. Der vierte Abschnitt der Sinfonie hat noch einmal einen kurzen Moment der Filmmusik, der aber schnell verfliegt. Das Finale zeigt mehr denn je, dass Gunning auf seine Weise ein direkter Nachfolger von Malcolm Arnold zu bezeichnen ist (und das ist voll und ganz als Kompliment gemeint), von dem wir hoffentlich noch viel zu erwarten haben.
Gunnings Konzert für Oboe und Streicher steht ganz in der Tradition britischer Oboenkonzerte von Vaughan Williams, Arnold und Gordon Jacob. Der Filmkomponist Christopher Gunning ist hier gar nicht mehr zu hören, hier haben wir den genuinen Orchestermusiker, der für einen besonderen Anlass (für seine Tochter Verity als Weihnachtsgeschenk 2004) ein persönliches Geschenk bereitet. Das Konzert, mit concertante-Elementen für Solostreicher, ist „playful“ im besten Sinne, eine dankbare Komposition für das dünn gesäte Konzertrepertoire für dieses Instrument. Es ist nur natürlich, dass die Widmungsträgerin die Weltersteinspielung des Konzertes spielt, doch gibt es einige wenige Momente (zumal im ersten Satz), wo ein „persönlich unbelasteter“ Interpret vielleicht noch mehr aus dem Solopart herausgeholt hätte.
Ganz offen schreibt Gunning im Booklet über die Inspiration und den inneren Drang zu seinen Kompositionen, der seine ausgesprochene Aufrichtigkeit erweist - und in der Tat lernen wir hier einen „unmaskierten“ Christopher Gunning kennen, im Gegensatz zu dem Filmkomponisten, der sich seinem Sujet und den Erfordernissen unterordnet. Als genuiner Orchestrator versteht es Gunning, das Royal Philharmonic Orchestra zu Höchstleistungen zu inspirieren, so dass Referenzeinspielungen vorgelegt werden konnten, die schwer zu toppen sein dürften.
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Gunning, Christopher: Sinfonien Nr. 3 & 4 |
|||
Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Chandos 1 22.05.2009 |
Medium:
EAN: |
CD
095115152522 |
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Chandos Chandos Records was founded in 1979 by Brian Couzens and quickly established itself as one of the world's leading classical labels. Prior to forming the label, Brian Couzens, along with his son Ralph, worked for 8 years running a mobile recording unit recording for major labels (including RCA, Polydor, CFP, etc.) with many of the world's leading artists.
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