
Purcell, Henry - Fantasien für Violen
Vokalpolyphonie ohne Vokale
Label/Verlag: Atma classique
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Ein Ohrenöffner fürs 17. Jahrhundert.
Mag das barocke wie vorbarocke Repertoire zuletzt recht erschöpfend dargestellt worden sein – noch immer sind Entdeckungen zu machen: Wenige werden mit Henry Purcells Fantasien für Gamben vertraut sein. Nun stehen eben diese – in musterhaften Interpretationen (‚Les voix humaines’) – bei Atma, dem frankokanadischen Label mit Sinn fürs randständige Repertoire, als veritable Ohrenöffner zur Verfügung.
Die Viola da Gamba fristet ein trauriges Dasein als Spezialisteninstrument. Zu Purcells Zeiten war es anders: Im 17. Jahrhundert ist die Knie- oder Schoßgeige das bevorzugte (Streich-) Instrument der höfischen wie bürgerlichen Kammermusik. Dann wird sie vom Cello und Kontrabass verdrängt. Der Name ‚Viola’ wird von der Bratsche okkupiert, die gleichwohl der Geige näher steht als der älteren, größeren Schwester.
Les voix humaines helfen, der Gambe einen festen Platz im Konzerrepertoire sichern. Dies allein ist verdienstvoll. Aber das halbe Dutzend kanadischer Musiker hat solcherlei Rechtfertigungen keineswegs nötig, denn diese Künstler machen ihrem Namen alle Ehre: In ihren Händen steht die Viola da gamba der menschlichen Stimme kaum nach. Die Nachahmung vokaler Ausdruckswerte gelingt perfekt: Manche Phrasierung könnte Opernarien entnommen sein. (Auch 'Dido’s Lament’ steht auf dem Programm.) Die natürliche Schwere (und Schwerfälligkeit) der Gambe wird durchweg vergessen gemacht: Selten schwingen sich Riesen zu solcher tänzerischen Leichtigkeit auf. Darüber hinaus gelingt es, trotz mächtiger Klangfülle, Klarheit zu schaffen: Die mindestens vierstimmigen Fantasien werden, ohne hörbares Bemühen, bis in die letzten Winkel ausgeleuchtet. Auch schiefste ‚Dissonanzen’ – bei Purcell nicht selten – kommen kompromisslos deutlich zu Gehör.
Das Zwitterwesen dieser Kompositionen wird demgemäß bestens zur Geltung gebracht: Einerseits ist die Bindung an die Vokalpolyphonie des 16. Jahrhunderts unüberhörbar, mit zu Purcells Zeit bereits archaischen Elementen. Andererseits sind seine Fantasien durchaus ‚modern’, weil sie Einflüsse einer damals jungen Gattung: der Oper aufnehmen. Les voix humaines ist in beiderlei Hinsicht ein überaus passender, vielversprechender Name. Die Musiker lösen besagtes Versprechen souverän ein.
Das Beiheft – französisch und englisch – bietet knappe, aber grundsolide Informationen und geistreich gewähltes Bildmaterial. Die Klangtechnik (Johanne Goyette) gibt keinen Grund zur Klage: Die Hörbarkeit des Kirchenraums (Saint-Augustin de Mirabel, Québec) macht sich vorteilhaft bemerkbar. Zu keinem Zeitpunkt gefährdet der saftige Nachhall die Klarheit des Stimmengewebes. Ob (noch) mehr Obertonreichtum möglich wäre, lässt sich von ferne nicht entscheiden.
Alles in allem: Ein wichtiger wie durchweg gelungener Beitrag zur Diskographie Henry Purcells.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Purcell, Henry: Fantasien für Violen |
|||
Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Atma classique 1 08.04.2009 |
Medium:
EAN: |
CD
722056259125 |
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Atma classique Das Label ATMA - Seele oder Lebensgeist auf Sanskrit - wurde 1995 gegründet und bietet inzwischen mehr als 200 Aufnahmen von mittelalterlicher bis zu zeitgenössischer Musik mit einem besonderen Schwerpunkt im Barock. Für ihre Aufnahmen umgibt sich Johanne Goyette, Direktorin und zugleich Toningenieurin der Firma, gerne mit wagemutigen Künstlern, um in ihrem Studio Unerhörtes (und Ungehörtes) zu schaffen.
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