
Matteis, Nicola - Ayrs for the violin
(Fast) vergessene Musik zum Klingen gebracht
Label/Verlag: Alpha Classics
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Für Freunde der barocken Violinmusik: eine wunderbare Aufnahme von Kammermusik des heute fast vergessenen Geigers Nicola Matteis dem Älteren durch die Geigerin Hélène Schmitt und ihr hochkarätig besetztes Ensemble.
Wer hat heute schon – abgesehen von einigen wirklichen Experten – von der Musikerfamilie Matteis gehört? Dabei haben Nicola Matteis der Ältere (um 1640–1703 oder 1713) und sein Sohn Nicola Matteis der Jüngere (nach 1670–1737 oder 1749) durch ihre Tätigkeit als Violinisten im 17. Jahrhundert einige außerordentliche Beiträge zur noch jungen Kammermusik für ihr Instrument geleistet – ein Umstand, der dem lückenhaften und teils auch widersprüchlichen Wissen um die Lebensläufe beider Männer zum Trotz festgehalten werden muss. Die vorliegende CD belegt dies zur Genüge anhand einer Anzahl von sechs Suiten des ersteren und bringt damit ein fast vergessenes Repertoire von hohem künstlerischem Rang und außerordentlichem spieltechnischen Reichtum zum Klingen.
Der Werke angenommen hat sich die Geigerin Hélène Schmitt, die damit nach ihrer wunderbaren Einspielung von Johann Heinrich Schmelzers 'Sonatae a violino solo’ (2007) eine weitere Perle der Violinmusik beim Label Alpha Productions vorlegt. Unterstützt wird sie dabei von Gaetano Nasillo (Violoncello), Eric Bellocq (Gitarre und Theorbe) und Jörg-Andreas Bötticher (Cembalo und Orgel). Die Gruppierung der Sätze zu Suiten stammt nicht von Matteis selbst, sondern geht auf die von ihm nahe gelegte Praxis zurück, die in Tonarten angeordneten Einzelstücke seiner Sammlungen zu mehrsätzigen Suiten zusammenzustellen. In diesem Sinne haben sich die Musiker dramaturgisch gelungene, musikalisch sehr geschlossene Abfolgen überlegt, die den ganzen Abwechslungsreichtum, von Matteis’ Komponieren illustrieren. Naturgemäß steht dabei die Violine im Vordergrund, ihr ordnen sich die übrigen Instrumentalisten meist unter.
Dennoch gibt es eine ganze Reihe von Freiräumen, in denen auch diese solistisch zu Wort kommen, zum Teil sind sogar ganze Sätze vom solistischen Vortrag ohne die Violine geprägt. So wird etwa die Continuo-Besetzung in der 'Aria con divisioni’ aus der Suite in A schrittweise reduziert, bis Violine und Violoncello allein dialogisieren, in der nachfolgenden 'Courante’ erklingt zunächst nur die solistische Theorbe, bevor nach einer ganzen Weile die Violine hinzutritt, in der Suite in D stimmt eine aus der Musik heraus erdachte Improvisation Böttichers präludierend in die Musik ein, und die Suite in G beginnt mit einer 'Gavotta con divisioni’, die nur von Gitarre und Cembalo vorgetragen wird. Überhaupt beruht ein Großteil der Wirkung dieser Aufnahme aus dem geschmackvollen Umgang mit den Kompositionen und auf dem Wissen um die Möglichkeiten, die eine solche Musik bietet – und genau das macht beim Hören viel Freude, weil man spürt, dass hier von allen Beteiligten mit viel Liebe zum Detail musiziert wird.
Wie in früheren Einspielungen ist es die ungemein faszinierende rhetorische Qualität von Schmitts Spiel, die einen nicht mehr loslässt, wenn man sich erst einmal darauf eingelassen hat. Die Violine gewinnt hier eine fast schon erschreckend direkte Sprachfähigkeit. Kaum ein Ton gleich dem anderen, das klar artikulierte, in gleicher Weise den tänzerischen wie den kantablen Tonfall einschließende und die technischen Hürden problemlos meisternde Gestaltungsvermögen der Geigerin nötigt Staunen ab: In Sätzen wie den 'Diverse bizzarie sopra la vecchia Sarabanda o pur Ciaconna’ aus der Suite in C oder dem 'Ground’ aus der Suite in E – beides überlegt gestaltete, abwechslungsreiche Ostinatovariationen – kommen diese Fähigkeiten ebenso gut zur Geltung wie in dem solistischen 'Passaggio rotto, Andantemento veloce e Fantasia a violino solo senza basso’ aus der Suite in A.
Schmitts Darstellung wird den Facetten von Matteis’ Musik außerordentlich gut gerecht: Denn sie beherrscht die für das damalige Violinspiel ungewöhnlich feinen Differenzierungen, die der Komponist in Bezog auf Bogentechnik und Artikulation vorschreibt, ebenso perfekt wie die grifftechnischen Besonderheiten dieser Werke. Ihre Partner stehen der Geigerin allerdings in Nichts nach, und so mancher Satz erhält gerade seine Wirkung durch die genau überlegte Abstimmung der Musiker untereinander. Dass dies mit einem sehr nah an den Instrumenten bleibenden, direkten Klangbild voller Rauigkeitswerte einhergeht, verleiht der Aufnahme zusätzliche Authentizität und trägt zu dem außerordentlich gelungenen Gesamtergebnis bei.
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Matteis, Nicola: Ayrs for the violin |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Alpha Classics 1 01.04.2009 |
Medium:
EAN: |
CD
3760014191411 |
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Alpha Classics "Haute-Couture-Label", "Orchidee im Brachland der Klassikbranche" oder schlicht "Wunder", das sind die Titel mit denen das französische Label ALPHA von der Fachpresse hierzulande bedacht wird. In der Tat ist die Erfolgsgeschichte des Labels ein kleines Wunder. Honoriert wurde hiermit die Pionierlust und Entdeckerfreude des Gründers Jean-Paul Combet und die außerordentliche Qualität seiner Künstler und Ensembles (z.B. Vincent Dumestre, Marco Beasley, Christina Pluhar u.v.a.), aber auch die auffallend schöne, geschmackvolle Präsentation der Serie "ut pictura musica" mit ihren inzwischen mehr als 200 Titeln. Das schwarze Front-Layout und die Grundierung mit venezianischem Papier im Innern sind mittlerweile genauso zum Markenzeichen geworden wie die ausgesprochen stimmungsvollen Fotografien der Aufnahmesitzungen durch den Fotografen Robin Davies. Das Programm umfasst die Zeitspanne von der mittelalterlichen Notre Dame-Schule bis hin zur klassischen Moderne, doch ist nach wie vor ein deutlicher Schwerpunkt auf Alte Musik zu erkennen. Innerhalb des Labels möchte die zweite, auch "Weiße Reihe" genannte, Serie "Les Chants de la terre" die ältesten Quellen musikalischen Ausdrucks erkunden. Mit Virtuosität und Spielfreude widmet man sich hier dem Beziehungsfeld von schriftlich überlieferten und mündlich weitergegebenen Musiktraditionen, um alte Melodien zu neuem Leben zu erwecken. Trotz akribischer musikwissenschaftlicher Recherche geht es hier nicht um eindimensionale, akademisch trockene Werktreue, sondern um lebendigen Umgang mit altem Material. Mehr Info... |
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