
Berlioz, Hector - Grande Messe des Morts op. 5 Requiem
Die Posaunen des jüngsten Gerichts
Label/Verlag: Glor classics
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Sylvain Cambreling, die EuropaChorAkademie und das SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg lassen das Requiem von Hector Berlioz im Raum aufleben.
Eigentlich ist das Medium SACD ideal für Werke mit räumlicher Disposition, und so verwundert es nicht, dass binnen kurzer Zeit gleich zwei Einspielungen der 'Grande Messe des Morts’ op. 5 von Hector Berlioz erschienen sind, die sich der technischen Mittel bedienen, um die komplexe Struktur des mitkomponierten Raumes adäquat darzustellen: nämlich die historische Aufnahme mit Colin Davis und dem London Symphonie Orchestra & Chorus aus dem Jahr 1969 (Pentatone Classics) sowie die aktuelle Neuproduktion mit der EuropaChorAkademie und dem SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg unter Leitung von Sylvain Cambreling – letztere bei Glor Classics, einem Label, das sich seit kurzer Zeit dem von Joshard Daus gegründeten und geleiteten Chor widmet.
Das Requiem, das Berlioz 1837 für eine Aufführung im Invalidendom schuf, ist ein beredtes Zeugnis für die Instrumentationskunst des Komponisten, aber auch für das dramaturgische Gespür, mit dem er hier einerseits sehr feine Wirkungen zeichnet, andererseits aber auch mit massiven Ballungen und Überwältigungsstrategien arbeitet. So lässt Berlioz die Posaunen in wahrhaft bombastischer Manier erschallen: Der Hörer wird förmlich erschlagen von den Klängen, die da im 'Tuba mirum’ des 'Dies irae’ aus allen vier Himmelsrichtungen auf ihn einschmettern, ein massives Aufgebot an Blechbläsern, acht Pauken, zehn Beckenpaaren, vier Tamtams und zwei großen Trommeln nutzend.
Dennoch geraten solch monumentalen Momente sehr differenziert: Die Aufnahmetechnik macht die Raumklang-Dramaturgie dieses Abschnitts, aber auch jene so ganz anders gearteten des 'Rex tremendae’, des 'Lacrimosa’, des 'Hostias’ und des 'Agnus Dei’ hautnah erlebbar. Die Wirkung wird dadurch verstärkt, dass Cambreling die Riesenbesetzung von über zweihundert Mitwirkenden sehr gut zusammenhält. Ob es sich hier um eine Live-Aufnahme handelt, ist nicht ganz klar; die beiden Aufnahmedaten von März und April 2004 an unterschiedlichen Lokalitäten sprechen für einen Zusammenschnitt, doch erstaunt dabei der hohe Perfektionsgrad, der nur ein Minimum an Koordinationsschwierigkeiten und im Grunde nur leichte Verwacklungen bei den Blechbläserfanfaren im 'Tuba mirum’ hören lässt.
Doch die Einspielung hat noch viel mehr starke Momente, so etwa den Beginn, der allmählich aus dem Nichts herauswächst und in mehreren Anläufen anhebt, um schließlich den harmonischen Untergrund für den Einsatz des Chores zu schaffen. Der 'Requiem’-Satz mit seinen spannungsreichen Generalpausen und chromatischen Seufzern gehört überhaupt zu den faszinierendsten Teilen der Platte, zeigt in Orchester und Chor eine bis ins Geheimnisvolle gesteigerte Differenzierungsfähigkeit, mit Wissen um die kleinsten Farbwerte bei Aufhellungen oder Abdunklungen gezeichnet. Cambreling überzeugt hier mit einem ausgeklügelten Klangkonzept und spornt alle Mitwirkenden zu Höchstleistungen an.
Insbesondere die Leistungen der jungen Sängerinnen und Sänger sind beeindruckend, mit unverbrauchtem und frischem Chorklang beweisen sie immer wieder ihre Wandlungsfähigkeit. Klanglich nachdrücklich wirkt etwa die auf ein leises Murmeln reduzierte Vokalebene am Ende des 'Kyrie’, stark ist das klare a-cappella-Fugato des 'Quaerens me’, grandios sind aber auch die Ostinati im 'Dies irae’ oder die vielen Nuancen im 'Offertorium’. Da Cambreling bei den Ausbrüchen kontrolliert bleibt und den differenzierten Zugang auch dann beibehält, wenn die Massierung von Instrumenten vorherrscht, ergeben sich im Zusammenwirken von Chor und Orchester eine Reihe nachdrücklicher Situationen wie das Alternieren von Vokalisten und tonräumlich weit gespreizten Bläserakkorden zu Beginn des 'Agnus Dei’ oder die Nadelstiche des 'Lacrimosa’, dessen seltsam brodelnde Statik elektrisierend umgesetzt und in großbögige Steigerungswellen eingebettet ist.
Teilweise sind die Tempi etwas straffer als in anderen Aufnahmen, teils lässt sich der Dirigent aber auch – so in den leisen, dem Chor anvertrauten Teil wie dem 'Agnus Dei’ – sich mehr Zeit, um den Klängen nachzulauschen. Wie Cambreling hierbei die Spannung zu erhalten weiß, erfährt man vor allem am Ende der Komposition in den leise verebbenden Klängen. Ein großes Lob gilt schließlich auch dem Tenor Paul Groves, der die aufgrund ihrer Höhe sehr heikle Tenorpartie im ‚Sanctus’ stimmlich überzeugend umsetzt und der Musik an diesen Stellen eine ganz eigenartige Färbung verleiht. Er rundet die sehr gute und empfehlenswerte Aufnahme ab, die aufgrund ihrer Klarheit ein gutes Pendant zu älteren Einspielungen bildet.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Berlioz, Hector: Grande Messe des Morts op. 5 Requiem |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Glor classics 2 28.11.2008 |
Medium:
EAN: |
SACD
4260158915038 |
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Glor classics Glor Music Production wird alle zukünftigen Klassik-Projekte unter dem eigenen Label Glor Classics veröffentlichen. So konnte Glor eine Marke etablieren, die zukünftig über einen umfänglichen Katalog bestehen wird und mit Giuseppe Verdis "Requiem" unter der künstlerischen Leitung von Placido Domingo startet. Mehr Info... |
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