
Karina Gauvin singt - Arien von Georg Friedrich Händel
Gelungene Stilverbindung
Label/Verlag: Atma classique
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Karina Gauvin überzeugt mit ihrer Händel-Einspielung durch eine klare, volltönende Stimme, lockere Verzierungen und eine subtile musikalische Ausgestaltung höchst unterschiedlicher Affekte. Begleitet wird sie vom ansprechend musizierenden Ensemble ‚Tempo
Die Sopranistin Karina Gauvin ist hierzulande noch kein ‚superstar soprano’ wie es im Booklet ihrer neuesten CD, erschienen bei Atma Classique, heißt. Denn vor dem Lobessuperlativ steht noch: ‚Canada’s…’. In ihrer Heimat gilt Karina Gauvin als herausragende Sängerin – zu Recht, denn Gauvin kann nicht nur ob ihrer stilistischen bzw. Repertoire-Bandbreite beeindrucken. Sie ist einfach eine sehr gute Musikerin. Das machte sie bereits mit ihrer vor drei Jahren erschienenen Purcell-Platte deutlich. Und nun legt sie nach, wiederum mit barockem Repertoire. Sie suchte sich Arien aus Georg Friedrich Händels Oratorien und dramatischen Szenen zusammen, unter einen Hut gebracht mit dem schlichten Titel ‚Handel Arias’. Herausgekommen ist eine sehr ansprechende Platte.
Stilverbindungen
Zwei Tendenzen der gegenwärtigen Musikszene und der Alten Musik insbesondere zeigt diese Einspielung. Zum ersten, dass sich nach den Forderungen von Purismus in der stilistischen Gestaltung barocken Repertoires in den Hochzeiten der Early Music Movement (hier in der englischen Form, weil es vor allem Engländer waren, die sich durch derlei Purismus hervortaten) nun auch wieder Sänger vielseitiger (stilistischer) Interessen solchem Repertoire nähern können, ohne der unzulässigen Grenzüberschreitung geziehen zu werden. Vor allem aber freut es, dass Sängerinnen wie Karina Gauvin zumindest einen Teil der improvisatorischen Freiheiten wie sie bei einer stilistisch adäquaten Umsetzung dieser Stücke am Platze sind, mit hoher Musikalität umzusetzen versteht. Und allein schon der Name des Begleitensembles ‚Tempo Rubato’ lässt darauf schließen, dass die Musiker unter der Leitung von Alexander Weimann mehr auf die Kraft der Rhetorik, des Wortes und der Affekte vertrauen als einem Verständnis des Ablaufs barocker Werke nachzuhängen, das mit dem musikwissenschaftlichen Stichwort ‚Einheitsablauf’ schon andeutet, was den Hörer ästhetisch erwartet. Vorbei die Zeiten, in denen die Sechzehntelbewegungen anfangs angeknipst wurden und dann munter abschnurrten, bis zum notbremsenden Schlussritardando. ‚Tempo Rubato’ folgt einem anderen Verständnis musikalischer Abläufe (hier vornehmlich bezogen auf die Zeit), einem dem Gestus rhetorisch-affektiver Bewegung verpflichteten.
Stimmfülle und perlende Verzierungen
Nun gehört das Ensemble ‚Tempo Rubato’, wie hier unschwer zu hören, nicht zu denen, die Affektumschwünge und am Text orientierte musikalische Sprachkraft drastisch oder ruppig umsetzen. Dafür ist das Ensemblespiel zu poliert, zu fein abgestimmt, zu sehr auf einen schönen Klang aus. Aber dennoch gelingt es dem 20-köpfigen Ensemble unter Alexander Weimann, die ganz unterschiedlichen Affektwelten subtil und beweglich zu unterstützen. ‚Tempo Rubato’ zeichnet sich dabei durchwegs durch einen eher hellen, quecksilbrigen Klang aus, der den musikalischen Satz sehr durchsichtig erscheinen lässt.
Karina Gauvin gelingt mit ihrer Zusammenstellung Händelscher Arien (aus 'Samson’, 'Messiah’, 'Hercules’, 'Semele’, 'Alexander Balus’, 'Jephta’, 'Athalia’, 'L’allegro, il penseroso ed il moderato’, 'Solomon’) eine Reise durch unterschiedlichste Stimmungslagen, die sie durchwegs sehr gut meistert und musikalisch fein gestaltet. Allein 'Hence, Iris, hence away’ aus 'Semele’ will nicht recht zünden, weil die Sängerin hier, um die Gewalt der Worte zu unterstreichen, in einen fast sprechenden Stimmeinsatz kommt, der zu der volltönenden Gestalt ihrer Gesangsstimme großen, nicht ohne Bruch auskommenden Gegensatz bildet. Eines der Herzstücke der Einspielung ist zweifellos 'Ah! think what ills’ aus 'Hercules’, das den Anlass bietet, die gebotenen Ausdrucksfähigkeiten ihrer runden Stimme effektvoll einzusetzen. Besonders eindrucksvoll ist ihre volltönende Höhe, die sie selbst in virtuosen Verzierungen sehr agil einzusetzen versteht. Dass sich unter die Oratorien-Arien auch das anscheinend unvermeidliche 'Lascia chi’o pianga’ mischt, mag auch durch den Rettungsversuch im Booklettext (die Sängerin wollte deutlich machen, dass es zwischen Händels Opernarien und einigen Oratorien-Arien kaum musikalisch-stilistische Unterschiede gebe) nicht vollends überzeugen. Überzeugend aber ist Karina Gauvins musikalische Gestaltung, die der Arie alles Lastende nimmt, um die Traurigkeit mit subtileren Mitteln umso eindringlicher wirken zu lassen – gerade im reich verzierten da-capo-Teil. Ihre zu keinem Zeitpunkt spitz oder metallisch wirkende runde, eindrucksvoll geführte Stimme kann sie im ruhigen 'Let the bright seraphim in burning row' aus 'Samson' besondern leuchtend in Szene setzen, ebenso wie im pastoralen 'Where’re you walk' aus 'Semele'.
Eingeführt werden einige Arien mit den vorgeschalteten Rezitativen, ebenso überzeugend vorgetragen von Karina Gauvin, die mit dieser Platte deutlich macht, dass die Musikszene durch Stilverbindungen nur bereichert wird. Wo sich eine gut geschulte, natürlich klingende Stimme mit den (oder zumindest: einigen) stilistischen Vorgaben barocker Verzierungspraxis verbinden, grundiert von hoher Musikalität, da gibt es für den Hörer Mußestunden musikalischen Genusses. Karina Gauvins Händel-Platte bietet genau dies.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Karina Gauvin singt: Arien von Georg Friedrich Händel |
|||
Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Atma classique 1 20.10.2008 |
Medium:
EAN: |
CD
722056258920 |
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Atma classique Das Label ATMA - Seele oder Lebensgeist auf Sanskrit - wurde 1995 gegründet und bietet inzwischen mehr als 200 Aufnahmen von mittelalterlicher bis zu zeitgenössischer Musik mit einem besonderen Schwerpunkt im Barock. Für ihre Aufnahmen umgibt sich Johanne Goyette, Direktorin und zugleich Toningenieurin der Firma, gerne mit wagemutigen Künstlern, um in ihrem Studio Unerhörtes (und Ungehörtes) zu schaffen.
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