
Sequentia spielen - Endzeitfragmente aus dem 9. bis 11. Jahrhundert
Erschreckende Offenbarungen im frühen Mittelalter
Label/Verlag: Raumklang
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Die Einspielungen des Sequentia-Duos basieren auf einer klaren, mutigen Richtung improvisatorischer Ideen und Erfahrungen in mittelalterlicher Musik.
Apokalyptische Vorstellungen von Terror und Zerstörung bestimmten in der Frühzeit der Christianisierung bis tief ins Mittelalter hinein nicht nur allein den christlichen Glauben, sondern einen Großteil des täglichen kulturellen Lebens. So sind auf mehreren Textfragmenten die erschreckenden Vorstellungen unserer Vorfahren in musikalisch-poetischer Form belegt. In der Hochblütezeit mündlicher Überlieferung ist zwar die Anzahl der erhaltenen Offenbarungen erstaunlich, sie verdeckt jedoch nicht den Umstand, dass die Art der künstlerischen Textgestaltung in den meisten Fällen bis heute unklar ist.
Einige der überlieferten Texte lassen durch zusätzliche Randwörter wie Harfe oder Refrain doch einige wage Hinweise auf die Aufführungspraxis im frühen Mittelalter zu. Der schwierigen Interpretationsfrage nahmen sich zwei Mitglieder des Ensembles Sequentia für Musik des Mittelalters an. Voranglich mit seiner Stimme erkundet dessen Mitbegründer Benjamin Bagby seit über drei Jahrzehnten die festgehaltenen poetischen Musikdokumente des Mittelalters. Im Zentrum dieser WDR-Aufnahme unter der titulierten Thematik ‚Endzeitfragmente’ steht grundlegend das Gespür für den möglichen musikalischen Klang der apokalyptischen Texte sowie die erfahrene Improvisationskunst des Duos Benjamin Bagby, Stimme, Harfen und Symphonia, und Norbert Rodenkirchen, Flöten und Harfe. Leider liefert der Booklettext hinsichtlich der Interpretationsideen, die den zehn Instrumental- und Gesangsstücken zu Grunde liegen, keine Hinweise; der jeweilige Überlieferungszustand jedoch wird vom Autor Benjamin Bagby kurz angerissen.
In einer bemerkenswert sicheren Weise stellt Bagby sechs Stücke in den Sprachen Latein, Althochdeutsch und Altsächsisch in gesanglicher Interpretation dar. Bei diesen sechs Werken steht die Textdeklamation eindeutig im Vordergrund. Die dementsprechend einfachen Melodieverläufe sind zum Teil durch zusätzliche Neumenzeichen belegt, welche wiederum mit heutigem Forschungsstand in das abendländische Notensystem transkribiert werden können. Trotz der immer wiederkehrenden musikalischen Muster, verstärkt durch die jeweilige Instrumentalbegleitung Rodenkirchens, wirkt die musikalische Textwiedergabe äußerst kunstvoll. Die mittelalterlichen Tonsysteme erscheinen fremd und bisweilen sogar im Klang ein wenig orientalisch. Gegenüber dem rekonstruierten und bekannten Gregorianischen Choral, der aus heutigem Verständnis von einem typischen sakral-dunklen Grundklang geprägt ist, ist die Umsetzung der vorliegenden Texte in ihrer jeweiligen Interpretation variabler. Manchmal ist erst der Blick auf den vertonten Text im Booklet erschreckend aufgrund der apokalyptischen Bilder des damaligen Christentums.
Bisweilen fehlt es besonders bei den vier Instrumentalsequenzen an der thematisch zu erwartenden düsteren Atmosphäre. Das mag daran liegen, dass der heutigen musikalischen Praxis andere gestalterische Mittel zur Verfügung stehen als es im frühen Mittelalter der Fall war. Weniger eine reichhaltige Intervallik, sondern die typisch leeren Begleitquinten bestimmen hier das musikalische Bild. Nichts desto trotz sind gerade diese vier Stücke auch ohne die erwartete apokalyptische Stimmung äußerst hörenswert, weil das Ensemble diese auf rekonstruierten Instrumenten, wie beispielsweise der Schwanenknochenflöte oder der germanischen sechssaitigen Harfe, wiedergibt.
Insgesamt erstaunt die sichere Herangehensweise des Sequentia- Duos an die problematischen Fragmente des frühen Mittelalters. Die fremden Klänge in Verbindung mit den rätselhaften Texten, die im Booklet wiedergegeben werden, hinterlassen einen bleibenden Höreindruck, auch wenn dieser durch die Forschungsproblematik mehr auf Ideen und umso weniger auf festen Tatsachen beruhen kann.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Sequentia spielen: Endzeitfragmente aus dem 9. bis 11. Jahrhundert |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Raumklang 1 14.11.2008 |
Medium:
EAN: |
CD
4018767028034 |
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Raumklang Das Label RAUMKLANG wurde 1993 von Sebastian Pank in Leipzig gegründet. Nach wie vor steht der Name Raumklang für ein authentisches Klangerlebnis. Die Aufnahmen entstehen überwiegend mit nur einem Stereo-Kugelflächen-Mikrophon (One-Point-Recording).
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