
Renaissance transcriptions. Ensemble recherche spielt - Werke von Ockeghem, Dunstable, Kröll u.a
Tradition und Moderne
Label/Verlag: Coviello Classics
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Das ensemble recherche gibt einen Einblick in Adaptionen von Renaissancemusik aus der Feder zeitgenössischer Komponisten.
Seit zwei Jahrzehnten gehört das in Freiburg ansässige ensemble recherche zu den besten und produktivsten Ensembles der deutschen Neuen-Musik-Szene. Jenseits der üblichen Programme überzeugen die Musiker immer wieder durch außergewöhnliche Projekte, zu denen man sicherlich das ‚Witten In Nomine Broken Consort Book’ rechnen kann, das 2004 bei Kairos veröffentlicht wurde: Den Leitgedanken markiertedamals die auf die englische Musik des 16. und 17. Jahrhunderts zurückgehende Tradition der Fertigung so genannter ‚In nomine’-Kompositionenn – eine Tradition, die sich im wesentlichen darauf gründete, dass ein Komponist seine musikalisch-handwerklichen Fähigkeiten unter Beweis stellte, indem er eine bekannte Melodie oder einen mehrstimmigen Werkausschnitt als Modell übernahm und in einem eigenen Werk kunstvoll ausarbeitete. Mit ihrer neuesten, bei Coviello Contemporary veröffentlichten CD ‚Renaissance Transcriptions’ knüpft das Ensemble gedanklich an dieses Projekt an: Im Mittelpunkt steht diesmal jedoch die zeitgenössische Adaption von Musik der Renaissance und damit ein Thema, das in der Zeit nach 1950 verstärkt an Aktualität gewonnen hat und für viele Komponisten zu einem essentiellen Teil ihres Schaffens geworden ist.
Dass die Begriffe ‚Transkription’ und ‚Bearbeitung’ neben der simplen Instrumentation historischer Vorlagen ein breites Spektrum von Möglichkeiten der Auseinandersetzung beinhalten, macht die Platte auf eindrückliche Weise deutlich. Dem simplen Zugang einer Einrichtung für andere Besetzungen folgen allein die ‚Bearbeitungen über das Glogauer Liederbuch’, die der Amerikaner Charles Wuorinen 1962 gefertigt hat, indem er die Liedvorlagen aus dem 15. Jahrhundert für Ensemble arrangierte. Entstanden ist dabei eine Spielmusik, die das Alte in den Konzertsaal der Gegenwart retten möchte und vermittels deutlicher Akzentuierungen gerade das rhythmische, mithin tänzerische Element der Vorlagen betont. Nur wenige Jahre später, nämlich 1969 entstand Harrison Birtwistles Ensembleversion von Johannes Ockeghems Motette ‚Ut heremita solus’, die zwar gleichfalls den überlieferten Text unverändert lässt, aber über Wuorinens Ansatz hinausgeht, indem sie das Original mit ungewöhnlichen Instrumentalfarben ausleuchtet und so eine Klanggestalt schafft, die sich wie ein Kontrapunkt zum Originalsatz ausnimmt.
Auch der Österreicher Karlheinz Essl bleibt in ‚O rosa bella’ für Ensemble nach John Dunstable, John Bedingham und anonymen Komponisten aus dem 15. Jahrhundert (1981-96) recht nah an den von ihm ausgewählten Originalen. Dennoch unterscheidet sich sein Ansatz wesentlich von demjenigen Wuorinens, denn Essl deckt mit seiner Zusammenstellung von insgesamt acht kurzen Sätzen die Zusammenhänge auf, die durch den Bezug unterschiedlicher Komponisten auf die Melodie ‚O rosa bella’ entstehen. So schafft er mit Bezug auf das erst im Epilog erklingende Lied ein Netzwerk musikalischer Verweise, deren jeder druch die Instrumentation eine ganz individuelle Klanggestalt erhält, und lässt zudem den Interpreten ganz bewusst – und in Anlehnung an die Praxis historisch-orientierten Musizierens – Freiräume für die agogische und dynamische Gestaltung der Übertragungen.
Einen Übergang zwischen reiner Bearbeitung und kompositorischer Anverwandlung vollzieht dagegen Peter Maxwell Davies in den ‚Four Instrumental Motets’ (1973-77), indem er einige Sätze unangetastet belässt, die übrigen Stücke hingegen als Vorlage für die Ausarbeitung bestimmter Satz- und Klangmomente benutzt. Ähnlich verfährt er in seiner Transkription ‚veni sancte spiritus – veni creator spiritus’ (1972), die im ersten Teil dem Gedanken der Vokalität verpflichtet bleibt, dann aber die Vorlage gleichsam kompositorisch seziert und ihre strukturellen Bestandteile unter der Lupe betrachtet. Das wohl weiteste Spannungsverhältnis zwischen alt und neu eröffnet schließlich Georg Kröll in seiner 2005 entstandenen Adaption des Instrumentalwerks ‚Felix namque es’ von Thomas Tallis (aus dem ‚Fitzwilliam Virginal Book’, 1564), die er zunächst in Gestalt einer konventionellen Instrumentation beginnt, im weiteren Verlauf aber durch Herausarbeitung und eigenständige Fortführung bestimmter Details zu einer aktuellen Relektüre der historischen Vorlage formt.
Positiv an dieser Produktion – ausgestattet mit einer sehr kompetenten Einführung aus der Feder von Michael Struck-Schloen – ist nicht nur, dass sie einen faszinierenden, wenn auch notwendigerweise nur stichpunktartigen Einblick in die Möglichkeiten der Auseinandersetzung mit alter Musik während der vergangenen vier Jahrzehnte gewährt, sondern dass sie auch in musikalischer Hinsicht einen großen Genuss bietet. Die Musiker finden sich mit den jeweils gestellten Aufgaben hervorragend zurecht und bewegen sich, den musikalisch wie ästhetisch unterschiedlichen Ansätzen entsprechend, souverän in einem großen Spektrum von Ausdrucksnuancen. Sie überzeugen daher nicht nur dort, wo – wie in Krölls Transkription – dezidiert die Spieltechniken neuer Musik gefragt sind und vielfach klangliche Übergänge ertastet werden müssen, sondern vermögen mit ihrem Vortrag auch dort zu fesseln, wo es – wie bei Essl – auf eine homogene Formung der Satzgebilde ankommt oder – wie bei Birtwistle – Instrumentation und Originalsatz einen Kontrast ausprägen, dessen Eigenheiten die Instrumentalisten unentwegt im Blick behalten müssen.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Renaissance transcriptions. Ensemble recherche spielt: Werke von Ockeghem, Dunstable, Kröll u.a |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Coviello Classics 1 01.10.2008 |
Medium:
EAN: |
CD
4039956608127 |
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Davies, Peter Maxwell |
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Coviello Classics Für Coviello Classics steht bei einer Musikproduktion immer das besondere Hörerlebnis im Vordergrund ? alle technischen und organisatorischen Entscheidungen müssen sich diesem ästhetisch definierten Ziel unterordnen. Wesentliche Entscheidungen treffen bei coviello classics nicht gewinnorientierte Manager, sondern kreative Musik-Gestalter: zum einen die Gründer, Geschäftsführer und prägenden Köpfe Olaf Mielke und Moritz Bergfeld, die als Diplom-Tonmeister und Aufnahmeleiter den coviello classics-Produktionen ihr ?klangliches Gesicht? geben, zum anderen die Interpreten, die für coviello classics immer die wichtigsten Partner sind. Ihre künstlerische Aussage ist das zentrale Kriterium für die Qualität einer Aufnahme; sie sind in alle ästhetischen Fragen einer Veröffentlichung einbezogen. Hoher Repertoirewert Grundvoraussetzung für unsere Neuproduktionen sind die besonderen Anforderungen an Künstler und Repertoire. Um dem Klassikmarkt neue Impulse zu geben, produziert coviello classics bislang wenig beachtetes Repertoire, oftmals in Weltersteinspielungen, und sorgt damit immer wieder für überraschende Entdeckungen. Bekanntere Werke erscheinen durch ungewöhnliche Interpretationen in neuem Licht ? hier gibt es keine ideologischen Grenzen oder vermeintlichen Authentizitäts-Anspruch; lebendige Musikkultur zeigt oft das vertraute in ganz anderem klanglichem Gewand. Ein besonderer Schwerpunkt ist die seit einigen Jahren etablierte Reihe coviello contemporary, in der sich die Nähe zum weltbekannten Darmstädter Institut für neue Musik in ganz aktuellen Kompositionen bemerkbar macht.Technische und ästhetische Kompetenz coviello classics ist das Label, unter dem die Aufnahmen der Produktionsfirma MBM vertrieben werden ? ob als CD, DVD oder SACD. Durch einen ganz speziell für die Anforderungen hochwertigster Musikproduktionen konzipierten Übertragungswagen sind die Voraussetzungen für die Aufnahmequalität bei MBM optimal. coviello classics bietet darüber hinaus in jedem Bereich und in jeder Phase der Realisierung einer Musikproduktion ? bis hin zu grafischer Gestaltung und Textredaktion bei den begleitenden Druckmedien ? sowohl Logistik und hochwertiges Gerät wie auch technisches und ästhetisches Know-how.Grafiken, Texte und weltweite Wege Zu einer Musikveröffentlichung gehört nicht nur der gespeicherte Ton ? da gibt es noch einiges mehr zu gestalten. Das Cover einer CD, DVD oder SACD muss nicht nur grafisch ansprechend gestaltet sein, sondern auch einen sinnvollen Zusammenhang mit dem musikalischen Inhalt herstellen. Das begleitende Booklet soll umfassend über Werke, Künstler und Aufführungspraxis informieren; die Texte müssen wissenschaftlicher Prüfung standhalten, aber trotzdem allgemein verständlich und auch noch unterhaltsam sein ? schwierige Herausforderungen auch über die Musik hinaus, für die coviello classics mit erfahrenen Grafikern und Textautoren zusammenarbeitet. Schließlich muss das fertige Produkt an möglichst vielen Orten der Welt erhältlich sein. Dafür haben wir in vielen Ländern in Europa, Asien und Nordamerika Partner vor Ort, die ihren Markt genau kennen. Sie werden laufend mit Neuheiten, Informationsmaterial und Rezensionen aus der Presse versorgt ? auch wenn die Produktion eigentlich fertig ist, macht sie uns noch viel Arbeit.Mehr Info... |
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