
Mahler, Gustav - Sinfonie Nr. 7
Londoner Blitzableiter
Label/Verlag: LSO Live
Detailinformationen zum besprochenen Titel
An Mahler vorbeiinterpretiert: Valery Gergiev legt keinen Wert auf Mahlers Humor und reitet die 7. Symphonie in rasanten Tempi konsequent ins Tal der Missinterpretationen.
Gustav Mahlers 7. Symphonie gilt weithin als ‚Problemkind’ unter seinen neun Gattungsbeiträgen, hatte der Komponist, um dem Werk die Chancen auf eine Uraufführung zu verbessern, doch fatalerweise gegenüber dem Konzertagenten Emil Gutmann angemerkt, es sei sein bestes Werk und vorwiegend heiteren Charakters. Nicht gerade eine glückliche Handreichung für Publikum und Dirigenten, denn Mahlers Heiterkeit und Humor wurden falsch verstanden. Humor bei Mahler bedeutet Naivität, und Naivität bedeutet insbesondere in Bezug auf die 7. Symphonie die schroffe, mitunter plakative Gegensätzlichkeit von Kunst und Kitsch. Hört man Leonard Bernsteins Einspielungen von Mahlers ‚Problem’-Symphonie, so wird man dieses Problems gar nicht gewahr, weil der rührige Kettenraucher Bernstein genau diesen Kontrast von Süßlichkeit und ironisch gebrochenem Pomp zum Kernpunkt seiner Lesart der Partitur macht. Da wimmelt es von Episoden abgrenzenden Tempoverzögerungen, feinsten Nuancen im dynamischen Spektrum und kernigen Orchesterattacken. Es ist dies eine Lesart, die man durchaus auch mit Valery Gergiev in Verbindung bringen möchte, der als Chefdirigent des London Symphony Orchestra einen vielbeachteten Mahler-Zyklus zur Aufführung brachte, der nun nach und nach auf dem orchestereigenen Label ‚LSO live’ auf dem Silberling erscheint. Schon werden die Einspielungen der 1. und 6. Symphonie mit Auszeichnungsattributen versehen, gerühmt, hochgelobt. Diese Lorbeeren mag man indessen der Aufnahme der 7. Symphonie nicht verehren.
Das markante Cover mit der blitzdurchzuckten Sieben mag den Eindruck einer extrem hochgespannten Interpretation des Werks erwecken. Akustisch aber erwartet den Hörer ein Blitzableiter. Denn Gergievs undogmatisch-dogmatisches Zitterhand-Dirigat, das optisch so viel hermacht und klanglich so oft Herausragendes hervorzurufen vermag, frönt einer Unflexibilität, Mahlers Partitur eben jene Kunst-und-Kitsch-Zweideutigkeit zukommen zu lassen, die bass erstaunt. Nicht dass Gergiev inkonsequent vorginge. Konsequent reiht er sich in die Phalanx der zahlreichen Missdeutungen der Mahlerschen Heiterkeit ein. Konsequenz lässt der Dirigent vor allem in der Ignoranz des Mahlerschen Humors und dessen spezieller Naivität walten. Unerbittlich streng und ernst lässt Gergiev hier musizieren, und das London Symphony Orchestra reagiert selbstredend mit zu erwartender Perfektion und Spielfreude. Diese Ernsthaftigkeit lässt aber die Symphonie allzu glatt erscheinen; die Ecksätze bilden dabei nur ansatzweise die formbildende Kapsel für die intrikaten Mittelsätze, deren Partiturdetails – insbesondere die Partien von Gitarre und Mandoline – oftmals vom breiten Streicherklang zugedeckt werden. Gerade das Serenadenhafte der beiden Nachtmusiken kommt hierbei so gut wie gar nicht zur Geltung. Grimmigen Humor immerhin kann man dem ‚Scherzo’ attestieren. Doch ist es eher der gallige Humor Schostakowitschs, mit dem Gergiev das Lachen des Ohres zu verhindern weiß. Den großen Bogen kann Gergiev, obwohl den letzten Satz trotz aller in der Partitur verzeichneten Ermahnungen Mahlers, doch bitte nicht zu eilen, durchhetzend, sehr wohl spannen, doch scheint seine konsequente Ernsthaftigkeit der eigentlichen Absicht des Komponisten kaum zu entsprechen. Da nützt es letztlich auch nichts, dass das London Symphony Orchestra den vielen Sternstunden großer Orchesterkultur eine weitere hinzufügen kann. Immerhin.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Mahler, Gustav: Sinfonie Nr. 7 |
|||
Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
LSO Live 1 01.10.2008 |
Medium:
EAN: |
SACD
822231166528 |
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London Symphony Orchestra Heute gibt das LSO ungefähr 70 Konzerte pro Jahr in London und bis zu 90 auf Tournee. Es ist regelmäßig auf Konzertreise durch Europa, Nordamerika und im Fernen Osten. Waleri Gergijew ist seit 2007 Chefdirigent des LSO und Sir Colin Davis sein Präsident. Das LSO organisiert auch das in der Welt am längsten laufende und umfangreichste Bildungsprogramm eines Orchesters: LSO Discovery. Mit seinem Sitz im Londoner Musikbildungszentrum LSO St Lukes schafft Discovery die Möglichkeit für Menschen aller Altersgruppen und Veranlagungen, mit Musikern des LSO zusammenzuarbeiten, etwas über Musik zu lernen und ihre Fertigkeiten zu entwickeln. Mehr Info... |
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