
Mahler, Gustav - Sinfonie Nr. 4 G-Dur
Der goldene Mittelweg
Label/Verlag: Tudor
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Jonathan Nott und die Bamberger Sinfoniker haben sich mit Mahlers Vierter selbst übertroffen. Gemeinsam mit der betörenden Sopranistin Mojca Erdmann entführen sie den Zuhörer in himmlische Höhen.
Gustav Mahlers vierte Sinfonie gilt als die am leichtesten zugängliche unter seinen Sinfonien – und steckt doch voller Rätsel. Immer wieder führt Mahler den Zuhörer an der Nase herum, immer wieder unterwandert er den liebenswürdig-naiven Grundton mit unerwartet heftigen fortissimo-Akzenten. Ist dies eine sinfonische Humoreske? Eine Märchenvision? Ein gewalttätiger Ritt ins Himmelreich?
Die Bamberger Symphoniker unter ihrem englischen Chefdirigenten Jonathan Nott haben nun den goldenen Mittelweg gefunden (Tudor, 2008). Weder verharmlosend noch überzeichnend interpretieren sie Mahlers ‚Himmlische’, bleiben in allem bemerkenswert vielschichtig und vieldeutig. Bereits in den ersten Takten des ersten Satzes (‚Gemächlich’) wird klar, wie präzise und natürlich Jonathan Nott die Charakter- und Tempoangaben Mahlers umzusetzen vermag. Seine Bamberger überzeugen durch Transparenz und Wärme. Weiche Überblenden und harte Schnitte erinnern an die Technik des Mediums Film.
Simon Rattle und das City of Birmingham Symphony Orchestra haben das Scherzo des zweiten Satzes einst in einen bedrohlich schauerlichen Totentanz verwandelt und sogar noch Leichengeruch in das Adagio hinüberwehen lassen (EMI, 1998). Jonathan Nott hingegen begreift die fahlen Fidel-Anklänge des Todes als natürlichen Bestandteil des chaotischen irdischen Treibens. Nach dem ersten Schrecken entpuppt sich ‚Freund Hein’ als eher skurrile Gestalt, halb tanzend, halb hinkend.
Im dritten Satz betören die Streicher durch seidiges Legatissimo. Und im vierten Satz, da prasseln die ‚Narrenschellen’ des Sinfoniebeginns wie Rutenschläge auf den Zuhörer ein. Mojca Erdmanns schlanker, kristalliner Sopran ist wie geschaffen für die Vertonung des Wunderhorn-Gedichts „Vom himmlischen Leben“. Kein opernhaftes Gebaren, kein intellektuelles Overacting lenkt vom Kern der Musik ab. Ganz im Gegenteil: Mojca Erdmann ruht in sich, wiegt sich in kindlich-heiterer Unschuld. Ihr einzigartiges Timbre mit der glockenreinen Höhe weckt am ehesten noch Erinnerungen an die famose Frederica von Stade. Am Ende erwacht der Zuhörer wie aus einer Trance.
Organisch und weiträumig fächert sich das Klangbild auf. Ein profunder, inspirierender Booklettext von Ellen Kohlhaas trägt zum hervorragenden Gesamteindruck der Produktion bei. Wenn ich mich für eine einzige Einspielung von Mahlers Vierten entscheiden müsste – ich würde Jonathan Nott nehmen.
Dieser Beitrag hat Ihnen gefallen? Empfehlen Sie ihn weiter!
Ihre Meinung? Kommentieren Sie diesen Artikel
Jetzt einloggen, um zu kommentieren.
Sind Sie bei klassik.com noch nicht als Nutzer angemeldet, können Sie sich hier registrieren.
Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
![]() Cover vergrößern |
Mahler, Gustav: Sinfonie Nr. 4 G-Dur |
|||
Label: Anzahl Medien: |
Tudor 1 |
Medium:
EAN: |
SACD
7619911071516 |
![]() Cover vergössern |
Mahler, Gustav |
![]() Cover vergössern |
|
![]() Cover vergössern |
Tudor "Klein, aber fein!" Mehr Info... |
![]() Cover vergössern |
Jetzt kaufen bei...![]() |
Weitere Besprechungen zum Label/Verlag Tudor:
-
Freundschaftsdokument: Das Scharoun Ensemble kennt seinen Henze seit Langem. Weiter...
(Dr. Jürgen Schaarwächter, )
-
Alte Aufnahme zu entdecken: Tudor bringt eine Einspielung von Mozarts Flötenquartetten mit Aurèle Nicolet und dem Münchner Streichtrio neu heraus. Weiter...
(Anneke Link, )
-
Seltene Erden: Ein Dokument des Gelingens. Weiter...
(Daniel Krause, )
Weitere CD-Besprechungen von Felix Stephan:
-
Zwiespältiges Ergebnis: Korsticks vielgerühmter Beethoven-Zyklus geht in die voraussichtlich vorletzte Runde - mit zwiespältigem Ergebnis. Weiter...
(Felix Stephan, )
-
Bewundernswert attraktiv: Tolles Konzept, gelungenes Layout, immense Informationsdichte, enorme Bandbreite: Trotz ein paar kleineren Schwächen im Detail ist Amons "Lexikon der musikalischen Form" zu empfehlen. Weiter...
(Felix Stephan, )
-
Gepflegte Langeweile: Brav, vorhersehbar und teilweise unausgereift - so wirkt dieser Schubert-Live-Mitschnitt des Amerikaners Jonathan Biss aus der Londoner Wigmore Hall. Weiter...
(Felix Stephan, )
Weitere Kritiken interessanter Labels:
-
Russische Cello-Raritäten: Marina Tarasova stellt hier zwei bemerkenswerte russische Cellosonaten des 20. Jahrhunderts vor. Weiter...
(Dr. Jan Kampmeier, )
-
Nicht verwandt und nicht verschwägert: Klaviermusik vom Mozart-Freund. Weiter...
(Dr. Jürgen Schaarwächter, )
-
Federleicht wie Träume: Aufbruch in die Klangwelten Salvatore Sciarrinos. Weiter...
(Michael Pitz-Grewenig, )
Portrait

"Auf der Klarinette den Sänger spielen, das ist einfach cool!"
Der Klarinettist Nicolai Pfeffer im Gespräch mit klassik.com.
Sponsored Links
- Opernreisen und Musikreisen bei klassikreisen.de
- Konzertpublikum
- Musikunterricht
- klassik.com Radio
- Urlaub im Schwarzwald
- Neue Musikzeitung
- StageKit - Websites für Musiker, Veranstalter und Konzertagenturen
Hinweis:
Mit Namen oder Initialen gekennzeichnete Beiträge geben die Meinung des Verfassers,
nicht aber unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
Die Bewertung der klassik.com-Autoren:
Überragend
Sehr gut
Gut
Durchschnittlich
Unterdurchschnittlich