> > > Nachtstücke. Heidrun Holtmann spielt: Klavierwerke von Schumann, Liszt u.a
Montag, 27. März 2023

Nachtstücke. Heidrun Holtmann spielt - Klavierwerke von Schumann, Liszt u.a

Eine große Nachtmusik


Label/Verlag: Musicaphon
Detailinformationen zum besprochenen Titel


Unterschiedlich gefärbte Nachtklänge mit der Pianistin Heidrun Holtmann

Wie klingt die Nacht? Hat sie einen bestimmten Klang? Einen, der sich in den Kompositionen, die ihr gewidmet sind, wiederfinden lässt? Ein interessantes Konzept, das die renommierte Pianistin Heidrun Holtmann verfolgt: Nachtstücke aus dem 19. und 20. Jahrhundert, von Schumann bis Martin auf zwei CDs zu versammeln. Die Nacht, soviel scheint sicher, macht das, was hell ist, dunkel, und das, was dunkel ist, hell – aber wie klingt sie nun? Schnell die Kopfhörer auf, es ist schon spät.

Schumanns ‘Des Abends’ verbreitet, wie anzunehmen war, Abendstimmung; ist zu Beginn noch erstaunlich aufgeweckt, ermüdet dann, ohne jedoch an innerer Spannung zu verlieren. Aufgewühlt, aber nicht grell gerät ‘In der Nacht’. Und in ‘Traumes Wirren’ setzt Holtmann mit stupender Technik die Akzente so, dass Widerhaken der Erinnerung das vorüberrauschend flüchtige Geschehen strukturieren.

Das erste seiner ‘Nachtstücke op. 23’ ist entgegen der vVortragsbezeichnung überhaupt nicht ‘zurückhaltend’ und hat wenig Nächtliches an sich (was immer man dafür halten mag, aber dieser Frage nachzuspüren gibt diese Veröffentlichung ja reichlich Gelegenheit). Das zweite Stück hatte Schumann ursprünglich mit ‘Curiose Gesellschaft’ überschrieben, worauf Holtmann in ihrem informativen Begleittext hinweist. Die Stimmungswechsel sind gut herausgearbeitet. Überhaupt geht die Pianistin technisch und interpretatorisch auf hohem Niveau zu Werke; stets analytisch, ohne statisch oder kalt zu sein; plastisch der Klang, wobei die Tiefen aufnahmetechnisch oft noch druckvoller hätten erfasst werden können. Die Auswahl indes überzeugt nicht immer. So ist etwa Liszts erster ‘Mephistowalzer’ zwar ein pianistisches Glanzstück, aber schlichtweg zu hell für die Nacht! Gleichwohl eine mitreißende Darbietung. Sie beherrscht das Tempo, nichts entgleitet ihr; und die lyrischen Passagen werden spukhaft skizziert, ohne dass der übergreifende Zusammenhang verloren ginge: Man hört eine Erzählung, die sich aus einzelnen Episoden zusammensetzt. Ganz bestimmt keinen Tasten- und Klangzauber verbreitet hingegen Liszts ‘La Notte’, dessen karge Klanglichkeit und melancholischer Ausdruck bereits das beeindruckende Spätwerk anklingen lassen. Die Kühnheit der harmonischen Wendungen wird nicht ausgestellt, aber auch nicht geglättet; superb musiziert – besonders das Ende macht frösteln.

Debussys ‘Clair de lune’ schimmert sanft unter den Händen der Pianistin; sein ‘La soirée de Grenade’, in dem Debussy, Verzeihung, den Ravel macht, klingt zwar müde (was es ja auch soll), aber nicht ermüdend, denn Holtmann suggeriert das abendlich Erschlaffende bloß, unter Beibehaltung ihres inneren Drangs. Die musikalischen Charaktere von Ravels ‘Gaspard de la Nuit’ hingegen bleiben unscharf. Das Stück über die Wassernixe ‘Ondine’ plätschert dahin, und der Kobold ‘Scarbo’ geht zwar als aufgewecktes Kerlchen durch, aber kaum als gehetzter Alp. ‘Le Gibet’ wiederum funkelt morbide.

Es finden sich, neben dem Bekannten, auch ausgefallenere, abgelegenere Werke. Zum Beispiel die 1915 entstandene ‘Scheherazade’ von Karol Szymanowski, mit dramatischer Qualität und ebenso fesselnd dargeboten wie die nächtlichen Miniaturen von Charles Tomlinson Griffes' ‘Three Tone Pictures’; hier weiß besonders ‘The Vale of Dreams’ zu betören. ‘Die Klänge der Nacht’ aus Bartóks Zyklus ‘Im Freien’ sind spröde und verweisen doch auf Mystisches. Zuletzt erwähnt sei noch Heinz Holligers intellektuell und klanglich faszinierender ‘Elis’-Zyklus. Spätestens bei diesen drei ‘Nachtstücken’ ist man um seinen Schlaf gebracht. So also klingt die Nacht, wenn Heidrun Holtmann ihr nachspürt.

Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert: 
Booklet:





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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:



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    Nachtstücke. Heidrun Holtmann spielt: Klavierwerke von Schumann, Liszt u.a

Label:
Anzahl Medien:
Veröffentlichung:
Spielzeit:
Musicaphon
2
17.06.2008
138:19
Medium:
EAN:
BestellNr.:

CD
4012476569048
M 56904


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"Nacht. Dunkle Stille - ahnungsvoll, Unwirkliches kann greifbar werden, Unvorstellbares geschehen. Des Nachts wird lebendig, was bei Tageslicht unsichtbar ist, Ahnungen, Träume - düstre wie himmlische - werden Wirklichkeit. Durch die erweiterte Wahrnehmungsfähigkeit und Phantasie erleben wir größere Dimensionen natürlicher Kräfte, als das rationale Bewusstsein des Tages dies erlaubt. Die unmittelbare Sprache der Musik ist vielleicht das ideale Medium, die besondere Faszination nächtlicher Stimmungen und Erscheinungen auszudrücken und erfahrbar zu machen. Komponisten verschiedener Epochen haben diesem Thema Klavierwerke gewidmet, die in genialer Weise die weitreichende Skala nächtlicher Vorstellungswelt beschreiben: Beschaulichkeit und Harmonie in Stimmungsbildern wie Robert Schumanns Fantasiestück „Des Abends“, Frederic Chopins Nocturne Des-Dur, Debussys „Clair de lune“, Beschwörung nächtlicher Naturereignisse in Bartóks „Klänge der Nacht“, verhangen-morbide Stimmung, unbestimmte Sehnsucht, Schmachten, Wehmut, Auflösung in Skrjabins spätem Poeme-Nocturne Op.61, romantisch - fantastische Entfesselung menschlicher Leidenschaften in Schumanns Fantasiestück „In der Nacht“, die hochdramatische Szene des Mephistowalzer Nr. 1 von Franz Liszt (nach Lenaus Faust). Die fliehende Schnelligkeit menschlicher Traumerlebnisse - eine Erkenntnis der modernen Psychologie - muß Schumann in seinem Fantasiestück „Traumes Wirren“ seherisch vorausgeahnt haben. Mythologische Figuren und Fabelwesen können in ihrer Unerreichbarkeit für den Menschen ebenso magisch anziehend wie unheimlich sein. Georg Trakls „Elis“ - Gestalt - ein reines Wesen zwischen Traum und Tod - inspirierte Heinz Holliger zu einem Zyklus von drei Klavierstücken. Ebenso bezieht sich Maurice Ravel auf ein dichterisches Werk - Aloysius Bertrands Gedichtzyklus „Gaspard de la Nuit“ - für sein gleichnamiges Klavierwerk. "


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Musicaphon

Ende der 50er Jahre gründete Karl Merseburger, Inhaber des Tonkunstverlages in Darmstadt, das Label CANTATE. Etwa zur gleichen Zeit rief Karl Vötterle (Bärenreiter-Verlag) in Kassel MUSICAPHON ins Leben. In beiden Fällen sollte vorrangig das jeweilige Verlagsprogramm auf Tonträgern dokumentiert werden. Nachdem Merseburger den Tonkunstverlag 1963 aufgeben mußte, übernahm Bärenreiter das Label CANTATE und führte beide gemeinsam unter dem Dach der 1965 gegründeten Vertriebsfirma "Vereinigte Schallplattenvertriebsgesellschaft Disco-Center" fort. Auf beiden Labels erschienen in den 60er und 70er Jahren bedeutende Aufnahmen. Besondere Schwerpunkte setzte Wilhelm Ehmann, Leiter der Westfälischen Kantorei in Herford, mit seinen historischer Aufführungspraxis verpflichteten Interpretationen der Werke von Heinrich Schütz. Bach-Kantaten wurden von Helmuth Rilling mit der Gächinger Kantorei und dem Figuralchor der Gedächtniskirche Stuttgart eingespielt. MUSICAPHON gewann daneben Profil mit der Veröffentlichung musikethnologischer Aufnahmen, herausgegeben von der UNESCO (Musik des Orients und Musik Afrikas) bzw. vom musikwissenschaftlichen Institut der Universität Basel (Musik Ozeaniens und Musik Südostasiens). 1994 erwarb der Musikwissenschaftler Dr. Rainer Kahleyss (Kassel) die Label, 1996 auch die Vertriebsfirma von Bärenreiter, die jetzt als "Klassik Center Kassel" firmiert. Seitdem werden auf CANTATE geistliche Musik, auf MUSICAPHON weltliche Musik vom Frühbarock bis zur Gegenwart veröffentlicht. Auch für die Rezeptionsgeschichte bedeutsame Aufnahmen der Altkataloge werden sukzessive auf CD umgestellt.


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