
Karl der Kühne und die burgundische Hofmusik - Vokalwerke von Dufay, Busnois u.a
Lehrstunde in Musikgeschichte
Label/Verlag: Raumklang
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Nachdenken über Musik am burgundischen Hof zur Zeit Karls des Kühnen: Klingende Musikgeschichte, vor allem durch die Dokumentation eines kundigen Radiogesprächs überzeugend.
Manche historische Situation an einem Hof oder unter einem bestimmten Herrscher ist – zumindest in der vergleichenden Rückschau – als Zentrum voller innovativer Kraft erkennbar geworden. Doch gab es immer wieder prägende Konstellationen, die in ihrem Einfluss bereits von den Zeitgenossen wahrgenommen wurden: Dazu gehörte zweifellos der Hof der burgundischen Herzöge im 15. und 16. Jahrhundert. Dieses rasch wachsende Herzogtum entfaltete von seiner französischen Basis um Dijon aus Macht und Strahlkraft. Zu einer repräsentativen Hofhaltung gehörten selbstverständlich auch Musiker für verschiedene Anlässe, wenngleich die Kapelle der Burgunder quantitativ und qualitativ Maßstäbe setzte. Das zog manch wichtigen Komponisten an – Gilles Binchois, Guillaume Dufay, Hayne van Ghizeghem, Antoine Busnois und später unter veränderten Umständen Pierre de la Rue waren wichtige Vertreter des höfischen Musizierens in Burgund oder waren auf andere Weise mit dem Hof verbunden.
Im mittleren 15. Jahrhundert hatten die Burgunder ein machtpolitisches Gewicht erreicht, das sie an die Spitze der europäischen Fürsten rücken ließ: Das äußerte sich symbolisch im sogenannten Fasanen-Bankett, das Herzog Philipp der Gute 1454 auf Drängen des Papstes veranstaltete. Äußerer Anlass war die Eroberung Konstantinopels im Jahr zuvor, durch die die christlichen Herrscher Europas nochmals zu einem Kreuzzug motiviert werden sollte – diesmal zur Rückeroberung ‚Ostroms’. Mit großem Aufwand wurde ein eindrucksvolles – wenngleich politisch folgenloses – Fest veranstaltet, bei dem auch eine große Bandbreite musikalischer Beiträge Macht und Stellung des burgundischen Herzogs dokumentierte.
Ausstellung & Platte
Im Historischen Museum Bern wird noch bis Ende August 2008 eine Ausstellung zur höfischen Musikpflege am burgundischen Hof gezeigt. Festgemacht an der Person des letzten Herzogs, Karls des Kühnen, durch dessen Tod um Jahr 1477 die politische Existenz Burgunds endete. Die kulturellen Wirkungen der burgundischen Musiktradition führten dagegen weit über dieses Jahr hinaus: Noch in den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts führte die Enkelin Karls, Margarethe von Österreich, das vitale Erbe burgundischer Kultur und Musik als Statthalterin für ihren Neffen Karl, den späteren Kaiser Karl V., an ihrem Hof im Mechelen beinahe ungebrochen fort.
Diesen gesamten Komplex beleuchtet die Ausstellung, begleitet durch eine Platte mit der Zusammenstellung charakteristischer Musik, gewissermaßen zur klanglichen Illustration des Vorhabens. Sehr verschiedene Aufnahmen aus sehr verschiedenen Zeiten kommen zu Gehör: Vertreten sind unter anderem ‚The Early Music Consort of London’ unter der Leitung von David Munrow mit einer Aufnahme aus dem Jahr 1974, aber auch das ‚Hilliard Ensemble’ mit einer Aufnahme des Schweizer Radios von 1987 sowie die Sänger von ‚Amarcord’ mit einigen Motetten von deren Pierre de la Rue-Platte aus dem Jahr 2005. Das ist interpretatorisch und klanglich zwangsläufig sehr heterogen, überzeugt musikalisch grundsätzlich, vor allem jedoch dramaturgisch.
Als musikhistorische Lehrstunde rund wird die Sache aber erst durch eine zweite, eingefügte Platte: Sie bringt die Aufnahme einer Sendung des Schweizer Radios DRS zu Gehör, die im April 2008 die Ausstellung publizistisch eröffnete. In einem kundigen Gespräch breiten Roland Wächter und Klaus Pietschmann das Panorama der Musik am burgundischen Hof aus und gehen doch gleichzeitig weit darüber hinaus: Sie nehmen das Beispiel Burgunds, um europäische Kunstmusik im 15. und 16. Jahrhundert in ihren Facetten zu beleuchten und exemplarisch zu durchdringen. Der Wert der Veröffentlichung liegt also nur sekundär im Musikalischen – wichtiger sind die Werbung für eine Ausstellung, die von März bis Juli 2009 auch im belgischen Brügge zu sehen sein wird, und das grundsätzliche Nachdenken über sehr verschiedene Aspekte der Musik am Beispiel eines wichtigen europäischen Hofes.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Karl der Kühne und die burgundische Hofmusik: Vokalwerke von Dufay, Busnois u.a |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Raumklang 2 13.06.2008 |
Medium:
EAN: |
CD
4018767028010 |
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Raumklang Das Label RAUMKLANG wurde 1993 von Sebastian Pank in Leipzig gegründet. Nach wie vor steht der Name Raumklang für ein authentisches Klangerlebnis. Die Aufnahmen entstehen überwiegend mit nur einem Stereo-Kugelflächen-Mikrophon (One-Point-Recording).
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