
Raff, Joseph Joachim - Violinkonzert Nr. 1h-Moll op. 161
Spätromantisches in durchwachsener Umsetzung
Label/Verlag: Sterling
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Eine CD mit drei konzertanten Werken für Violine und Orchester von Joseph Joachim Raff mit dem Geiger Tobias Ringborg und dem Symphony Orchestra of Norrlands Opera unter Leitung von Andrea Quinn kann nicht recht überzeugen.
Eines gilt es gleich zu Beginn festzuhalten: Die vorliegende CD aus dem Hause Sterling schließt im Hinblick auf das spätromantische Repertoire für Violine und Orchester eine diskografische Lücke. Drei in Stil und Ausdruck sehr unterschiedliche Kompositionen von Joseph Joachim Raff sind es, deren sich der Geiger Tobias Ringborg und das Symphony Orchestra of Norrlands Opera unter Leitung von Andrea Quinn hier annehmen: das Konzertstück ‚La fée d’amour’ a-Moll op. 67 (1854), die Suite g-Moll für Violine und Orchester op. 181 (1873) und das Violinkonzert Nr. 1 h-Moll op. 161 (1870/71). Da letzteres über Jahrzehnte hinweg verschollen und nur in einer korrumpierten und stark gekürzten Bearbeitung des Geigers August Wilhelmj zugänglich war – sie liegt etwa der Einspielung der Geigerin Michaela Paetsch Neftel mit den Bamberger Symphonikern unter Hans Stadlmair (Tudor, 2000) zugrunde –, ist es umso erfreulicher, dass sich die Interpreten nun erstmals der inzwischen wieder aufgefundenen und veröffentlichten Urfassung angenommen haben. Diesem Umstand trägt auch das hervorragende Booklet Rechnung, das ausführlich in die Unterschiede beider Fassungen einführt und auch die übrigen Kompositionen detailliert behandelt.
Etwas enttäuschend und fantasielos ist dagegen die musikalische Umsetzung, von der man sich mehr hätte erwarten können. Auffällig ist das schon in dem reizvollen Konzertstück op. 67, in dessen durchdachter und origineller Orchesterbehandlung die so genannten ‚Elfenmusiken’ Felix Mendelssohn Bartholdys einen musikalischen Widerhall zu finden scheinen: Während die Umsetzung durch das Orchester durchaus gelungen ist – die Holzbläser greifen schön ineinander und schaffen eine stellenweise tatsächlich ‚zauberhaft’ anmutende Atmosphäre –, spielt Ringborg zwar exakt, aber ohne rechten Sinn für die Wirkungen der Musik. Da er darüber hinaus die Möglichkeiten der dynamischen Differenzierung nicht adäquat ausnutzt, führt dies dazu, dass Arpeggien und Läufe als virtuoses Figurenwerk des Soloparts in den Vordergrund rücken, ohne sich wirklich befriedigend mit dem Orchesterklang zu einer Einheit verbinden.
Weit deutlicher treten die Probleme der Einspielung allerdings in der Suite op. 181 zu Tage: Bei der Wiedergabe von Raffs ohnehin etwas bemühter Auseinandersetzung mit Satztypen der Barockmusik wird Ringborgs Vortrag vielfach zu einem verkrampften Agieren. Klar, die Schwierigkeiten des Soloparts sind enorm, aber dennoch rechtfertigen sie nicht die harten, unregelmäßigen Bogenstriche oder das mitunter fast gewaltsame Spiel, mit dem er sich etwa durch die ‚Corrente’ wühlt. Zwar gibt es gelungene Momente wie im ‚Minuetto’, doch erscheint hier vieles – auch im Orchester – allzu beiläufig umgesetzt: Sätze wie das ‚Preludio’ und das ‚Moto perpetuo’ fallen klanglich auseinander, lassen es an Exaktheit im Zusammenspiel vermissen oder wirken, wie die ‚Aria’, aufgrund ihrer Entwicklungslosigkeit reichlich zäh.
Am unangenehmsten ist jedoch, dass Ringborg nicht genügend Gestaltungskraft hat, um die in allen Werken gelegentlich überhand nehmenden Wiederholungen wirklich interessant und ansprechend umzusetzen. Dadurch erscheint auch das anspruchsvolle h-Moll-Violinkonzert über weite Strecken hinweg seltsam etüdenhaft und uninteressant – und hinterlässt selbst nach mehrmaligem Hören die am wenigsten bleibenden Eindrücke. Hinzu kommt, dass die Aufnahme darüber hinaus auch in klanglicher Hinsicht nicht ideal ist. Der ohnehin wenig kernige und in seiner Tongebung mitunter unausgeglichene Vortrag Ringborgs, der zudem so weit in den Vordergrund gerückt wurde, dass er insbesondere in op. 67 einige Feinheiten des Orchesters verdeckt, wirkt dadurch noch flacher, und auch die Orchesterfarben kommen nur matt und ohne rechte Tiefe herüber. Letzteres führt dazu, dass es dem eigentlich routiniert und vielfach überzeugend spielenden Klangkörper an Transparenz fehlt. Schade also, dass die Realisierung nicht besser geglückt ist.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Raff, Joseph Joachim: Violinkonzert Nr. 1h-Moll op. 161 |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Sterling 1 02.04.2008 |
Medium:
EAN: |
CD
7393338107521 |
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Sterling Sterling is a record label specialising in orchestral music from the Romantic era, founded by Bo Hyttner. Most of the CDs released by Sterling contain previously unrecorded works. After setting out with Swedish romantics, Sterling is now spreading out towards the musical heritage of other European countries. In Sweden, the label is represented through CDA.
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