
Mendelssohn-Bartholdy, Felix - Elias op. 70
Düsterer Prophet in glänzender Verfassung
Label/Verlag: Carus
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Frieder Bernius legt einen ‘Elias’ vor, der sich vor keiner Konkurrenz zu scheuen braucht. Vor allem die vokalen Kräfte über jeden Zweifel erhaben.
So beliebt Felix Mendelssohn Bartholdys ‘Elias’ op. 70 im heutigen Konzertleben bei größeren und kleineren Chorvereinigungen auch ist, gibt es vergleichsweise wenige Einspielungen aus den letzten Jahren. Einzig die Aufnahme mit Herbert Blomstedt und dem Leipziger Gewandhausorchester datiert aus dieser Zeit, kann aber wegen zu Trägheit führender großsinfonischer Dimensionen kaum Referenzstatus beanspruchen; diesen behält wohl immer noch Philippe Herreweghes Einspielung aus dem 1993. Oder besser: behielt, denn mit der vom Carus Verlag veröffentlichten Aufnahme mit Frieder Bernius und seinen Stuttgarter Ensembles erwächst ihr große Konkurrenz. Zu verdrängen vermag diese Doppel-CD das Konkurrenzprodukt von Herreweghe nicht; aber fast gleichberechtigt neben es treten.
Denn wo Herreweghe mit einem etwas kleineren Chor und einem mit historischen Instrumenten bestückten Orchester das Dramatische mit klaren Akzenten, manch kantiger Phrasierung und einer bestens austarierten Balance von Sängern und Instrumentalisten betont, gibt sich Bernius’ Lesart weicher, abgerundeter und im Verhältnis von Orchester und Singstimmen zugunsten des Vokalparts geneigt. Nun bemüht sich Frieder Bernius auch mit der Klassischen Philharmonie Stuttgart, einem auf modernen Instrumenten musizierenden Orchester in historisch orientierter Besetzungsstärke, seine Interpretation an Klangideal und Spielweisen des 19. Jahrhunderts (oder was eben heute dafür hält) auszurichten. Deswegen bedeutet hier, wenn von einer vergleichsweise abgerundeten Klanggebung die Rede ist, dies keineswegs mit früher gängigen, etwas plump-pathetischen Darstellungen zu verwechseln. Bernius gestaltet sehr feinfühlig, auch die Tempi sind, wenn auch in einigen Sätzen etwas langsamer als bei Herreweghe, durchweg fließend und mehr einer flotteren Gangart hingeneigt.
Ganz entscheidend zieht diese Einspielung ihren Trumpf aus den vokalen Kräften. Der Kammerchor Stuttgart präsentiert sich hier als ein exzellentes Vokalensemble, das Klarheit der Linienführung, etwa in den Fugen-Passagen, nicht einer pedantischen Herausstellung jeder Einzelstimme verdankt, sondern konturierte Einsätze mit einem sehr homogenen Klang zu verbinden versteht. Dabei hüten sich die Sängerinnen und Sänger davor, das im ‘Elias’ enthaltene Maß an Dramatik mit hohlem, dröhnenden Pathos zu erreichen; hier wird vor allem das getan, was der Notentext vorgibt, beispielsweise in Bezug auf Sforzati, Akzente, dynamische Schattierungen. Und als ob dies nicht schon recht viel wäre, setzen die Stuttgarter unter Bernius noch eins drauf, indem hier eine vokale Klangkultur gepflegt wird, die dem Werk unbedingt gerecht wird. Wer Phrasen so subtil zu gestalten weiß, so gefühlvoll abzurunden versteht, Übergänge so organisch gestaltet, bindet die einzelnen Nummern des ‘Elias’ zu einem großen Ganzen zusammen – eine kaum zu überschätzende Leistung.
In der Gesamtqualität steht auch das Solistenensemble dem herausragenden Chor in keiner Weise nach. Michael Volle als Elias versieht die Titelfigur mit etwas mehr Kraft und Dramatik als dies Petteri Salomaa in der Herreweghe-Einspielung tut, und gewinnt über eine klare Diktion und einen wunderbar sonoren, aber an keiner Stelle derben Klang eine Wucht, die dem Elias bestens ansteht. Auch Werner Güra lässt seinen Tenor samten erstrahlen, ganz so, wie man es von ihm gewohnt ist. Sein Obadja gewinnt eine vokale Präsenz, die ihn gegenüber Elias nicht so weit zurückfallen lässt. Überaus feinsinnig und mit klarer Fokussierung geht auch Letizia Scherrer zu Werke, der einige der wunderbarsten Stellen dieses ‘Elias’ gelingen. Ihr heller, treffsicherer Sopran trägt die kantablen Linien auf meisterliche Weise. Einzig Sarah Wegeners Alt wirkt in manchen Passagen etwas zu dunkel und auf vokalen Ausdruck bedacht; etwas weniger bemühte Farben hätten hier mehr bewirkt, auch wenn ihr Vortrag im Ganzen durchaus gut gelingt. Auch jene aus dem Chorpersonal besetzten Einzelstimmen können vollauf überzeugen.
Einziger Kritikpunkt, und damit der einzige Grund, diese Einspielung neben und nicht über Herreweghes Deutung einordnen zu können, liegt an der Balance zwischen Orchester und Vokalapparat. Mag sein, dass die alten Instrumente (gerade in den Bläsern) bei Herreweghe deswegen deutlicher zur Geltung kommen, weil sie über eine stärkere Eigenfarblichkeit verfügen als die modernen bei Bernius. Aber dessen ungeachtet könnte der tadellosen vokalen Darstellung in der hier vorliegenden Deutung mitunter mehr Tiefe abgewonnen werden, würden instrumentale Farben an einigen Passagen dem homogenen Chorklang eine zusätzliche Schattierung hinzufügen.
Ansonsten darf diese Einspielung als eine untadelige Produktion gelten, die auch klanglich durchaus überzeugen kann.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() |
Dieser Beitrag hat Ihnen gefallen? Empfehlen Sie ihn weiter!
Ihre Meinung? Kommentieren Sie diesen Artikel
Jetzt einloggen, um zu kommentieren.
Sind Sie bei klassik.com noch nicht als Nutzer angemeldet, können Sie sich hier registrieren.
Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
![]() Cover vergrößern |
Mendelssohn-Bartholdy, Felix: Elias op. 70 |
|||
Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Carus 2 01.04.2008 |
Medium:
EAN: |
CD
4009350832152 |
![]() Cover vergössern |
|
![]() Cover vergössern |
Carus Der Name Carus steht weltweit als ein Synonym für höchsten Anspruch und Qualität auf dem Gebiet geistlicher Chormusik. Dies betrifft nicht nur unsere zuverlässigen Noteneditionen vieler zu Unrecht in Vergessenheit geratener Werke. Es ist uns ein besonderes Anliegen, gerade diese Werke - oft als Weltersteinspielungen - auch in exemplarischen Interpretationen durch hochrangige Interpreten und Ensembles auf CD vorzulegen. Der weltweite Erfolg unseres Labels führte zur Erweiterung unseres Katalogs: Neben der Chormusik, die weiterhin den Schwerpunkt des Labels bildet, haben gerade in den letzten Jahren einige Aufnahmen barocker Instrumentalwerke internationale Beachtung gefunden. Unsere Zusammenarbeit mit erstklassigen Interpreten führte zu einer hohen Klangkultur, die mit der Verleihung vieler internationaler Preise honoriert wurde (Diapason d'Or, Preis der Deutschen Schallplattenkritik, Gramophone - Editor's choice). Mehr Info... |
![]() Cover vergössern |
Jetzt kaufen bei...![]() |
Weitere Besprechungen zum Label/Verlag Carus:
-
Prachtwerke: In der Summe eine ungemein gediegen gesungene und gespielte Platte mit Bach-Kantaten – edel im Klang, differenziert im Zugriff, mit üppigen lyrischen Stärken agiert Hans-Christoph Rademann mit seiner Gaechinger Cantorey ohne Zweifel. Weiter...
(Dr. Matthias Lange, )
-
Vorstellung einer großen Orgel mit Bach und Duruflé: Der Wiederaufbau der Frauenkirche ging einher mit dem Neubau einer Orgel. Sebastian Kummer stellt sie mit barocken und spätromantischen Werken souverän vor. Weiter...
(Diederich Lüken, )
-
Weihnachtliche Zweitverwertung: Das Calmus Ensemble macht diesen Querschnitt seiner sängerischen Qualitäten wegen sicher für Ersthörer attraktiv. Wer systematischer unterwegs und auf dem diskografischen Weg schon länger dabei ist, dem sei abgeraten. Weiter...
(Dr. Matthias Lange, )
Weitere CD-Besprechungen von Dr. Tobias Pfleger:
-
Tiefe persönliche Betroffenheit: Das Atos Trio nimmt mit einer glühend intensiven Aufnahme zweier tschechischer Klaviertrio-Meisterwerke für sich ein. Weiter...
(Dr. Tobias Pfleger, )
-
Durchdringung: Das Wiener Klaviertrio eröffnete mit gewohnter Klasse eine neue Reihe der Brahms-Klaviertrios. Weiter...
(Dr. Tobias Pfleger, )
-
Geist der Vergangenheit: Masaaki Suzuki nähert sich Strawinskys Neoklassizismus im Geist der Alten Musik. Weiter...
(Dr. Tobias Pfleger, )
Weitere Kritiken interessanter Labels:
-
Verspätete Geburtstagsgabe: Das Jahr 2021 sah eine einigermaßen nachhaltige Auseinandersetzung mit Ruth Gipps. Weiter...
(Dr. Jürgen Schaarwächter, )
-
Bob van der Ent scheitert an Bachs Sonaten und Partiten : Challenge Classics wirft noch einmal eine Doppel-CD mit Bach auf den Markt. Der niederländische Violinist Bob van der Ent kann aber den hohen Ansprüchen an das Werk nicht gerecht werden. Weiter...
(Manuel Stangorra, )
-
Im Geiste Mendelssohns und Schumanns: Das Klaviertrio Then-Bergh/Yang/Schäfer entdeckt mit Berthold Damcke einen erstklassigen Romantiker, der auf den Spuren Mendelssohns und Schumanns wandelte. Weiter...
(Dr. Michael Loos, )
Jetzt im klassik.com Radio


Portrait

"Auf der Klarinette den Sänger spielen, das ist einfach cool!"
Klarinettist Nicolai Pfeffer im Portrait
Sponsored Links
- klassik.com Radio
- Urlaub im Schwarzwald
- Neue Musikzeitung
- StageKit - Websites für Musiker, Veranstalter und Konzertagenturen
Hinweis:
Mit Namen oder Initialen gekennzeichnete Beiträge geben die Meinung des Verfassers,
nicht aber unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
Die Bewertung der klassik.com-Autoren:
Überragend
Sehr gut
Gut
Durchschnittlich
Unterdurchschnittlich