> > > Spahlinger, Mathias: furioso für Ensemble
Dienstag, 28. November 2023

Spahlinger, Mathias - furioso für Ensemble

Neue Wahrnehmungsebenen


Label/Verlag: Kairos
Detailinformationen zum besprochenen Titel


Neue Musik zum Entdecken und Wiederhören. Spahlinger öffnet in seiner kompositorischen Dekonstruktion neue Ebenen der Kommunikation. Dem Reiz des Unerwarteten kann man sich nur schwer entziehen.

Sicher gelangt der l944 aus Frankfurt am Main gebürtige Komponist - seit l990 fungiert er als Professor für Komposition an der Musikhochschule in Freiburg - im Bekanntheitsgrad nicht über den Kreis von Insidern hinaus. Einem breiteren Kreis des Klassik-Publikums dürfte er kaum bekannt sein, schon eher den Hardlinern der Musica nova, jener Gruppe von Unermüdlichen, die zu ungünstigen Zeiten die zur Ausstrahlung kommenden Sendungen der dritten Hörfunkprogramme (Bayern 4 Klassik, SWR 2, WDR 3) einschalten oder so profilierte Festivals wie ‘Tage Neuer Musik in Witten’ besuchen oder den Weg zur Biennale nach München finden. Eigenwillig ist Spahlingers Tonsprache allemal. Denn was er so zum Besten gibt, zeugt zwar von emotionaler Ausdruckskraft, wirkt aber schroff, abweisend, hart und provozierend in der Diktion. Die Suche nach Wahrheit hinter der Maske des Scheins zieht sich wie ein roter Faden durch seine kompositorischen Eingebungen. Worauf kommt es Spahlinger nun an? Die Akribie, mit der bis zum heutigen Tag die musikalischen Materialien bis in Extreme ausdifferenziert wurden, Intervalle extrem geweitet, rhythmische Belange gespaltet, dynamische Kontraste bis zur Unhörbarkeit getrieben wurden, ist für Spahlinger Anlass genug, um die musikalischen Konventionen zu hinterfragen. Er hegt offensichtlich ein Misstrauen gegen bestehende hierarchische Systeme und Prinzipien, die Musik in eine irgendwie geartete Ordnung zu bringen suchen.

Groß ist der Aktionsraum, in dem sich Spahlinger bei seinen kompositorischen Arbeiten bewegt, angefangen von komplexen akustischen Ereignissen bis hin zu Modellen, die dem einzelnen Ton nachspüren. Die Neueinspielung aus der vierdienstvollen Reihe von Kairos stellt  Kompositionen vor, die auf unterschiedliche Weise den avantgardistischen Mitteilungsdrang präsentieren:

‘Apo do’ (‘von hier’), Mathias Spahlingers Streichquartett, in Athen l982 vom Leonardo Quartett aus der Taufe gehoben, gibt sich als eine exquisite Geräuschmusik, die im Kontext an Helmut Lachenmann gemahnt. Entlehnt hat der Komponist den Titel einer Gedichtzeile ‘von hier zur Sonne’ von Jannis Ritsos. Die in den modernen Gefilden wie die Hexer zaubernden Herren vom Arditti Quartett (hier noch in der alten Besetzung mit Irvine Arditti, David Alberman, Garth Knox und Rohan de Saram) bleiben den spieltechnischen Unzumutbarkeiten keinen Deut schuldig: ob impulsive Einsprengsel, rhythmisch exzessive Abschnitte oder Geräuschhaftes, Pizzicati im Wirbelkasten oder Akkorde im Flageolett – die farbenreiche Gestaltung der Klänge zieht einen in den Bann. Hut ab vor so viel interpretatorischen Mut. Wie sagte einmal Irvine Arditti in einer Quartettprobe in den unvergessenen Musiktagen von Klaus Lauer im Römerbad zu Badenweiler: ‘O my God, why is it so complicate to play….’

In eine andere Welt führt ‘furioso’, entstanden im Auftrag des WDR, aufgeführt während der Wittener Tage für neue Kammermusik l992 von ensemble Modern unter Hans Zender. ‘Furioso’ gibt sich als Wechselspiel der Instrumentalisten wie im Bundesligaspiel: einer geht, ein anderer wartet am Spielfeldrand, um dann in Team kräftig mitzumischen. Musikalisch schließt dieses Spiel den Einsatz einzelner Bläser ein, ebenso das Verschwinden von Saiteninstrumenten im letzten Teil der Komposition. Hinzu kommen auch noch Spezifika wie der Einsatz von Weingläsern, die mit Glaskugeln gefüllt sind. Leider bleiben diese Showeffekte auf der CD ohne rechte Wirkung. Live öffnen sich zusätzlich optische Wahrnehmungsgelegenheiten. Der Klang des Ensembles lebt von dialektischen Movements der ‘Setzung’ und ‘Entgegensetzung’, was bis in 8-tel-Töne hineinreicht. Klangflächen kontrastieren mit Zersplitterungsaktionen, was einen viel schillernden Katalog an musikalischen Ausdrucksmöglichkeiten zur Wirkung bringt. Die Instrumentalisten vom fabelhaft koordinierenden Ensemble Modern sind ausgebuffte Spezialisten, um Spahlingers Komponiermaschine in Gang zu setzen, furios Dampf zu machen und ‘fauchend’ die Resultate den Zuhörern in die Ohren zu blasen.

Recht übersichtlich gibt sich die Architektur in ‘gegen unendlich’ – ein Quartett mit Bassklarinette, Violoncello, Klavier und Schlagzeug, l994-95 für das Quartett Avance geschrieben und beim Festival ‘ex negativo’ in Berlin uraufgeführt. Es fällt auf, dass Spahlinger seine Lust zum geräuschhaften Ausleben zugunsten eines mehr ‘ordinario’-Spielbereichs eingeschränkt hat. Freilich mangelt es nicht an farblichen Kombinationen. Die Musik schwebt zwischen den Tönen, wonach die vorzüglich eingestellten Interpreten, das ensemble recherche Freiburg, in mikrotonalen Ebenen fahnden. Im zweiten Teil des Werks schickt Spahlinger seine Interpreten mit rhythmisch höchst variablen Äußerungen auf die Rennnstrecke, wo dem Hörer auch schattierungsreiche Stationen begegnen. Sehr griffig ist das alles gebaut, an Abwechslung ist kein Mangel – auch ein Verdienst der auf alle Belange des Modernen optimal geeichten Recherche-Leute.

‘Fugitive beauté’ (flüchtige Schönheit) stimmt erwartungsvoll. Wer denkt da nicht an die Plötzlichkeit von Momenten, die Faszination bedeuten, aber auch Schrecken verbreiten, Schock auslösend sein könnten. Was flüchtig ‘schön’ anmutet, was wie ein Blitz vom Himmel herunter zuckt, nimmt bei Spahlinger in seiner gleichnamigen Komposition ( UA. Witten 2006) für Oboe, Altflöte, Bassklarinette, Viola und Violoncello folgenden Verlauf: Nach räumlich wie zeitlich in getrennten Schichten laufenden musikalischen Charakteren folgen im Spiel der sog. ‘Undeutlichkeitsgrade’ (Spahlinger) neue Begegnungen. Ob als neue Wahrnehmungsimpulse, als Unisono-Töne, als melodisch skelettartig anmutende Strukturen oder als gemeinsame Akkorde erfahrbar – durch das ‘Unerwartete’ wird der Hörer in jedem Fall mit spannungsvollen Momenten konfrontiert. So entsteht eine Kommunikationsebene, in der jede vermeintliche Störung auch ‘produktiv’ erscheinen könnte.

Die unantastbare Kompetenz des ensemble recherche für neue Klänge wird der Hörer gerade bei diesem Stück empfinden. Solche Musik bedarf höchster Konzentration der Ausführung.  Wer so etwas adäquat zum Klingen bringt, gehört ohne Zweifel zur musikalischen Elite. Inwieweit einen der Rigorismus dieser instrumentalen Klangsprache berührt, bleibe dahingestellt. Was im live-Erlebnis im Konzertsaal im Nu entschwindet, kann durch vorurteilsfreies Wiederhören inspirierend wirken. Verstehen wird so erst durch hörendes Nachvollziehen erreicht. Die ambitionierten Produktionen von Kairos verdienen in jedem Fall Würdigung. Spahlinger schreibt eine Musik zum Mitdenken, zum Mitfühlen und zum Erregen. Die Souveränität im kompositionstechnischen Umfang mit den Instrumenten steht außer Zweifel.

Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert: 
Booklet:




Kritik von Prof. Egon Bezold,


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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:



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    Spahlinger, Mathias: furioso für Ensemble

Label:
Anzahl Medien:
Veröffentlichung:
Kairos
1
15.02.2008
Medium:
EAN:

CD
9120010281266


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