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Freitag, 1. Dezember 2023

Zarlino, Gioseffo - Salomonis

Theorie in der Praxis


Label/Verlag: Glossa
Detailinformationen zum besprochenen Titel


Wichtige Musik der italienischen Renaissance: Motetten von Gioseffo Zarlino in einer vorbildlichen Interpretation des Ensemble Plus Ultra. Theorie in der Praxis.

Vielen musikhistorisch Interessierten ist der Name Gioseffo Zarlinos ein Begriff – als Verfasser einer der einflussreichsten musiktheoretischen Schriften des 16. Jahrhunderts. Mit dem 1558 in Venedig veröffentlichten Werk ‚Le istitutioni harmoniche’ verewigte sich Zarlino in der Musikgeschichte. Und nun klingende Musik. Gewiss, Zarlino verwendete zur Illustration seiner theoretischen Argumentationen eigene Kompositionen, diese werden jedoch bis heute kaum eigenständig wahrgenommen. Es ist das Verdienst Michael Noones und seines Ensemble Plus Ultra, die überaus interessanten Werke aus dem Schatten zu rücken, in den sie die theoretischen Arbeiten ihres Schöpfers einst gestellt hatten.

Zarlino, geboren um 1517 und gestorben 1590 als hochgeachteter ‚maestro di cappella’ an der Markuskirche zu Venedig, war Organist, Komponist, Priester, Musiktheoretiker und –praktiker und damit eine nicht untypische Figur der Zeit. Spätestens in seinen venezianischen Jahren blühte er unter den Fittichen seines Lehrers Adrian Willaert als Komponist auf und widmete sich ambitionierten Projekten. Das vielleicht umfassendste davon war der Versuch, das Hohelied Salomos vollständig polyphon zu vertonen. In den 1540er Jahren widmete er sich diesem Vorhaben intensiv, dabei die umstrittene Textfassung des Benediktinermönchs Isidoro Chiari (1495-1555) verwendend. Der hatte die bis dahin übliche Version durch eine eigene, um viele Irrtümer der traditionellen Variante bereinigte Übersetzung aus dem Hebräischen ersetzt und war damit auf den erbitterten Widerstand der römischen Kirche gestoßen, die Chiari der Verbindung zum Protestantismus verdächtigte und ihn schließlich mit der Übertragung eines Bistums ruhigstellte – Karriere als disziplinarische Maßnahme.

Zarlino fühlte sich der Übersetzung Chiaris sehr verbunden, brach das ambitionierte Vorhaben nach dem Konzil von Trient im Jahr 1546 jedoch wieder ab, als sehr klar geworden war, dass sich neue Lesarten der biblischen Texte in der katholischen Kirche nicht würden halten können. Aber ganz mochte der selbstbewusste Künstler in Zarlino die bis dahin schon geleistete Arbeit nicht unter den Tisch fallen lassen, und so ‚versteckte’ der Komponist die bis dahin entstandenen zehn Motetten in drei verschiedenen Drucken. Dass sie in einem engen Zusammenhang stehen und einst Teil eines ambitionierten Vorhabens waren, ist erst kürzlich, 450 Jahre nach dem Erscheinen der Drucke entdeckt worden.

Spannende Musik & tolle Interpreten

 

Michael Noone hat bei ‚Glossa’ schon eine Reihe bemerkenswerter Einspielungen vorgelegt, etwa mit zentralen Werken der spanischen Renaissance. Und auch mit der vorliegenden Platte ist ihm ein großer Wurf gelungen. Zum einen ist da Zarlinos im Verhältnis zu seiner prominenten Rolle als Theoretiker noch viel zu wenig bekannte Musik: Ein außerordentlich dichter Kontrapunkt wird entfaltet, der fünfstimmige Satz fließt beständig, nur von wenigen Binnenkadenzen und gliedernden Momenten unterbrochen. Das dürfte dem Ziel Zarlinos ‚geschuldet’ sein, den vollständigen Text in jeder Stimme zum Klingen zu bringen. Das verbirgt manchen Übergang, lässt das Gewebe wirklich ununterbrochen scheinen. Die relativ geringe harmonische Varianz und die im Vergleich zu machen zeitgenössischen Kompositionen übersichtlichen Stimmumfänge sind dem Wunsch Zarlinos geschuldet, den Text auch während der Aufführung lesend verfolgen zu können – man kann ein akademisches Umfeld als Ziel dieser Kompositionen Zarlinos zumindest vermuten, befand er sich durch die Wahl seines Textes doch inmitten einer der heftigsten theologischen Konflikte seiner Zeit.

Bei aller musikhistorischen Tragweite – die Interpretation bleibt entscheidendes Kriterium: Das Ensemble Plus Ultra glänzt durch seine üppigen Qualitäten, singt mit klarer Struktur, lässt alle Register wirklich gleichberechtigt zum Zug kommen und überzeugt trotz der hervorragenden solistischen Besetzung – neben anderen singen die aus zahlreichen Aufnahmen bekannten Grace Davidson, Clare Wilkinson, Mark Chambers, Julian Stocker, Warren Trevelyan-Jones, Angus Smith, Giles Underwood und Charles Gibbs – durch eine homogene Ensemblekultur. Es wird makellos intoniert und großflächig phrasiert, die dynamische Kontrolle ist vorbildlich. Realisiert wird das alles in einem klaren, sehr gut strukturierten Klangbild.

Michael Noone überzeugt – nicht zum ersten Mal – durch eine extrem kundige und reflektierte Interpretation und versäumt es dabei einmal mehr nicht, auch das primär Musikalische überzeugend umzusetzen. Es wird spannend sein, den Weg des Ensembles weiter zu verfolgen.

Interpretation:
Klangqualität:
Repertoirewert: 
Booklet:






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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:



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    Zarlino, Gioseffo: Salomonis

Label:
Anzahl Medien:
Veröffentlichung:
Glossa
1
01.01.2008
Medium:
EAN:

CD
8424562214064


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Glossa

Spaniens renommiertestes Klassiklabel wurde 1992 von Carlos Céster und den Brüdern José Miguel und Emilio Moreno gegründet. Sein "Hauptquartier" hat es in San Lorenzo del Escorial in den Bergen nahe Madrid. Zahlreiche herausragende Künstler und Ensembles aus dem Bereich der Alten Musik (z.B. Frans Brüggen und das Orchestra of the 18th Century, La Venexiana, Paolo Pandolfo, Hervé Niquet und sein Concert Spirituel u.v.a.) finden sich im Katalog des Labels. Doch machte GLOSSA von Anfang an auch wegen der innovativen Gestaltung und Produktionsverfahren von sich reden. Zu nennen wären hier die Einführung des Digipacks auf dem Klassikmarkt und dessen konsequente Verwendung, der Einsatz von Multimedia Tracks oder die Platinum-Serie mit ihrem avantgardistischen Design. Innerhalb der vergangenen knapp zwei Jahrzehnte konnte GLOSSA so zu einem der interessantesten Klassiklabels auf dem Markt avancieren. Zu verdanken ist dies nicht zuletzt auch dem Spiritus rector und Gesicht des Labels, Carlos Céster.


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