
Nono, Luigi - No hay caminos, hay que caminar...Andrej Tarkwowskij
Reduktionismus und Klangwanderung
Label/Verlag: Kairos
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Bei Kairos erscheint eine Doppel-CD mit dem dreiteiligen ‚Caminantes’-Zyklus von Luigi Nono, die leider hinter den Möglichkeiten heutiger Raumklangdarstellung zurückbleibt.
Das Wandern galt dem Italiener Luigi Nono (1924-1990) während der letzten Jahre seines Lebens als Metapher für seine Arbeit und sein Verständnis des Komponierens, das sich von Werk zu Werk als Suche nach dem Klang vollzog. Musikalisch lässt sich dies am tastenden Gestus der Musik nachvollziehen, an den ausgedehnten Phasen der Stille, an der Tendenz zur Reduktion auf ein häufig eng begrenztes Klangmaterial, aber auch an der komponierten Bewegung der Klänge selbst. Exemplarisch findet sich dies alles in dem unvollendeten ‚Caminantes’-Zyklus, bestehend aus den groß besetzten Werken ‚Caminantes … Ayacucho’ für Mezzosopran, Flöte, kleinen und großen Chor, Orgel, drei Orchestergruppen und Live-Elektronik (1986/87) und ‚No hay caminos, hay que caminar … Andrej Tarkovskij’ für sieben Orchestergruppen (1987), dem die Forschung mittlerweile auch die Kammermusikkomposition ‚»Hay que caminar« sognando’ für zwei Violinen (1989) zugeordnet hat.
Das Label Kairos hat diese Dreierkombination auf einer Doppel-CD vorgelegt und damit die Nono-Diskokrafie endlich um eine zugängliche Aufnahme der großartigen Komposition ‚Caminantes … Aycucho’ bereichert. Aufgrund seiner eindrücklichen Klangwirkungen – geprägt von einer speziellen vierteltönigen Saitenstimmung, die einen sehr eigenwilligen Resonanzraum eröffnet – gehört das Werk zu den Höhepunkten aus Nonos spätem Schaffen, denn hier sind noch einmal alle für ihn bedeutenden Mittel miteinander verknüpft und zu einer eindrucksvollen Synthese gebracht. Mit der Sängerin Susanne Otto, dem Flötisten Roberto Fabbriciani und dem Solistenchor Freiburg sind Interpreten der ersten Stunde an der Aufnahme beteiligt, das mittlerweile in Experimentalstudio für akustische Kunst e.V. umbenannte Freiburger Studio sorgt für die Live-Elektronik und Emilio Pomárico weiß mit Rundfunkchor und Sinfonieorchester des WDR viele Nuancen aus der Musik herauszuholen.
Im Falle des Orchesterstücks ‚No hay caminos, hay que caminar … Andrej Tarkowskij’ muss sich Pomáricos an den früheren Einspielungen von Michael Gielen (Astrée, 1990) und Claudio Abbado (DGG, 1996) messen lassen, und hier hat er es in der Tat wesentlich schwerer. Auch wenn Gielens Aufnahme mit dem Sinfonieorchester des SWF nicht ohne Unsicherheiten und kleinen Fehlern über die Bühne geht und sich die technische Fähigkeit der Instrumentalisten, die von Nono gewünschten, diffizilen mikrointervallischen Abstufungen der einzigen Tonhöhe G zu realisieren, innerhalb der letzten zwanzig Jahre entscheidend verbessert hat, fehlt es Pomáricos Einspielung manchmal ein wenig an Spannkraft und Suggestivität. Eine herbe Enttäuschung ist zudem der Verzicht auf die räumliche Darstellung von Nonos Musik, wie sie in diesen beiden groß besetzten Kompositionen notwendig gewesen wäre.
Die heutigen technischen Möglichkeiten der SACD, mit denen auch Kairos schon bei Produktionen wie Olga Neuwirths Musiktheater ‚Lost Highway oder dem ‚Theater der Wiederholungen’ von Bernhard Lang gearbeitet hat, hätten es eigentlich erwarten lassen, dass man die hier eingespielten Werke ähnlich sorgfältig umsetzt, vergleichbar etwa Nonos Hörtragödie ‚Prometeo’, die kürzlich bei col legno erschienen ist. Doch nichts dergleichen ist zu spüren: Die Aufteilung des ‚Tarkowskij’-Orchesters in sieben getrennt voneinander aufgestellte Gruppen und die Wanderung der Klänge zwischen diesen lässt sich höchsten erraten, und bei ‚Caminantes’ verpufft die Wirkung der Live-Elektronik recht schnell, weil sie sich nicht räumlich entfalten kann.
Selbst für das Violinduo ‚»Hay que caminar« sognando’ wäre ein besseres räumliches Klangbild möglich gewesen: Irvine Arditti – Interpret der Uraufführung – spielt hier mit seinem derzeitigen Quartettpartner Graeme Jennings und weiß dem Stück eigentlich gegenüber seiner früheren Einspielung (Montaigne, 1991) keine neuen Aspekte abzugewinnen, was angesichts der relativ häufigen Annäherungen durch andere Interpreten im Konzertsaal und einer Reihe weiterer Einspielungen bedauerlich ist. Allein der typische Arditti-Klang, den manche seiner Kammermusikaufnahmen ausstrahlen, ist diesmal glücklicherweise zugunsten der Nono-spezifischen Klanglichkeit weiter zurückgenommen. Fazit: So begrüßenswert diese CD in ihrer Gesamtheit auch ist, bleibt sie doch viel schuldig, wodurch der Wert in meinen Augen erheblich gemindert wird. Demjenigen, der sich Nonos Musik zum ersten Mal nähern möchte, sei sie aber dennoch wärmstens empfohlen, da sie drei zentrale Werke der späten Jahre zusammenbringt und im hervorragenden Booklet auch eine Reihe von Farbskizzen zu den Komponisten bringt.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Nono, Luigi: No hay caminos, hay que caminar...Andrej Tarkwowskij |
|||
Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Kairos 2 18.01.2008 |
Medium:
EAN: |
CD
9120010281235 |
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