
Bartok, Bela - Sämtliche Werke für Violine
Die ultimative Bartók-Violin-Box für Liebhaber
Label/Verlag: Supraphon
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Supraphon veröffentlicht eine 4-CD-Box mit historischen Aufnahmen sämtlicher Konzerte und Kammermusikwerke Béla Bartóks für Violine, gespielt von dem ungarischen Geiger André Gertler.
Unter den Geigerpersönlichkeiten des 20. Jahrhunderts nahm er aufgrund seiner Vorlieben für die moderne Musik eine besondere Position ein und gilt zudem als einer der bedeutendsten Interpreten von Béla Bartóks Kompositionen: Der ungarische Geiger André Gertler (1907-1998) ist nicht nur eng mit Bartók befreundet gewesen, sondern hat zwischen 1925 und 1938 auch regelmäßig mit diesem konzertiert und sich nach dem Zweiten Weltkrieg sowohl als Musiker wie auch als Pädagoge nachhaltig für dessen Schaffen eingesetzt. 1962 bis 1965 spielte Gertler für das Label Supraphon in Zusammenarbeit mit der Pianistin Diane Anderson und tschechischen Musikerkollegen Bartóks Gesamtwerk für Violine auf Schallplatte ein – eine Aufnahme, die 1966 mit dem ‚Grand Prix du Disque de l’Académie Charles Cros’ in Paris ausgezeichnet wurde. Nun bringt das Label diese historischen Aufnahmen in einer Box mit vier CDs neu auf den Markt und macht damit ein zentrales Kapitel osteuropäischer Bartók-Rezeption aus den Sechzigerjahren wieder zugänglich.
Sicherlich gibt es alle Kompositionen inzwischen in anderen, vor allem klanglich besseren Aufnahmen; dennoch hat die Box schon aus editorischen Gründen ihren Reiz, da sie tatsächlich die Gesamtheit der Originalwerke aus der Hand eines Interpreten umfasst: Da sind zunächst auf CD 1 die zu Lebzeiten Bartóks publizierten Werke mit Orchester – die beiden Rhapsodien Sz 87 (1928) und Sz 90 (1928/1944) und das Violinkonzert Nr. 2 Sz 112 (1937-38) –, dann auf CD 2 mit den Duos Sz 98 (1931) und der Sonata für Violine solo Sz 117 (1944) die Kompositionen für solistische Streicher und auf CD 3 die Kompositionen mit Klavier, also die beiden Sonaten Sz 75 (1921) und Sz 76 (1922) sowie die ‚Contrasts’ für Violine, Klarinette und Klavier Sz 111 (1938). Dazu kommen schließlich auf CD 4 mit dem Violinkonzert Nr. 1 Sz 36 (1907-08) und der Jugendsonate e-Moll (1903) die posthum veröffentlichten Werke sowie mit der Sonatina nach Klaviersonatine Sz 55 (1915) und den ‚Ungarischen Volksliedern’ nach Stücken aus ‚Für Kinder’ Sz 43 (1908-09) zwei Bearbeitungen von fremder Hand.
Was man sich hiervon auch anhört: Gertler erweist sich immer als kluger Interpret, der beim Spiel die zeitgenössischen Aspekte von Bartóks Musik hervorzuheben versteht – seine Wiedergabe der Solosonate wirkt etwa in ihrer Zerrissenheit weit moderner als viele geglättete Interpretationen aus heutiger Zeit, die eher an den klassizistischen Elementen interessiert sind –, sie aber immer auch zugunsten des warmen Tonfall kantablen Spiels zurückstellen kann. Ein Lehrstück hierfür ist etwa das zweite Violinkonzert, das, sekundiert von der Tschechischen Philharmonie unter Karel Anèerl, aufgrund des differenzierten Zugangs einen Höhepunkt dieser Edition darstellt. Elemente wie die Schärfe von Bartóks Viertelton-Abstufungen im Kopf- und die sinnliche Farbgebung des Geigers im Mittelsatz treffen hier auf einen schön gezeichneten, dramatisch ausgetüftelten Orchesterpart, aus dem Anèerl besonders die herben Farbtupfern klangvoll herauszuarbeiten weiß.
Stark sind aber auch die beiden Rhapsodien, die sonst eher selten in der Fassung mit Orchester sondern meist mit Klavier vorgetragen werden und hier – wie das erste Violinkonzert – vom Philharmonischen Orchester Brno unter Leitung von János Ferencsik eingespielt wurden. Gertlers Lesart ist fesselnd, denn setzt den Solopart, insbesondere jenen der schwierigen zweiten Rhapsodie, fantasievoll um und liefert eine pointierte Darstellung der raschen Teile. Die 44 Duos für zwei Violinen, gemeinsam mit dem Geigerkollegen Josef Suk eingespielt hat, gehören in ihrer dichten und kontrastreichen Darstellung gar zu den überzeugendsten Einspielungen dieser Stücke, die ich kenne; und gemeinsam mit seiner Klavierpartnerin Diane Andersen schafft Gertler insbesondere in der ersten Sonate einen wundervollen kammermusikalischen Dialog, der in seiner deklamatorischen Intensität wie ein freies Gespräch zwischen beiden Musikern wirkt.
Was den Klang anbelangt, sind die Aufnahmen freilich etwas in die Jahre gekommen: Das Klangbild wirkt eng, ist in Bassbereich und Mittellage sehr eingeschränkt und an einigen Stellen – etwa in der Solosonate – auch ein wenig verzerrt. Hinzu kommt, dass bei Mitwirkung des Orchesters die Balance an lauten Stellen gelegentlich nicht ganz ideal erscheint. Wem solche Differenzen zu den heute gewohnten Standards nichts ausmachen, der kann sich an einer sehr lohnenswerten CD-Box erfreuen, weil alle Einspielungen trotz kleiner Mankos in Bezug auf Intonation und Zusammenspiel immer noch frisch und unverbraucht wirken.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Bartok, Bela: Sämtliche Werke für Violine |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Supraphon 4 19.10.2007 |
Medium:
EAN: |
CD
099925392420 |
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Supraphon Supraphon Music ist das bedeutendste tschechische Musiklabel und besitzt bereits eine lange Geschichte. Der Name "Supraphon" (der ursprünglich ein elektrisches Grammophon bezeichnete, das zu seiner Zeit als Wunderwerk der Technik galt) wurde erstmals 1932 als Warenzeichen registriert. In den Nachkriegsjahren erschien bei diesem Label ein Großteil der für den Export bestimmten Aufnahmen, und Supraphon machte sich in den dreißiger und vierziger Jahren besonders um die Verbreitung von Schallplatten mit tschechischer klassischer Musik verdient. Die künstlerische Leitung des Labels baute allmählich einen umfangreichen Titelkatalog auf, der das Werk von BedYich Smetana, Antonín Dvorák und Leos Janácek in breiter Dimension erfasst, aber auch andere große Meister der tschechischen und der internationalen Musikszene nicht vernachlässigt. An der Entstehung dieses bemerkenswerten Katalogs, auf den Supraphon heute stolz zurückblickt, waren bedeutende in- und ausländische Solisten, Kammermusikensembles, Orchester und Dirigenten beteiligt. Mehr Info... |
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