
Gander, Bernhard - Bunny Games für Ensemble
Musik als Fest
Label/Verlag: Kairos
Detailinformationen zum besprochenen Titel
Bernhard Ganders Materialsteinbruch der Gegenwart scheint unerschöpflich, genauso wie die phantasievolle Übertragung in Musik. Davon kündet diese neue Portrait-CD mit herausragenden Interpretationen des Klangforum Wien.
Was ist das für ein Komponist, der nicht nur als Werkbeschreibung, sondern gleich als Charakteristika für sein gesamtes Komponieren Attribute wie ‘verführung madonna abschied alkohol nähe weinen 90-63-92 kotzen schöne worte schnelle autos playmate scarlatti flirten flüstern tanzen achterbahn verzweiflung schöne uhren schreien parfum porno bahnhof playboy distanz nothing really matters kommen covergirl varèse after midnight sprechen unaussprechliches hasen mit langen ohren’ aneinanderreiht, Begriffe der Popkultur, die im zeitgenössischen Elfenbeinturm gemeinhin nichts verloren haben?
Es handelt sich um den österreichischen Komponisten Bernhard Gander, dem das Label Kairos eine Werkschau gewidmet hat. Die CD ‘Bunny Games’ vereint neben dem gleichnamigen Ensemblestück das 2002 entstandene ‘fête.gare’ und drei kleinere Kammermusikwerke, allesamt in herausragenden Interpretationen des Klangforum Wien.
‘Pubertär’ und oberflächlich mag eine solche Anreihung von Attributen erscheinen – und dennoch hat man es bei Bernhard Gander mit einem Komponisten zu tun, der nie an der Oberfläche des Materials haften bleibt. Ein Arbeiter an Klang und Form, dessen Werke zahllose Stadien von der graphischen Skizze zur endgültigen Reinschrift durchleben. Im Ensemblestück Bunny Games sind fünfzehn kurze Stücke aneinandergereiht, in allen tritt jeweils ein Instrument besonders idiomatisch hervor. Prägnant das rasante Trompetensolo im ersten Stück, das den Hörer in eine musikalische Welt hineinzieht, der er sich nicht so schnell entziehen kann. Plakatives wie elektronisch verfremdete Scarlattikaskaden auf dem Keyboard oder Varèse-Zitate im Blech steht neben fein ausgehörten, geradezu ziselierten Passagen, in die immer wieder Rohes, Gewaltiges seine Bresche schlägt, ‘Müllklänge’, die aus musikalisch zweckentfremdeten Gegenständen wie Bohrmaschinen, Eisenteilen oder Mülltonnen resultieren. Das Fremde, Unbearbeitete erhält Einzug in die hehre Welt der Kunstmusik,
Bernhard Ganders Musik überrennt den Hörer oft mit emotionaler Wucht; chaotisch anmutendes Klanggetümmel, durchsetzt von bewusst Unschönem – im Sinne eines allgemeingültigen, zweifelhaften Konsenses, was Schönheit sei – schafft Irritationen, weil eine solch drastische Realität bisher in Musik kaum zum Klingen gebracht werden konnte. Daneben gibt es doch immer das Innehalten, was sich auch in Ganders Attributensammlung manifestiert. ‘Verzweiflung’, ‘Unaussprechliches’, ‘Schreien’, ‘Nähe – Distanz’ sind die Schlagwörter, in denen die Musik zum Stehen kommt, zu sich selbst findet, Momente, in denen die Oberfläche des Glitzernden beginnt, zu zerbröseln.
Das Episodenhafte findet sich schon in Ganders Ensemblestück fête.gare, in dem als Ausgangspunkt Fotographien des Wiener Südbahnhofs zu verschiedenen Tag- und Jahreszeiten, aus derselben Perspektive aufgenommen, musikalisch belichtet werden. So erklärt sich die ständige Repetition von Klanggestalten ebenso wie die Aneinanderreihung von Bruchstücken mit häufigen Anklängen an reale Klanglandschaften. In beiden Ensemblewerken ist das Kollektiv des Klangforum Wien zu hören, unter Leitung von Emilio Pomárico und Sylvain Cambreling. Man spürt die enge Verbindung zwischen Komponist und Interpreten, eine gegenseitige Begeisterung, die sich auch auf das Publikum überträgt und Garant für authentische, musikalisch sensible Interpretationen ist.
Ästhetische Scheuklappen sind Bernhard Ganders Sache nicht. Sein Klavierstück ‘Peter Parker’ ist dem gleichnamigen Comichelden gewidmet, besser bekannt als sein Alias Spiderman. Die Flugmanöver und filigranen Bewegungen der gezeichneten Figur übertragen sich in flirrende, immer irrwitziger werdende Klangfigurationen. Dabei ist Ganders Musik nie oberflächlicher Versuch zur filmischen Illustration. Vielmehr inspirieren ihn außermusikalische Muster, bildlicher oder sensueller Art, musikalische Formen, die so noch nicht erklangen, zu finden.
In fluc n’ flex für Akkordeon erklingt eine Hommage an das ‘nächtliche Ausgehvergnügen’ in Wiens Szenelokalen. Das Akkordeon – in dieser Aufnahme gespielt vom stupend virtuosen Krassimir Sterev – zählt zu Ganders bevorzugten Instrumenten und zeigt sich von seiner brachialen, höchst expressiven Seite. Die Musik dröhnt, spielt sich selbst in Trance, steigert sich in komplexe Polyphonien bevor sie in echohaften Zuckungen verklingt, wie ein vorübergehender Rausch.
Der überdeutliche Bezug zur Popularmusik schlägt sich auch in ‘ö’ für Quintett nieder. ‘Ö’ ist in diesem Falle ein so genannter ‘röck döt’, ein Heavy-Metal-Umlaut, wie man ihn aus den Bandnamen von Mötley Crüe oder Motörhead kennt, der Formation, der Ganders Werk gewidmet ist. Vertrautes wie das ironische Aufgreifen von Refrainformen und rhythmisch leicht fassliche Dramaturgie wechselt sich mit (Stein-)Brüchigem ab, zersetzte Formen, die so eine gerüsthafte Transparenz erhalten. Auch hier zeigt sich Gander als unermüdlicher Arbeiter, der das Material formt wie ein Steinmetz, der grobe Brocken abschlägt und feine Verformungen ausfeilt.
Nicht zuletzt wegen der mitreißenden Interpretationen ist diese Einspielung eine wahre Entdeckung, die eine Lücke in der Neuen Musik füllt, rare klangliche Spachtelmasse im besten Sinne, deren Wert gar nicht hoch genug einzuschätzen ist.
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |
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Detail-Informationen zum vorliegenden Titel:
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Gander, Bernhard: Bunny Games für Ensemble |
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Label: Anzahl Medien: Veröffentlichung: |
Kairos 1 16.11.2007 |
Medium:
EAN: |
CD
9120010281259 |
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